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Nord-Stream-Sabotage: Neue Erkenntnisse, wenige Beweise

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Neue Erkenntnisse sollen Hinweise auf "pro-ukrainische" Akteure geben, die die Gaspipelines in der Ostsee gesprengt haben sollen. Beweise, die auf mögliche Auftraggeber schließen lassen, gibt es bislang nicht. Was wir wissen, und was noch ungeklärt ist.

Eines steht schon länger fest: Die Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 wurden in der Nacht von 25. auf 26. September sabotiert. Methangas trat durch große Lecks aus den Rohren aus, die sich in der Nähe der dänischen Ostseeinsel Bornholm in rund 80 Metern Tiefe am Meeresgrund befinden. Wer hinter dem Anschlag auf die russischen Röhren steckt, ist auch nach neuesten Erkenntnissen noch nicht geklärt, auch wenn das von verschiedenen Seiten gerne behauptet wird. 

Was offenbaren die neuesten Erkenntnisse?

Bislang hatten westliche Expert:innen den Schuldigen in Russland gesehen. Der Kreml habe ein Motiv, die Mittel und die Expertise dazu, hieß es. Russland bestritt das natürlich von Anfang an und hatte die USA und zwischendurch auch mal London als wahre Drahtzieher ausfindig gemacht. Unterstützung bekam die russische Propaganda-Maschinerie vom US-Journalisten Seymour Hersh, der in einem widersprüchlichen und in großen Teilen bereits widerlegten Bericht den USA und Norwegen die Schuld gab. 

All diesen Theorien widerspricht nun ein Bericht der "New York Times" vom Dienstag. Die Zeitung beruft sich auf Geheimdienstinformationen, wonach eine "pro-ukrainische Gruppe" für die Sprengung verantwortlich sein könnte. Die Verdächtigen sollen demnach aus der Ukraine oder aus Russland stammen. Handfeste Beweise waren darin nicht zu finden.

Mehr Informationen lieferten hingegen Recherchen der deutschen Medien "Zeit" sowie ARD und SWR. Die deutsche Polizei hat demnach die Yacht ausfindig gemacht, von der aus die Sprengsätze an den Leitungen angebracht wurden. Die Verdächtigen dürften gefälschte Pässe verwendet haben, das Boot wurde aber von einer Firma mit Sitz in Polen gemietet. Die Firma dürfte Ukrainern gehören.

Welche konkreten Erkenntnisse haben die Deutschen?

Das Boot dürfte laut den Medienberichten mit hoher Wahrscheinlichkeit identifiziert worden sein. An Bord wurden später Reste von Sprengstoff gefunden. Das Kommando soll den Ermittlungen zufolge am 6. September 2022 von Rostock aus in See gestochen sein.

Die Ausrüstung für die Geheimoperation sei vorher mit einem Lieferwagen in den Hafen transportiert worden. Den Ermittlern ist es den Recherchen zufolge gelungen, das Boot am folgenden Tag erneut in Wieck (Darß) und später an der dänischen Insel Christiansø, nordöstlich von Bornholm, zu lokalisieren. Ebenso sicher scheint zu sein, dass das Boot von einer Firma mit Sitz in Polen, die Ukrainern gehört, angemietet worden ist.

Ostesee-Karte mit den Pipelines.

Welche Fragen werden nicht zur Gänze beantwortet?

Die Geheimoperation auf See soll den Ermittlungen zufolge von einem Team aus sechs Personen durchgeführt worden sein, berichten die deutschen Medien. Es soll sich um fünf Männer und eine Frau gehandelt haben. Demnach bestand die Gruppe aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, die den Sprengstoff zu den Tatorten transportiert und dort platziert haben sollen. Die Nationalität der Täter:innen ist aber offenbar unklar. Sie sollen gefälschte Pässe benutzt haben.

Die Medien berichten über einen anonymen westlichen Geheimdienst, der schon relativ früh auf ukrainische Urheberschaft der Anschläge hingewiesen haben soll. Beweise für Verbindungen zum ukrainischen Staat oder Regierungsmitgliedern gibt es keine. Dass die polnische Firma, die die Yacht mietete, Ukrainern gehört, lässt die Möglichkeit einer Operation unter falscher Flagge offen. Im Bericht der "New York Times" heißt es, "Putin-Gegner" könnten die Sprengungen veranlasst haben. Diese könnten aus Russland auch kommen. 

Beweise für Aufträge direkt aus der Ukraine - oder auch aus anderen Staaten - gibt es also bisher nicht.

Wie reagiert die Ukraine?

Kiew hat jegliche Beteiligung an der Sabotage stets zurückgewiesen. Mychajlo Podoljak, Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, dementierte sofort nach der Veröffentlichung der neuen Erkenntnisse: Man habe nichts mit den Anschlägen zu tun und keine Informationen über "proukrainische Gruppen".

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow hat eine Beteiligung seines Ministeriums ebenfalls verneint. Dass ukrainischen Spezialkräften so ein Einsatz zugetraut wird, sei "eine Art Kompliment", sagte Resnikow am Mittwoch am Rande eines informellen Treffens mit den Verteidigungsministern der EU-Staaten in Schweden. "Aber das ist nicht unser Tätigkeitsfeld." Die Story sei schräg, weil sie nichts "mit uns" zu tun habe. Auf die Frage, ob er befürchte, dass die Berichte über eine mögliche Beteiligung der Ukraine an der Sabotage einen negativen Einfluss auf die Unterstützung für sein Land im Krieg gegen Russland haben könnte, sagte Resnikow: "Nein, ich bin nicht besorgt."

Völkerrechtsexperte Ralph Janik erklärt die rechtlichen Hintergründe.

Wie reagiert Russland?

Russland glaubt auch den neuesten Erkenntnissen nicht. Es handle sich um einen Versuch, von den wahren Drahtziehern abzulenken. Solche Informationen würden von denjenigen gestreut, "die im Rechtsrahmen keine Untersuchungen führen wollen und versuchen, mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit des Publikums abzulenken", teilte etwa die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, mit. 

"Es ist einfach ein Mittel, um den Verdacht von denjenigen in offiziellen Regierungspositionen, die die Angriffe in der Ostsee angeordnet und koordiniert haben, auf irgendwelche abstrakten Personen zu lenken", erklärte auch die russische Botschaft in den Vereinigten Staaten. 

Laut dem Militärexperten Gerald Karner war die Sabotage "keine einfache Aktion".

"Wir können und wollen nicht an die Unparteilichkeit der Schlussfolgerungen der US-Geheimdienste glauben", hieß es weiter. 

Russland verlangt von den Staaten der an den Nord-Stream-Pipelines beteiligten Unternehmen, auf schnelle und transparente Untersuchungen der Explosionen zu drängen. Russland dürfe sich weiterhin nicht an den Ermittlungen beteiligen, sagt Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Erst vor einigen Tagen habe Russland entsprechende Mitteilungen Dänemarks und Schwedens erhalten. "Das ist nicht nur seltsam. Das riecht nach einem gigantischen Verbrechen."

Eigner der in der Schweiz ansässigen Betreibergesellschaft von Nord Stream 1, der Nord Stream AG, sind neben dem russischen Staatskonzern Gazprom unter anderem Wintershall DEA und E.ON aus Deutschland.

Wie reagieren die EU-Staaten?

Sehr zurückhaltend. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock sagte, sie verfolge die "Berichte und auch alle Erkenntnisse". Zunächst müssten aber die zuständigen Behörden ihre Ermittlungen zu Ende führen. Dies sei nötig, damit "wir dann von Seite der Regierung aufgrund dieser Erkenntnisse dann auch Beurteilungen treffen können und nicht voreilig aus Berichten heraus Schlüsse für uns ziehen".

 

Stoltenberg: "Wir werden die Ukraine weiterhin unterstützen"

Die deutsche Regierung habe immer wieder deutlich gemacht, dass der Generalbundesanwalt in Karlsruhe für die Ermittlungen zuständig sei. Dieser ermittelt seit Anfang Oktober 2022. "Er hat damit auch die Hoheit über das Verfahren und nicht die Regierung, aufgrund unseres Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit", sagte Baerbock. Die Ministerin erinnerte auch daran, dass Schweden, Dänemark und Deutschland vor wenigen Tagen den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darüber informiert haben, dass die Untersuchungen noch laufen und man noch keine Erkenntnisse geben könne. 

ribbon Zusammenfassung
  • Neue Erkenntnisse sollen Hinweise auf "proukrainische" Akteure geben, die die Gaspipelines in der Ostsee gesprengt haben sollen.
  • Beweise, die auf mögliche Auftraggeber schließen lassen, gibt es bislang nicht. Was wir wissen, und was noch ungeklärt ist.

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