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neunerhaus-Chefin: Meilenstein bei Wohn-Plänen der Koalition

06. Juli 2025 · Lesedauer 5 min

Die Möglichkeit einer FPÖ-ÖVP-Regierung sorgte zum Jahresanfang für Sorge bei vielen, so auch beim neunerhaus. Im Regierungsprogramm der Dreierkoalition fänden sich wichtige Punkte zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit, etwa die Zweckbindung der Wohnbauförderung oder das Bekenntnis zu "Housing First", sagte Geschäftsführerin Daniela Unterholzner im APA-Gespräch. "Die Frage ist aber: Was wird umgesetzt, und wann?". Nicht nur positiv sieht sie den bereits eingeführten Mietdeckel.

"Was es dringend braucht, ist vor allem leistbarer Wohnraum", so Unterholzner. Klar sei aber: Dafür ist auch Geld nötig. "Hier ist die Wiedereinführung der Zweckbindung der Wohnbauförderung ein zentrales Mittel, um dieses Geld zur Verfügung zu stellen." Grundsätzlich würden sich in den Regierungsprogrammen - sowohl im Bund als auch in der Stadt Wien - viele wichtige Punkte finden, um Wohnen leistbarer zu machen.

Ein "Meilenstein" sei das erstmals in einem Regierungsprogramm verankerte Bekenntnis zu "Housing First", einem aus Skandinavien stammenden Prinzip, wonach Betroffene möglichst rasch wieder eigenständig wohnen sollen, anstatt in Notquartieren untergebracht zu werden. Zu begrüßen sei auch die geplante Erhöhung der Mietbefristungen von drei auf fünf Jahre. Aber: "Jede Befristung hat ein Risiko und es gab auch schon einmal unbefristete Mieten als Standard."

Wohnen wurde in dieser Legislaturperiode zur Vizechefsache ernannt. Die Agenden laufen bei Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) zusammen. Dennoch, das Gemeinnützigkeitsgesetz ist weiterhin im Wirtschaftsministerium angesiedelt, der Wohnschirm im Sozialministerium. Darüber hinaus sind viele Dinge Ländersache. Eine zentrale Schnittstelle zu schaffen, sei ein guter Weg, um die schwierige koordinative Aufgabe zu meistern.

Auf Druck der SPÖ setzte die neue Bundesregierung wenige Wochen nach ihrer Angelobung eine erste wohnpolitische Aktion. Die Mietpreisbremse, gültig bis Ende des Jahres und nur für den regulierten Bereich (vor allem Altbauwohnungen) war eine der ersten durchgesetzten Änderungen von Schwarz-Rot-Pink. "Alles, was zum leistbaren Wohnen beiträgt, ist grundsätzlich gut", kann Unterholzner dieser etwas abgewinnen. Aber: "Der Mietpreisdeckel trifft vor allem auch Gelder wie den Erhaltungsverbesserungsbeitrag." Dieser ist im gemeinnützigen Wohnbau Teil der Miete und zweckgebunden etwa der Erhaltung und Sanierung von Wohnbauten gewidmet. "Wenn ich da weniger einnehme, kann ich weniger in das Gebäude investieren. Das heißt, ich kann auch weniger für Themen des Klimaschutzes machen, für Beschattung, für Raus aus Öl und Gas." Wichtig zu verstehen sei: "Die Gemeinnützigen nehmen sich keine Gewinne raus. Alles was eingenommen wird, wird wieder reinvestiert."

Stärker eingegriffen werden sollte hingegen im privaten Bereich, betonte Unterholzner: "Ich spreche nicht von einer Einzelperson, die eine, zwei oder drei Wohnungen hat, sondern von großen Investoren." Viele armutsgefährdete Menschen - derzeit sind es 336.000 und damit in etwa so viele wie Graz Einwohner hat - würden am privaten Wohnungsmarkt wohnen, da sie Zugangskriterien für den geförderten Wohnbau nicht erfüllen, oder sich schlicht in dem System nicht auskennen würden.

Wien anderen europäischen Städten voraus

Wien sei mit dem System des kommunalen und gemeinnützigen Wohnbaus gegenüber anderen europäischen Städten nach wie vor "Vorzeigemodell" betonte Unterholzner. "Schlüsselarbeitskräfte" - Verkäufer, Müllabfuhr und Pfleger beispielsweise - "kurz gesagt, alle jene Personen, denen wir während Corona zugeklatscht haben", können in Wien in der Stadt leben. "Wir wissen in anderen europäischen Städten, dass die aufgrund von hohen Mietpreisen aus der Stadt rausziehen und natürlicherweise dort dann versuchen, Arbeit zu finden." Auf diesem System dürfe man sich aber nicht ausruhen, sondern müsse es weiter ausbauen, um ähnliche Probleme zu vermeiden. Denn ohne Wohnung sei Arbeiten kaum möglich: "Wenn ich nicht weiß, wo ich nächtigen soll, dann werde ich es nicht schaffen, meine Arbeit adäquat zu erfüllen."

Junge Menschen besonders gefährdet

Eine Schwierigkeit, über Straßenobdachlosigkeit zu sprechen, ist die hohe Dunkelziffer. Für Unterholzner braucht es künftig bessere Erhebungen, sowohl in Wien als auch im Rest des Landes. Derzeit merke man, dass die Wartelisten länger werden und die Personen, die zum neunerhaus kommen, belasteter seien. Besorgniserregend sei die Situation bei den jungen Erwachsenen: Österreichweit wurden 2.249 Menschen zwischen 18 und 24 als obdachlos registriert, mehr als ein Drittel der unter-25-Jährigen Wiener und Wienerinnen sind armutsgefährdet. Für junge Menschen seien die Rahmenbedingungen schwieriger - sowohl am Arbeits- als auch am Wohnungsmarkt - und damit auch das Risiko größer geworden, in die Wohnungslosigkeit abzurutschen.

Besonders gezeigt habe sich das nach den Krisen der vergangenen Jahre. Waren davor 2,8 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen, sind es nun 3,7 Prozent, die ihre Wohnung nicht angemessen heizen oder eine kaputtgegangene Waschmaschine nicht reparieren lassen können. "Bei all den Diskussionen ums Sparen müssen wir als Gesellschaft Prioritäten setzen. Jene Menschen, die wirklich von Armut betroffen sind, die müssen im Fokus stehen."

Das Neunerhaus ist eine Sozialorganisation in Wien, die sich gegen die Ausgrenzung von obdach- und wohnungslosen Menschen einsetzt. Seit 1990 engagiert sich der Verein um ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben mit medizinischer Versorgung, Wohnen für Alle und Sozialberatung.

Zusammenfassung
  • Das Regierungsprogramm der Dreierkoalition enthält mit der Zweckbindung der Wohnbauförderung und dem Bekenntnis zu 'Housing First' zentrale Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit.
  • Die Mietpreisbremse wurde als erste wohnpolitische Aktion eingeführt, gilt bis Ende des Jahres und betrifft vor allem Altbauwohnungen.
  • 336.000 armutsgefährdete Menschen wohnen am privaten Wohnungsmarkt, da sie keinen Zugang zum geförderten Wohnbau haben.
  • Österreichweit sind aktuell 2.249 junge Erwachsene zwischen 18 und 24 Jahren obdachlos, mehr als ein Drittel der unter-25-Jährigen in Wien gelten als armutsgefährdet.
  • Der Anteil armutsbetroffener Menschen ist nach den Krisenjahren von 2,8 auf 3,7 Prozent gestiegen, was sich auch auf die Wohn- und Lebenssituation auswirkt.