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Neue Datenbank zeigt viele NS-Medizin-Opfer aus Österreich

Heute, 12:37 · Lesedauer 3 min

Eine neue Online-Datenbank soll die Schicksale der Opfer erzwungener medizinischer Untersuchungen während der Zeit des Nationalsozialismus sichtbar machen. Die Sammlung enthalte Tausende Profile von Opfern und mutmaßlichen Opfern, teilten die deutschen Max-Planck-Gesellschaft und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina mit. Die Informationen offenbaren auch, wie stark Österreichs Institutionen als Täter mitbeteiligt waren und wie viele Opfer es hierzulande gab.

Insgesamt seien in der Datenbank Profile von rund 16.000 Menschen zu finden, die nachweislich zum Opfer von NS-Zwangsforschung - unter anderem im Rahmen von medizinischen Experimenten in Konzentrationslagern - geworden sind. Zudem seien mehr als 13.000 Profile von Menschen dort eingepflegt worden, bei denen die Forschung noch nicht abgeschlossen sei. Angeführt werden auch Menschen, die unter dem Begriff "Euthanasie" Opfer von Krankenmorden wurden.

Nicht zuletzt waren diese Praktiken aus einem der dunkelsten Kapitel der Wissenschafts- und Medizingeschichte u.a. auch Wegbereiter für die Mordmethoden, die in der Folge in den Vernichtungslagern millionenfach angewendet wurden. Im Rahmen der NS-Medizinverbrechen verloren beispielsweise hunderttausende behinderte Personen ihr Leben - darunter auch tausende Patientinnen und Patienten der Wiener Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" oder Personen, die in die oberösterreichische Tötungsanstalt "Schloss Hartheim" deportiert wurden. Neben diesen beiden, auch aufgrund der äußerst schleppenden Aufarbeitung der einstigen Gräueltaten weit über die österreichischen Grenzen zu trauriger Berühmtheit gekommener Institutionen, sind in der neuen Datenbank rund zwei Dutzend weitere Einrichtungen im heutigen Österreich gelistet.

Das sind etwa das Konzentrationslager Mauthausen (OÖ) und dessen zahlreiche Außenlager, sowie etwa die Anatomischen Institute der Universitäten Wien oder Innsbruck. Unterschieden werden auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse in einer interaktiven Landkarte europaweit Institutionen, die direkt in die Verbrechen involviert, und solche, die in das "breitere System" eingebunden waren.

Angehörige können Antrag stellen

Mit den nun online abrufbaren Informationen biete man zum ersten Mal einen "systematischen Zugang zu Namen und Lebensdaten von Opfern unethischer medizinischer Forschung im Nationalsozialismus", wie es seitens der Initiatoren am Montag in einer Aussendung heißt. Die Datenbank solle "dem Gedenken, der Forschung und der historischen Reflexion" dienen.

Insgesamt will man eine Grundlage für weiterführende Studien und Analysen schaffen, teilten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit. Teile der Daten sind auch für Privatpersonen zugänglich. So sind Namen und Lebensdaten der Opfer öffentlich einsehbar. Eine einfache Suche nach dem Geburtsort offenbart weit über sechshundert Einträge zu betroffenen Menschen mit Österreich-Bezug. Weitere sensible Daten zur Kranken- und Verfolgungsgeschichte der Opfer sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Für letztere solle das Gedenken an die Menschen im Vordergrund stehen, hieß es bei der Vorstellung der Datenbank.

Beispielhaft werden allerdings einzelne Schicksale ausgewählter Menschen umfassend dargestellt. Wer für Forschung oder Recherche weiterführende Informationen haben möchte, könne diese beantragen, hieß es. Auf Antrag könnten auch Angehörige gesamte Datensätze zu ihren Verwandten bekommen.

Datenbank basiert auf Forschungsergebnissen

Grundlage für die Datenbank sind Forschungen von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern um Paul Weindling von der Oxford Brookes University in Oxford. Außerdem stützt sie sich auf Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Max-Planck-Gesellschaft, das sich mit Hirnforschung während der NS-Zeit befasste. An dem Projekt namens "Hirnforschung an Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kontext nationalsozialistischer Unrechtstaten" ist auch Herwig Czech von der Medizinischen Universität Wien federführend beteiligt. Nach Angaben der Max-Planck-Gesellschaft - der Nachfolgeorganisation der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft - hat sie seit 2017 drei bis vier Millionen Euro für das Projekt bereitgestellt.

(S E R V I C E - Die Datenbank online: https://ns-medical-victims.org)

Zusammenfassung
  • Eine neue Online-Datenbank listet rund 16.000 nachweisliche Opfer und über 13.000 mutmaßliche Opfer von NS-Zwangsmedizin, darunter viele Menschen mit Österreich-Bezug.
  • Österreichische Institutionen wie die Wiener Heil- und Pflegeanstalt 'Am Steinhof', das KZ Mauthausen und etwa zwei Dutzend weitere Einrichtungen sind als Tatorte dokumentiert.
  • Die Datenbank basiert auf internationalen Forschungsprojekten und ist teilweise öffentlich zugänglich, wobei Angehörige auf Antrag umfassende Informationen erhalten können.