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Nehammer sagt Schweiz Hilfe bei Verhandlungen mit EU zu

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Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat bei seinem ersten bilateralen Auslandsbesuch am Montag der Schweiz Unterstützung bei den schwierigen Verhandlungen mit der EU zugesagt. Er zeigte Verständnis für den Schweizer Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen und forderte von der EU-Kommission, dass sie die Besonderheiten in der Schweiz berücksichtigen solle. In der Ukraine-Krise riefen die beiden neutralen Ländern Schweiz und Österreich gemeinsam zur Deeskalation auf.

"Als neutrale Staaten setzen wir uns dafür ein, die Situation zu deeskalieren", sagte der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis bei einer gemeinsamen Pressekonferenz nach dem Treffen mit Nehammer in Zofingen im Kanton Aaargau. Eine Initiative zur Vermittlung durch die neutralen Länder ist derzeit aber kein Thema: "Eine eigentliche Mediation ist derzeit gar nicht gefragt, die Konfliktparteien, die USA und Russland, sprechen noch miteinander", so Cassis. Die geeignete Organisation für einen Dialog sei die OSZE, waren sich beide einig und lobten auch den Dialog im europäischen Normandie-Format.

Nehammer zeigte sich als Vertreter eines EU-Landes naturgemäß weniger neutral in dem Konflikt. Er betonte, es sei wichtig als Europäische Union der Russischen Föderation folgendes klar zu machen: "Es ist inakzeptabel, dass wir in diesen Zeiten immer noch darüber nachdenken, einen Konflikt mit Gewalt zu lösen." Im Falle einer Invasion Russlands in die Ukraine werde es "Konsequenzen geben, die schwerwiegend sind", warnte Nehammer vor Sanktionen. Die EU wolle aber alle Möglichkeiten nutzen, um den Frieden in Europa zu bewahren, betonte er. "Wir müssen den Russen auch einen Weg aus der Situation lassen", sagte Nehammer gegenüber mitreisenden Journalisten.

In den festgefahren Verhandlungen über das künftige Verhältnis der Schweiz zu EU stärkte Nehammer dem Nachbarland demonstrativ den Rücken und übte auch Kritik an der EU-Kommission. "Die EU-Kommission hat auch die Aufgaben, die Besonderheiten in den Mitgliedstaaten, aber auch in den Nachbarstaaten zu berücksichtigen", sagte Nehammer bei der Pressekonferenz. Wenn das Rahmenabkommen schließlich bei einer Volksabstimmung in der Schweiz abgelehnt worden wäre, hätte die EU auch nichts davon gehabt, gab er zu Bedenken.

In Bezug auf das EU-Forschungsrahmenprogramm "Horizon Europe", an dem die Schweiz nach dem gescheiterten Rahmenabkommen nur mehr eingeschränkt teilnehmen kann, meinte Nehammer: "Ich finde es falsch, dass wir die Schweiz als Forschungspartner verlieren." Mit Blick auf die EU-Kommission kritisierte er, es sei "wichtig, nicht an der falschen Stelle einen Justament-Standpunkt einzunehmen".

Österreich werde sich in Brüssel weiterhin für möglichst enge und gute Beziehungen der EU zur Schweiz einsetzen, versprach er. Es sei wichtig, einen gemeinsamen Weg zu finden, damit es nicht dazu komme, dass sich die Schweiz weit über Europa hinaus orientieren müsse. Die Schweiz sei ein wichtiger "geostrategischer Partner".

Auch Cassis sprach in Bezug auf die Forschungskooperation von einer "Lose-Lose-Situation" und meinte wohl mit Blick auf die EU-Kommission: "Das zeugt nicht gerade von Weitsicht". Dass die EU mit dem Forschungsprogramm versuche, Druck auf die Schweiz auszuüben, kritisiert er: "Das ist falsch und das schafft in der Schweiz Reaktionen, die schädlich sind."

Die EU und die Schweiz versuchen seit Jahren, ein neues institutionelles Rahmenabkommen zur Regelung ihrer Beziehungen zustande zu bringen. Der Schweizer Bundesrat (Regierung) beendete im Mai des vergangenen Jahres offiziell die Verhandlungen der EU über ein Rahmenabkommen. Seitdem herrscht zwischen Bern und Brüssel Eiszeit. Das rechtliche Verhältnis der Schweiz mit der EU funktioniert derzeit nur auf Basis von bilateralen Verträgen.

Bei dem feierlichen Empfang von Nehammer im Ostschweizer Zofingen war wegen angekündigter Proteste von Corona-Maßnahmen-Gegnern kein Publikum zugelassen - Störungen blieben aber jedoch aus. Die Polizei sperrte den Platz großräumig ab. Demonstranten waren keine zu sehen. Nur eine Schulklasse konnte die Zeremonie am Roten Teppich auf dem ansonsten leeren Niklaus-Tuth-Platz in der schmucken Altstadt von Zofingen verfolgen. Die Schülerinnen und Schüler bemühten sich anschließend eifrig um Autogramme von Nehammer und Cassis, die sichtlich überrascht über das große Interesse waren.

An den anschließenden Gesprächen im Rathaus von Zofingen nahmen auch die Schweizer Innenministerin Karin Keller-Sutter, sowie der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) und der Landammann des Kantons Aargau, Alex Hürzeler, teil. Wallner warb bei dem Treffen insbesondere für die Hochwassersicherheit am Rhein. Für das Schutzprojekt "Rhesi" (Rhein-Erholung-Sicherheit) laufen seit vergangenem November die Staatsvertragsverhandlungen zwischen Österreich und der Schweiz zur Finanzierung des 900 Mio. Euro-Vorhabens. "Es ist geplant, die Verhandlungen bis zum Ende dieses Jahres abzuschließen", freute sich Wallner, anschließend gehe es an die Ratifizierung. Die Projektplanungen würden parallel fortgeführt. Hinsichtlich Rhesi brauche Vorarlberg "die Unterstützung von Wien und Bern", unterstrich Wallner.

Warum die Kleinstadt Zofingen im Kanton Aargau Schauplatz des Treffens ist, hatte im Vorfeld für einiges Kopfzerbrechen bei Schweizer Medien gesorgt. Der Empfang sei das Kick-off für weitere Besuche ausländischer Gäste im Laufe seines Präsidentschaftsjahrs in allen Ecken der Schweiz, erklärte Cassis die Entscheidung und verwies auf die historischen Verbindungen der einstigen Habsburger-Stadt zu Österreich. Die Stadt stand im 14. Jahrhundert unter der Herrschaft der österreichischen Herzöge. Daher ist auch das Zofinger Wappen vom österreichischen Wappen abgeleitet, es besteht aus vier Querstreifen in rot-weiß-rot-weiß.

Nehammer zeigte sich beeindruckt über die Legende über den Stadtheld von Zofingen, Niklaus-Tuth. Er hielt als Schultheiss treu zu den Habsburgern und fiel 1386 in einer Schlacht gegen die Eidgenossen um die Stadt. Der Legende nach soll er kurz vor seinem Tod das Zofinger Banner vom Stock gerissen und heruntergeschluckt haben, um es dem Zugriff der Eidgenossen zu entziehen und der Stadt eine Schmach zu ersparen.

Eine halbe Stunde von Zofingen entfernt befindet sich die Stammburg der Habsburger. Im Jahr 1415 wurde das mittlerweile in Wien mächtig gewordene Herrscherhaus von den Bernern aus der Stadt vertrieben.

Die Schweiz ist das erste Land, dem Nehammer als Bundeskanzler einen bilateralen Besuch abstattet. Nehammer hätte Cassis eigentlich schon bei dessen Wien-Besuch am 13. Jänner persönlich treffen sollen. Die Begegnung kam aber wegen der damaligen Corona-Infektion des Kanzlers nicht zustande; stattdessen gab es ein Telefonat und die Vereinbarung, das Treffen bald nachzuholen.

ribbon Zusammenfassung
  • Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat bei seinem ersten bilateralen Auslandsbesuch am Montag der Schweiz Unterstützung bei den schwierigen Verhandlungen mit der EU zugesagt.
  • In der Ukraine-Krise riefen die beiden neutralen Ländern Schweiz und Österreich gemeinsam zur Deeskalation auf.
  • Der Schweizer Bundesrat beendete im Mai des vergangenen Jahres offiziell die Verhandlungen der EU über ein Rahmenabkommen.