Mehrere Tote bei russischen Luftangriffen auf Kiew
"Dieser Schlag zeigt ganz klar, dass sich die Ziele Russlands nicht geändert haben", sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft. "Russland greift derzeit alle Menschen auf der Welt an, die sich nach Frieden sehnen. Dies ist ein Schlag gegen die Ukraine. Dies ist ein Schlag gegen Europa", sagte der ukrainische Staatschef. "Dies ist auch ein Schlag Russlands gegen Präsident Trump und andere globale Akteure." Moskau mache mit solchen Angriffen auch befreundete Länder wie China oder Indien zu Komplizen. Selenskyj kritisierte vor allem die Führung in Peking, die trotz vieler Erklärungen nichts für ein Ende des Kriegs tue. "Leider lässt China Russland Krieg führen - so sieht es aus", sagte er.
Das russische Verteidigungsministerium behauptete hingegen, die Angriffe hätten Rüstungsbetrieben und ukrainischen Luftwaffenstützpunkten gegolten. Alle Ziele seien getroffen worden, hieß es. Beim Angriff auf ein ukrainisches Kriegsschiff im Donaudelta starb nach Angaben der Marine mindestens ein Mensch, mehrere Soldaten würden vermisst. Laut dem russischen Verteidigungsministerium wurde das Schiff "Simferopol" mit einer Marinedrohne versenkt.
Scharfe Kritik am russischen Angriff kam von den USA. Im Visier seien nicht Soldaten und Waffen gestanden, sondern Wohnviertel in Kiew und unschuldige Zivilisten, empörte sich der Ukraine-Gesandte der USA, Keith Kellogg. "Diese ungeheuerlichen Angriffe bedrohen den Frieden, um den sich der US-Präsident bemüht", so Kellogg nach Angaben der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform.
Russland griff die Ukraine seit Mittwochabend nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe mit 629 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern an. 589 anfliegende Ziele habe die Flugabwehr zerstört. Russland habe auch zwei Hyperschallraketen vom Typ Kinschal (Dolch), neun ballistische Raketen vom Typ Iskander sowie 20 Marschflugkörper vom Typ X-101 eingesetzt, hieß es weiter. Einschläge habe es an 13 Orten im Land gegeben, zudem seien an 26 Stellen Trümmer abgeschossener Waffen eingeschlagen.
"Die russischen Kriegsverbrecher werden auf jeden Fall bestraft", hieß es in der Mitteilung der Luftstreitkräfte weiter. Explosionen wurden auch aus den Städten Sumy im Norden sowie Dnipro und Saporischschja im Süden gemeldet. Aufgrund von Schäden am Eisenbahnknotenpunkt Kosjatyn im Gebiet Winnyzja südwestlich von Kiew hatte über ein Dutzend Passagierzüge nach Angaben der ukrainischen Eisenbahn stundenlange Verspätungen. Auf einem Teilstück musste Schienenersatzverkehr eingerichtet werden. Schäden gab es demnach auch in einem Eisenbahndepot. Dabei brannte ein Intercity-Zug aus.
EU-Vertretung in Kiew beschädigt
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas forderte Russland auf, das Töten zu beenden und sich an den Verhandlungstisch zu begeben. "Während die Welt einen Weg zum Frieden sucht, antwortet Russland mit Raketen", schrieb sie auf der Plattform X. Mit seinen nächtlichen Angriffen auf Kiew verspotte Russland die Friedensbemühungen. Als Reaktion auf den Angriff bestellte die EU den russischen Gesandten in Brüssel ein, so Kallas weiter.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte neue Sanktionen gegen Russland an. "Wir werden in Kürze unser 19. Paket mit harten Sanktionen vorlegen", sagte von der Leyen in Brüssel. Außerdem treibe die Kommission die Arbeiten voran, eingefrorene russische Vermögenswerte noch besser für die Ukraine zu nutzen.
Wegen der Schäden an der EU-Vertretung in Kiew warf der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha Russland auf der Plattform X vor, gezielt Diplomaten ins Visier genommen zu haben. Das österreichische Außenministerium schrieb auf Twitter in englisch: "Wir haben dem russischen Geschäftsträger mitgeteilt, dass der Schaden, der den Büros der EU-Delegation in Kiew zugefügt wurde, inakzeptabel ist! Angriffe auf zivile Infrastruktur müssen aufhören! Ein sofortiger Waffenstillstand ist dringend erforderlich!". Am Abend äußerte sich auch Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) auf X. Der Angriff auf die EU-Vertretung sei "eine weitere inakzeptable Eskalation", kritisierte er.
Die Einrichtungen des British Council wurden nach Angaben des Kulturinstituts schwer beschädigt und bleiben vorerst geschlossen. Schäden in ihren Büros meldete auch die Redaktion der beliebten Onlinezeitung "Ukrajinska Prawda". Auf von Behörden veröffentlichten Videos und Fotos waren schwere Verwüstungen in einem teils eingestürzten Wohnhaus und ausgebrannte Autos zu sehen. Es gab Berichte über zahlreiche Schäden und mehrere Brände.
Selenskyj fordert von China Druck auf Russland
Die russischen Drohnen- und Raketenschläge seien Moskaus Antwort auf den seit Wochen und Monaten geforderten Waffenstillstand und die Aufrufe zu echter Diplomatie, kritisierte Selenskyj. Russland nutze es aus, dass ein Teil der Welt sich blind stelle, wenn Kinder getötet würden.
Mit Blick auf die am Sonntag beginnende mehrtägige China-Reise von Kremlchef Wladimir Putin forderte Selenskyj Peking zu einer Reaktion auf die russischen Angriffe auf. China habe wiederholt dazu aufgerufen, den Krieg nicht auszuweiten und die Kampfhandlungen einzustellen. Er verlangte auch von Ungarn und anderen Staaten, ihr Schweigen zu brechen.
Es sei Zeit für neue Sanktionen gegen Russland, das alle Fristen verstreichen lasse und Dutzende diplomatische Initiativen ruiniert habe, sagte Selenskyj. Moskau müsse für jeden Schlag zur Verantwortung gezogen werden.
Ukraine schickt Unterhändler in die USA
Selenskyj schickte unterdessen seine Chefunterhändler zu Gesprächen über Sicherheitsgarantien für sein von Russland angegriffenes Land in die USA. Präsidialamtschef Andrij Jermak und Ex-Verteidigungsminister Rustem Umjerow sollen am Freitag in New York mit Vertretern der Regierung von US-Präsident Donald Trump sprechen, wie er in Kiew ankündigte. Seitens der Amerikaner bestätigte Trumps Unterhändler Steve Witkoff das Treffen.
"Alle, die an den Sicherheitsgarantien arbeiten - an den militärischen, politischen und wirtschaftlichen Komponenten der Sicherheitsgarantien -, werden einbezogen", sagte Selenskyj in einer abendlichen Videoansprache. "Die Russen müssen sehen, wie ernst es der Welt ist und wie schlimm die Folgen für Russland sein werden, wenn der Krieg weitergeht."
Gespräche über Sicherheitsgarantien
Bei den Sicherheitsgarantien geht es darum, die Ukraine nach einem Ende des Krieges vor einem Wiederaufflammen russischer Aggression zu schützen. Die USA planen, sich zu beteiligen, die militärische Hauptlast soll aber bei den Europäern liegen. Russland lehnt Truppen aus NATO-Ländern in der Ukraine bisher strikt ab.
Nach Angaben Selenskyjs sollen außerdem mögliche Orte für ein Treffen mit Kremlchef Putin erkundet werden. Dabei waren die ukrainischen Vertreter am Dienstag zu Besuch im Golfstaat Katar, am Mittwoch in Saudi-Arabien. Für Donnerstag waren Gespräche in der Schweiz geplant. Putin will indes erst dann mit einem Vertreter der Ukraine sprechen, wenn es eine fertig ausgehandelte Lösung für ein Ende des Krieges gibt. Russland führt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit mehr als dreieinhalb Jahren.
Ukraine greift zwei Raffinerien in Russland an
Die Ukraine setzte ihren Abwehrkampf auch mit Drohnenangriffen in Russland fort. In der Nacht wurden zwei weitere Ölraffinerien getroffen: eine im südrussischen Gebiet Krasnodar, eine im Wolgagebiet Samara. Angaben zum Ausmaß der Schäden gab es nicht. Der ukrainische Generalstab übernahm für beide Angriffe die Verantwortung.
Die Ukraine führt immer wieder Schläge gegen die Öl- und Gasindustrie in Russland. Durch Drohnentreffer auf Raffinerien hat Russland nach Medienberichten bis zu 17 Prozent der Kapazität zur Ölverarbeitung verloren. In vielen Regionen herrscht Treibstoffmangel. Die Benzinpreise sind massiv gestiegen. Zwei Insider berichteten am Donnerstag, dass das russische Öl-Exportterminal Ust-Luga wegen der Drohnenangriffe im September nur mit halber Kapazität arbeiten werde. Grund seien Schäden an der Pipeline-Infrastruktur in der Region Brjansk. Ausfallende Ölmengen sollen zu den Häfen Primorsk und Noworossijsk umgeleitet werden.
Zusammenfassung
- Bei einem russischen Angriff mit Raketen und Drohnen auf Kiew wurden mindestens 21 Menschen getötet, darunter vier Kinder, und zahlreiche Gebäude, darunter die EU-Vertretung und das British Council, schwer beschädigt.
- Die ukrainische Luftabwehr konnte 589 von 629 anfliegenden Raketen und Drohnen abwehren, dennoch gab es Einschläge an 13 Orten und Trümmer an 26 weiteren Stellen.
- Präsident Selenskyj verurteilte den Angriff als Sabotage an Friedensbemühungen, kritisierte China für mangelndes Engagement und entsandte Unterhändler zu Gesprächen über Sicherheitsgarantien in die USA.
- Die EU reagierte mit der Ankündigung eines 19. Sanktionspakets gegen Russland und bestellte den russischen Gesandten in Brüssel ein.
- Als Antwort auf die Angriffe griff die Ukraine zwei russische Ölraffinerien mit Drohnen an, wodurch Russland nach Medienberichten bis zu 17 Prozent seiner Ölverarbeitungskapazität verlor.