Missbrauch in der katholischen Kirche: Staatsanwaltschaft untersucht 42 Fälle

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Das neue Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising erschüttert die katholische Kirche. Betroffene erheben schwere Vorwürfe und die Justiz prüft, ob kirchliche Verantwortungsträger sich womöglich strafbar gemacht haben. Die Staatsanwaltschaft München I untersucht derzeit 42 Fälle von Fehlverhalten kirchlicher Verantwortungsträger

Die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW), die das aufsehenerregende Urteil im Auftrag des Bistums verfasst hat, habe der Staatsanwaltschaft im August 2021 "41 Fälle zur Verfügung gestellt", sagte Leiding - und einen weiteren Fall im November 2021. "Sie betreffen ausschließlich noch lebende kirchliche Verantwortungsträger und wurden stark anonymisiert übermittelt."

Sollten sich auf dieser Basis "Verdachtsmomente hinsichtlich eines möglicherweise strafrechtlich relevanten Verhaltens der kirchlichen Verantwortungsträger ergeben", würden die entsprechenden Unterlagen bei der Kanzlei angefordert und gegebenenfalls an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergegeben, so Leiding. "Welche strafrechtlichen Normen verletzt wurden, ist noch Gegenstand der Prüfung."

Persönliches Fehlverhalten bei Ex-Papst Benedikt XVI.

Das vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebene WSW-Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden und wirft den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor.

Fast 500 Opfer, 235 Täter: Dunkelziffer höher 

Auch dem aktuellen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, wird formales Fehlverhalten in zwei Fällen vorgeworfen. Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern sprechen die Gutachter, gehen aber von einem deutlich größeren Dunkelfeld aus.

Ratzinger: Vorwurf der Lüge

Besonders brisant ist die Rolle Ratzingers. Denn die Gutachter gehen davon aus, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Wahrheit gesagt hat.

Der renommierte Kirchenrechtler Thomas Schüller wird deutlicher: "Er hat eindeutig gelogen", sagte er Donnerstagabend im ARD-"Brennpunkt". Benedikt hatte immer wieder betont, an einer Sitzung im Jahr 1980 nicht teilgenommen zu haben, in der beschlossen wurde, dass ein Priester, der im Bistum Essen Buben missbraucht hatte, nach Bayern versetzt werden soll. Ratzinger war von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising.

Die Kanzlei WSW legte ein Protokoll vor, wonach Ratzinger - anders als von ihm behauptet - durchaus an der Sitzung teilgenommen hatte. "Der Reputationsschaden für Benedikt ist groß, gerade weil er sich bisher stets als Kämpfer gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche gezeigt hatte", erklärte der katholische Theologe Daniel Bogner.

Ratzingers Teilnahme an der Sitzung sei belegt, "weil das Protokoll Dinge referiert, die nur er wissen kann aus einem Gespräch mit Papst Johannes Paul II.", betonte Schüller im ARD-"Brennpunkt". Dass es bei diesem Gespräch ausgerechnet um die Entziehung der Lehrerlaubnis für Ratzingers langjährigen liberalen Widersacher, den Theologen Hans Küng, ging, nannte Schüller einen "Treppenwitz der Geschichte".

Ratzinger "brüskiert die Opfer ein zweites Mal"

"Er möchte heute nicht die Wahrheit sehen, sondern er leugnet sie und versucht, alle Verantwortung von sich zu schieben und dadurch brüskiert er die Opfer ein zweites Mal", kritisierte Schüller den emeritierten Papst. Der heutige Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx sei da schon weiter. "Er hat wirklich kapiert jetzt, dass er sich auf die Seite der Opfer zu stellen hat", sagte Schüller. "Ob es zu spät kommt, werden wir sehen."

Mehr Kirchenaustritte erwartet

Das Münchner Gutachten werde die Kirchenaustrittszahlen wohl weiter in die Höhe treiben. Entscheidend sei nun, wie man damit innerkirchlich umgehe: "Bleibt es dabei, einzelne Personen zur Verantwortung zu ziehen, oder werden strukturelle Schlüsse daraus gezogen?"

ribbon Zusammenfassung
  • Das neue Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising erschüttert die katholische Kirche.
  • Betroffene erheben schwere Vorwürfe und die Justiz prüft, ob kirchliche Verantwortungsträger sich womöglich strafbar gemacht haben. Die Staatsanwaltschaft München I untersucht derzeit 42 Fälle von Fehlverhalten kirchlicher Verantwortungsträger.
  • Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden.
  • Es wirft den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor. Benedikt soll auch gelogen haben.
  • Auch dem aktuellen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, wird formales Fehlverhalten in zwei Fällen vorgeworfen. Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern sprechen die Gutachter, gehen aber von einem deutlich größeren Dunkelfeld aus.
  • Das Münchner Gutachten werde die Kirchenaustrittszahlen wohl weiter in die Höhe treiben. Entscheidend sei nun, wie man damit innerkirchlich umgehe.