Migrationsdeal mit Tunesien "in jeder Hinsicht gescheitert"

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Im Juli schloss die EU ein Migrationsabkommen mit Tunesien, um illegale Migration über das Mittelmeer zu stoppen. Das sei aber "in jeder Hinsicht" gescheitert, wie Migrationsforscher Gerald Knaus sagte. Was an dem Deal schlecht ist und was es stattdessen braucht, erklärt er im Newsroom LIVE.

Mitte Juli unterzeichnete die EU eine Absichtserklärung mit Tunesien. Im Gegenzug für die Finanzhilfen soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren. So soll es rund eine Milliarde Euro an Hilfsgeldern geben und weitere 100 Millionen Euro für die tunesische Küstenwache.

Schon damals gab es heftige Kritik an dem Vorgehen. "Im Grunde zahlt die Europäische Union viel Geld an Tunesien, damit der Drittstaat Menschenrechtsverletzungen durchführt, die man dann selber nicht machen muss", sagte Migrationsexpertin Judith Kohlenberger damals etwa im PULS 24 Interview. 

Mehrere Menschenrechtsorganisationen berichten, dass tunesische Behörden immer wieder Menschen an der Grenze zu Libyen aussetzen und sie zwingen, zu Fuß mitten in der Wüste das Land zu verlassen. Human Rights Watch warf den tunesischen Sicherheitskräften vor, Hunderte Schutzsuchende kollektiv in Richtung der Grenze ausgewiesen zu haben, darunter Kinder und schwangere Frauen.

Fast 70 Prozent mehr ankommende Migranten in Italien

"In jeder Hinsicht ist dieses Abkommen gescheitert", sagte Migrationsforscher Gerald Knaus von der European Stability Initiative im Newsroom LIVE zu dem Migrationsdeal. Seit Unterzeichnung der Absichtserklärung am 16. Juli habe sich die Zahl der Menschen, die über das Meer kommen, drastisch erhöht". Allein im letzten Monat könnten es 30.000 gewesen sein, so der Migrationsforscher.

Die Zahl der in Italien ankommenden Migranten sei im Sechs-Wochen-Vergleich vor und nach dem Abkommen vom 16. Juli um 69 Prozent gestiegen, berichtet die "Bild"-Zeitung am Mittwoch unter Berufung auf Zahlen des italienischen Innenministeriums.

Mängel im Abkommen

Das Abkommen habe mehrere Mängel. Im Vergleich zum Deal mit der Türkei gebe es "ganz große Unterschiede", wie Knaus sagte. Es werde nicht genau geklärt, wie Tunesien die illegale Migration aufhalten soll. Konzepte zur Rücknahme von Migranten würden vollkommen fehlen.

Aufgrund der "katastrophalen Menschenrechtslage" sei es zudem ausgeschlossen, dass Menschen, die aus Tunesien in die EU kommen, dorthin auch wieder zurückgeschickt würden.

Am Geld würde es nicht liegen, dass Tunesien den Migrations-Deal nicht umsetze. "Man kann nicht die Polizei des Nachbarlandes kaufen. Das funktioniert nicht, wenn es nicht ein wirkliches Interesse in diesem Land gibt", so Knaus. 

Die anderen versprochenen Geldsummen seien an Reformen in Tunesien geknüpft, die der Präsident aber nicht annehmen wolle. Knaus spricht von nur "sehr vagen Versprechen".

Abkommen alternativlos?

Wir steuern in diesem Jahr auf eine der höchsten Zahlen von Toten im Mittelmeer hin", warnte der Migrationsforscher: "Es sind schon über 2.300 Menschen ertrunken. Es könnten bis Ende des Jahres leicht über 4.000 werden, wenn es so weitergeht." 

Grundsätzlich sei der Weg über Abkommen der Richtige. "Man muss mit Ländern in Afrika verhandeln", hielt Knaus fest. Es fehle derzeit aber "ein Konzept, welche Art von Angebot man Staaten machen kann, dass sie ein Interesse haben, mit der Europäischen Union zu kooperieren". 

Ziel müsse es sein, mit Hilfe von Abkommen, Menschen zu "entmutigen", illegal einzureisen. Gleichzeitig brauche es dafür auch legale Wege nach Europa, so Knaus.

ribbon Zusammenfassung
  • Im Juli schloss die EU ein Migrationsabkommen mit Tunesien, um illegale Migration über das Mittelmeer zu stoppen.
  •  Im Gegenzug für die Finanzhilfen soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren.
  • Das sei aber "in jeder Hinsicht" gescheitert, wie Migrationsforscher Gerald Knaus sagte.
  • Grundsätzlich sei der Weg über Abkommen der Richtige. "Man muss mit Ländern in Afrika verhandeln", hielt Knaus fest.
  • Es fehle derzeit aber "ein Konzept, welche Art von Angebot man Staaten machen kann, dass sie ein Interesse haben, mit der Europäischen Union zu kooperieren".