John Bolton: "Mit Trump gibt es keine Regeln"

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John Bolton, ehemaliger Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, im PULS 24 Interview.

17 Monate stand John Bolton an der Seite von US-Präsident Donald Trump, 17 Monate diente er ihm als Nationaler Sicherheitsberater. Über seine Zeit im Weißen Haus hat er ein Buch verfasst, das seit Wochen weltweit für Aufsehen sorgt. Gibt es doch tiefe Einblicke in die Psyche und Arbeit von Trump. Diese Woche erscheint die deutsche Übersetzung mit dem Titel "Der Raum, in dem alles geschah".  Im exklusiven TV-Interview mit PULS 24 spricht Bolton über seine Zeit im Weißen Haus, er beschreibt im Detail einen typischen Trump-Tag, erzählt, wie schwer es war den Präsidenten zu beraten. "Wenn ein US-Präsident nicht weiß, dass Helsinki nicht zu Russland gehört, wie kann ein Sicherheitsberater Trump überhaupt beraten ohne jedes Mal bei Adam und Eva zu beginnen", sagt Bolton im Interview mit PULS 24 Anchor Thomas Mohr.

PULS 24: Zugeschaltet aus Washington ist Botschafter John Bolton. Danke, dass Sie sich Zeit nehmen.

Bolton: Danke für die Einladung.

Da wir über den Atlantik hinweg sprechen, möchte ich mit dem Verhältnis der USA zu Europa beginnen. US-Außenminister Mike Pompeo hat die Länder Mittel-Europas besucht. Darunter Österreich, aber nicht  Deutschland. Ist das ein politisches Signal? Sie beschreiben es im Interview mit der Zeitung "Presse" so: "In gewisser Weise sieht US-Präsident Donald Trump in Kanzler Sebastian Kurz eine Alternative zu Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel."

Ich denke, das ist eine Erklärung. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe Österreich, ich liebe Wien, ich habe die Besuche dort immer genossen, die Treffen mit der Atombehörde und mit der Bundesregierung. Ich denke, Mike Pompeo könnte aber auch an seine eigene Präsidentschaftskampagne für 2024 gedacht haben. Vielleicht wollte er auch nur raus aus Washington.

Das hat also nichts mit Kanzler Sebastian Kurz zu tun. Wird in den USA seine Politik als Amerika-freundlich betrachtet?

Ich denke die ganzen Gespräche mit Kurz bei dessen Besuch in Washington, hatten zum Teil damit zu tun, dass Österreich zu der Zeit die EU-Präsidentschaft innehatte. Alles, was die Beziehung zu Nato-Ländern und zur EU verbessert, ist vorteilhaft. Der Außenminister kann nicht jedes Land besuchen, wenn er den Kontinent bereist.

Präsident Donald Trump sieht die Europäische Union oft als Gegner: "Die Union wurde gebildet, um die USA auszunutzen", sagt Trump. Ist das Trumps alleiniges Misstrauen?

Ich glaube, das ist seine Sicht auf die Europäische Union. Ich glaube, manches ist nur seine persönliche Reaktion. Ich habe meine eigene Meinung zur Europäische Union, ich befürworte aus vielen Gründen keine transnationale Regierungsform. Aber ich glaube nicht, dass diese für Trump ausschlaggebend sind.

Es gibt eine Menge Parallelen zwischen Ihnen und Trump. Sie sind konservativ. Sie galten schon immer als sogenannter Falke. Als Befürworter von Militärschlägen. Sie waren ein Architekt des Irak-Kriegs. Sie befürworten ein Bombardieren des Irans, um das Atomprogramm zu verhindern. Ebenso ist Donald Trump ein Gegner des Multilateralismus: Er droht mit Militärschlägen, auf Nordkoreas Atom-Programm würde er mit "Feuer und Wut wie es die Welt noch nie gesehen hat" antworten. Das alles klang, als wären Sie beide ein perfektes Paar. Aber: Was ist dann passiert?

Interessant, dass Sie die Frage so stellen. Viele in den Vereinigten Staaten sagen, es sei offensichtlich, dass Trump und ich zu gar nichts einer Meinung sind. Warum hätte ich dann den Job angenommen? Beginnen wir mit Trump: Er hat keine Philosophie, wenn es um nationale Sicherheit geht und wahrscheinlich auch keine für innenpolitische Belange. Er denkt nicht strategisch, er trifft ad hoc Entscheidungen. Es ist schwer zu sagen, was seine "Philosophie" ist. Ich glaube viele Entscheidungen die er trifft, basieren auf amerikanischer Innenpolitik. Er weiß, umso näher die Wahl im November rückt, desto mehr braucht er die Unterstützung von Konservativen und Republikanern. Und viele seiner Entscheidungen folgen diesem Kalkül und nicht weil er an die Entscheidungen glaubt. Es wird interessant zu sehen, ob er diese Politik so fortsetzt, wenn er die Wahl gewinnt. Denn dann fällt der Kampf um eine Wiederwahl weg.

Ist Außenpolitik für die Wählerbasis von Donald Trump unwichtig? Sehen die Wähler die Fehler nicht, die er macht?

Das ist mein Punkt. Wenn wir den Iran als Beispiel nehmen: Er hegt den Wunsch nach einer Vergeltung für Irans Aktionen gegen die USA, Saudi-Arabien, die Emirate und am Persischen Golf und gleichzeitig hat er am G7-Gipfel in Biarritz fast Frankreichs Präsident Macrons Angebot akzeptiert, den iranischen Außenminister zu treffen. Das ist der Beweis, dass er nicht in weltanschaulichen oder strategischen Belangen denkt. Das habe ich auch im Buch so beschrieben. Er muss sich nur um die politischen Folgen sorgen, speziell vor der Wahl. Aber, ob das in einer zweiten Amtszeit - falls er die Wahl gewinnt - ohne Druck auch wieder so abläuft ist fraglich. 

Sie beschreiben im Buch verschiedene Szenen und Umstände. Sie beschreiben auch das Gipfelgespräch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Trump lehnte den neutralen Treffpunkt im finnischen Helsinki ab. Da habe Trump gefragt, ob Helsinki nicht zu Russland gehört. Wie können Sie den mächtigsten Mann der Welt beraten, wenn Sie manchmal bei Adam und Eva anfangen zu erklären, wie die Welt aussieht?

Wir hatten so etwas sehr häufig. Ich kann nicht einmal zählen, wie oft ich ihm erklären musste, warum die Koreanische Halbinsel nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt wurde und warum noch immer amerikanische Truppen dort stationiert sind. Das war auch Teil des Problems, wie er mit der Ukraine umging. Er dachte, die sei im Wesentlichen ein Teil Russlands. Und das zog sich weiter über eine breite Themenpalette. Aber schauen Sie, jeder amerikanische Präsident kommt ohne umfassendes 360-Grad-Wissen zu jedem Thema, das ihn erwartet, ins Amt. Der Job ist einfach zu umfangreich. Amerikanische Präsidenten, die Spuren hinterlassen, gute Präsidenten, verstehen das und versuchen so schnell sie können, die Wissenslücken zu stopfen. Trump hatte aber gar kein Interesse seine Wissenslücken zu stopfen. Denn er glaubte, wichtig sei, was er bei Menschen fühlte. Egal ob es die deutsche Kanzlerin Merkel war oder der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un. Er dachte, sein Bauchgefühl führe ihn zur richtigen Entscheidung. Wenn man das so sieht, und das sah er genau so, dann muss man nicht viel wissen.

Das führt mich zur Frage, die Sie vorher erwähnten. In einem Interview mit der deutschen ARD sagen Sie über Ihren Amtsantritt als Nationaler Sicherheitsberater im April 2018: "Sie hofften, Trump werde im Amt ernsthafter werden." Aber zu dem Zeitpunkt sahen Sie Trump schon mehr als ein Jahr im Amt. Sie sahen ihn nicht nachvollziehbare Entscheidungen treffen, Mitarbeiter feuern und seine Basis auf Twitter füttern. Was hat Sie glauben gelassen, nach diesem Jahr werde es endlich besser?

Es war irritierend, so viel ist klar. Nur Wochen, bevor ich begonnen habe, gab Trump bekannt, er würde Kim Jong Un treffen, was ich als großen Fehler sah. Aber ich glaubte nichtsdestoweniger, das Gewicht des Amtes, die Größe der Verantwortung, die der Präsident hatte, würden sich auf ihn auswirken. Ich glaubte, mit meiner Erfahrung aus früheren Regierungen könnte ich helfen, mehr Ordnung und System in Entscheidungsprozesse einzubringen. Mein Buch ist in vielfacher Hinsicht die Geschichte darüber, wie ich damit in 17 Monaten gescheitert bin.

Trump betont wiederholt, er sei mental stabil. Sogar ein Genie. Ist er das?

Wie viele Leute kennen Sie, die sich selbst als "stabiles Genie" bezeichnen? Das allein sagt schon etwas aus über den Mann. Ich denke, das Ergebnis einer Präsidentschaft ist nichts, was Psychiater urteilen lassen kann. Es ist eine politische Angelegenheit. Meiner Ansicht nach ist die Bilanz der Regierung Trump als Misserfolg zu sehen. Ich glaube, wir können die Fehler ausbessern. Am Ende der ersten Amtszeit ist der Schaden noch zu reparieren, denke ich. Aber ich bin besorgt, und das ist ein Grund, warum ich Trump nicht für eine Wiederwahl unterstütze. Ich fürchte, der Schaden wird nach zwei Amtszeiten in vielen Bereichen irreparabel sein.

Wir kommen gleich zu dem möglichen Schaden den Sie erkennen, zunächst noch: Können Sie uns eine Beschreibung von einem typischen Tagesablauf von Trump im Weißen Haus beschreiben?

Es gibt keinen "typischen Tag" im Weißen Haus für einen Präsidenten, aber Trumps Zugang ist sicher noch unstrukturierter, als der von jedem anderen Präsidenten. Das kommt auch von seiner langjährigen Firmen-Organisation. Er selbst hat es so beschrieben: Jeden Tag ins Büro kommen, sagen: "Hey, was ist heute los? Schauen wir, was passiert…". Den selben Zugang hat er mit ins Weiße Haus gebracht. Er hat sich nicht angepasst - nicht einmal an die enorme Größe der US-Regierung. Wie Politik gemacht wird, hat er nicht sehr geschätzt. Er hat nicht einmal sein eigenes Team im Weißen Haus zu schätzen gewusst. Er sagte mir bei einigen Gelegenheiten, ich könnte den Job als Nationaler Sicherheitsberater mit vielleicht sechs oder acht Leuten im Team machen. Tatsächlich umfasst das Amt aber drei- bis vierhundert.Er genießt es, sich nicht festzulegen. Auf was er sich konzentriert, ist seine Wiederwahl, diesbezüglich ist seine Aufmerksamkeitsspanne unendlich. Das war das bestimmende Prinzip während meiner Zeit dort und offenbar auch seither.

Im Wahlkampf 2016 ist ein Satz stark kritisiert worden: "Ich könnte in der Mitte der Fifth Avenue in New York stehen, jemanden niederschießen und würde trotzdem keine Wählerstimmen verlieren."

Er hat eine Menge loyaler Unterstützer. Sehr viele dieser Leute waren ursprünglich Demokraten, klassische Arbeiter, Gewerkschafter, eine Gruppe, die damals auch die "Reagan-Demokraten" genannt wurden. Ich komme auch aus dieser Gruppe. Mein Vater war Feuerwehrmann in Baltimore, meine Mutter war Hausfrau. Sie konnten keine Ausbildung genießen. Diese Leute nehmen den Liberalen ihre Einstellung übel. Sie nahmen Hillary Clinton übel, wie sie sie als "erbärmlich" bezeichnet hat. Dass ihnen gesagt wurde, dass Fehler sie delegitimieren. Trump spielt mit diesen Bedenken und hat eine loyale Basis. Aber wir werden im November sehen, ob sie loyal genug ist. Ob sie zu ihm halten oder ob einige Republikaner sich absetzen und entweder für Joe Biden stimmen oder – wie ich es machen werde – den Namen eines anderen Kandidaten hinschreiben oder gar nicht wählen. Das wird das große Thema im November.

Wäre es entscheidend, wenn Republikaner öffentlich gegen Trump auftreten wie es der Ex-Gouverneur von Ohio John Kasich auf dem Demokraten-Parteitag getan hat?

Einige Republikaner die gegen Trump wahlkämpfen wollen zeigen, dass es möglich ist, Republikaner oder konservativ zu sein und ihn nicht zu wählen. Ich gehe nicht so weit, für Joe Biden zu stimmen. Ich kann es aufgrund der unterschiedlichen Weltanschauung nicht. Also werde ich am Wahltag unglücklich sein, weil ich für keinen der zwei Kandidaten stimmen werde. Aber es ist sicher möglich, dass es genug Republikaner gibt, die entweder für Biden stimmen oder einfach gar keinen der beiden wählen. Und wenn sich das als substanziell erweist, dann würde das zu Trumps Niederlage führen.

Derzeit wird in den USA die Briefwahl diskutiert, die Post könnte womöglich scheitern, die Stimmkuverts zu liefern. Schließen Sie aus, dass Trump die ganze Wahl nicht anerkennt und mit Tricks an der Macht bleiben will?

Bei Trump gibt es keine Regeln. Ich glaube aber nicht, dass er das vorbereitet. Zumindest sehe ich keine Beweise. Er hat zuletzt Dinge gesagt, die sehr problematisch sind. Etwa, "wenn ich nicht gewinne, dann nur, weil die Wahl gefälscht wurde". Ich glaube, wenn wir mehr Anzeichen dafür sehen, müssen mehr Menschen vorzeitig darauf hinweisen. Aber nach unserer Verfassung gibt es keine Chance, dass er nach dem 20. Jänner noch im Amt ist, wenn er die Wahl verliert. Das ist kein parlamentarisches System. Seine Amtszeit endet zu Mittag am 20. Jänner kommendes Jahr und er wird nicht mehr im Amt sein, wenn er die Wahl nicht gewonnen hat. Die Institutionen in unserem Staat sind stark. Was immer ihm durch den Kopf geht, er kann nicht das unvermeidliche Ergebnis der Wahl verhindern.

Stehen den USA ernste Probleme bevor und stehen der Welt ernste Probleme bevor, falls Donald Trump eine zweite Amtszeit gewinnen sollte?

Ich bin sehr beunruhigt über die Wirkung, die verstärkte Wirkung, von acht Jahren Trump als Präsident. Deswegen stelle ich mich gegen ihn. Angesichts der Vielzahl an Bedrohungen für den gesamten Westen, wird es eine Zeit brauchen, bis sich die Vereinigten Staaten wieder fangen und eine starke Führung sichern können. Ich bin auch besorgt über eine "Obama-Wiederholungs-Präsidentschaft" unter Biden. Aber das ist noch das beste, was ich erwarte. Noch mehr Sorgen mache ich mir über den Einfluss der Linken der demokratischen Partei auf Biden. Vier Jahre einer Biden-Präsidentschaft werden also andere Probleme aufwerfen. Aber ich habe Vertrauen in Amerika, dass wir diese überstehen.

Botschafter John Bolton, vielen Dank für das Gespräch, alles Gute.

Danke für die Einladung!

 

ribbon Zusammenfassung
  • John Bolton, ehemaliger Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump, im PULS 24 Interview.
  • 17 Monate stand John Bolton an der Seite von US-Präsident Donald Trump, 17 Monate diente er ihm als Nationaler Sicherheitsberater.
  • Über seine Zeit im Weißen Haus hat er ein Buch verfasst, das seit Wochen weltweit für Aufsehen sorgt.
  • Gibt es doch tiefe Einblicke in die Psyche und Arbeit von Trump.

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