In Wien haben am 4. Juni 2020 grob 50.000 Menschen gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert.FOTO: APA/HANS PUNZ

Instagram, TikTok und Bücher: Wo reden wir über Rassismus?

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Seit dem brutalen Tod des Afroamerikaners George Floyd protestieren Menschen weltweit und zum ersten Mal führen Bücher zum Thema Rassismus US- und britische Bestsellerlisten an, Black Lives Matter trendet auf Social Media. Verändert sich gerade die Rassismus-Diskussion?

50.000 Menschen in Wien, 10.000 in Graz, 3.000 in Linz, 4.000 in Innsbruck, 1.000 in Klagenfurt: So viele Menschen haben vor gut einer Woche in Österreich gegen Rassismus demonstriert. Auslöser war der brutale Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis. Doch nicht nur gegen Rassismus in den USA wurde protestiert, sondern auch gegen Diskriminierung und Polizeigewalt in Österreich. Ändert sich nun tatsächlich etwas daran, wie wir über Rassismus sprechen? So scheint es, wenn man einen Blick auf Social Media, Google-Suchanfragen und Buchkäufe wirft. 

APA/AFP/JOE KLAMAR

Informieren, zuhören, die Stimme erheben

Viele, vor allem schwarze Journalisten, machen bereits seit Jahren auch auf Missstände in Österreich aufmerksam. Sie sind aber oft nur auf begrenztes Interesse gestoßen. Einer dieser ist Tori Reichel. Für das Onlinemagazine “Vice” schrieb er bis 2018 über persönliche Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung. (Zum Beispiel hier oder hier)
“Es ist oft sehr frustrierend darüber zu reden, wenn man bereits in der Reaktion des Gegenübers sieht, dass der andere kein wirkliches Interesse hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen.” Irgendwann hatte er in den letzten Jahren dann keine Lust mehr, seine Energie dafür aufzuwenden, weißen Österreichern zu erklären was Rassismus ist. Ähnlich ging es auch dem Journalisten Simon Inou, wir er dem Wiener Magazin Metropole erzählt: “Ich war müde. Ich hatte so viel geschrieben, aber keiner wollte zuhören.” Vier Jahre lange hatte er sich komplett zurückgezogen. (Link zum Interview).
 

„Jetzt ist zum ersten Mal das Gefühl da, dass man sich nachhaltig in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen kann,” sagt Tori Reichel.
Was nun jeder Österreich machen kann? Sich informieren, Betroffenen zuhören und dann die eigene Stimme erheben, empfiehlt Reichel. 

„Jetzt ist zum ersten Mal das Gefühl da, dass man sich nachhaltig in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen kann.”

Tori Reichel, Journalist

Aktivismus auf Social Media 

Einer der Orte dafür: Social Media. Über 22 Millionen Instagram Postings findet man aktuell unter dem Hashtag #BlackLivesMatter. Darüber werden weltweit Informationen ausgetauscht, Erfahrungen geteilt und Unterstützung gezeigt. Ähnliches passiert auch auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Auf dem bisherigen Höhepunkt wurde der Hashtag #BlackLivesMatter 146.000 Mal auf Twitter verwendet. Das war nach dem Tod von Eric Garner durch Polizeigewalt im Dezember 2014. Am 28. Mai 2020, drei Tage nach dem Tod von George Floyd, waren es laut Berichten der New York Times 8 Millionen Tweets.

Reicht es, sich nun nur auf Social Media über Rassismus zu informieren und aktiv zu werden? Nein, aber es ist ein Anfang, meint Tori Reichel: “Ich glaube, dass es dazu geführt hat, dass eine noch viel breitere Masse das Thema wahrgenommen hat. Wenn man einmal dazu Stellung bezogen hat und Solidarität gezeigt hat, dann ist es für viele Leute nur der logische nächste Schritt, sich ein bisschen weiter damit zu beschäftigen.” 

Informiert euch

Dass in den letzten Wochen bereits viele genau das gemacht haben, zeigen auch die Google-Suchanfragen in Österreich zum Thema Rassismus: In der Woche ab dem 23.Mai sind diese sprunghaft angestiegen. Gesucht wird jetzt nach “Rassismus”, “Was ist Rassismus” und “Black lives matter” oder auch “Rassismus in Österreich”. Vor allem in Wien und Tirol wird verstärkt danach gegooglet. 

“Vom Phänomen her ist das wie ein Literaturnobelpreis."

Beatrice Baumann, Buchhändlerin

Auch offline wird nach Information gesucht. Nämlich in Buchhandlungen: “Vom Phänomen her ist das wie ein Literaturnobelpreis,” sagt Beatrice Baumann, Inhaberin der Grazer Buchhandlung “Büchersegler”. Damit meint sie den starken Anstieg an Nachfragen nach Büchern zum Thema Rassismus. Nach Preisverleihungen steigen im Normallfall die Kundenanfragen so stark an, dass es teilweise zu lange Lieferzeiten für bestimmte Bücher kommt. Bisher sei Rassismus eher ein Nischenthema unter ihren Kunden gewesen, erklärt Beatrice Baumann. Von vielen der aktuell sehr gefragte 15 Titel hatte sie anfangs zwei, drei Stück lagernd, diese waren jedoch schnell verkauft und nun würde es bis zu zwei Wochen dauern, bis wieder geliefert werden kann. Ähnliches berichtet auch die Wiener Buchhandlung Anna Jeller.

Besonders gefragt sind aktuell Sachbücher und Kinderbücher zum Thema Rassismus.

In den USA beschäftigen sich im Moment 12 der Top 15 Bücher auf der New-York-Times-Bestsellerliste mit dem Thema Rassismus. In der Vorwoche waren es fünf, in jener davor keins. Zum ersten Mal besteht die "Top 10" der New York Times Bestsellerliste für Sachbücher aus vorwiegend Titeln die sich mit Rasse und Rassismus auseinandersetzen.

In Großbritannien sind mit Bernardine Evaristo ("Girl, Woman, Other") und Reni Eddo-Lodge ("Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche") erstmals zwei schwarze Frauen auf Platz 1 der Bestseller Liste. Everisto in der Kategorie "Belletristik (Taschenbuch)" und Eddo-Lodge auf der Liste "Sachbuch (Taschenbuch)". Bernardine Evaristo ist damit nicht nur die erste schwarze Frau auf Platz 1, sondern auch generell erst die zweite schwarze Person. Vor ihr gelang das nur dem Jamaikanische Autor Marlon James. "Erstaunlich", nennt sie das in einem Tweet. 

Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen

Das im deutschen Sprachraum dazu gerade gefragteste Buch ist “Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten” von der deutschen Journalistin Alice Hasters. Erschienen ist es bereits 2019 und zu dem Zeitpunkt auf Platz 19 der SPIEGEL-Bestsellerliste (Sachbuch, Paperback) eingestiegen. Innerhalb der letzten zwei Wochen ist der Verkauf rasant gestiegen – in der Woche vom 5. April war es noch auf Platz 20, nun hält es Platz 4. Hasters schreibt darin über ihre persönlichen Erfahrungen mit Alltagsrassismus und was die vielen oft sogar gut gemeinten Fragen, Kommentare und Witze von weißen Menschen bei ihr auslösen. Mückenstiche nennt sie diese Mikroaggressionen, die vielen kleinen “Einzelfälle” die in der Summe aber nur schwer auszuhalten sind. 

In Buchhandlungen steigt die Nachfrage nach Anti-Rassismus-Büchern

In Buchhandlungen steigt die Nachfrage nach Anti-Rassismus-Büchern

Nicht nur Sachbücher und Romane für Erwachsene werden gesucht, auch Kinder- und Jugendbücher sind gefragt. Gerade für Kinder ist die illustrierte Biographie von Rosa Parks sehr begehrt, beim Jugendbuch empfiehlt Baumann “The Hate u give” von Angie Thomas. Ein Buch über eine 16-jährigen Schülerin, die den Tod ihres besten Freundes durch einen Polizisten mitansehen muss. Eltern würden mit ihren Kindern über Rassismus sprechen wollen, Kindergärten brauchen Exemplare für ihre Bibliothek und Baumann stellt gerade eine Liste für eine Schulklasse zusammen. Gerade das Schulsystem habe noch viel aufzuholen kritisieren sowohl Alice Hasters, als auch Tori Reichel. Viel zu wenig würden Schüler über Afrika, Sklaverei und Europas Rolle im Kolonialismus lernen.

Trend zum Anti-Rassismus-Buch?

Ob es den Trend zum Anti-Rassismus-Buch in Österreich tatsächlich schon gibt, da ist Helmut Zechner, Vorsitzender des Hauptverbands des österreichischen Buchhandels, noch etwas skeptisch: An den aktuellen Verkaufszahlen der letzten zwei Wochen könne er es noch nicht erkennen. Viele der Anti-Rassismus-Bücher könne sie gerade aber gar nicht verkaufen, da sie nur verzögert geliefert werden ergänzt Buchhändlerin Beatrice Baumann. 

Weiße Menschen haben so wenig Übung darin, mit ihrem eigenen Rassismus konfrontiert zu werden, dass sie meist wütend darauf reagieren, anfangen zu weinen oder einfach gehen.

Alice Hasters, Autorin von "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen"

Hört zu

Was können Weiße sonst noch tun, außer sich zu informieren? Zuhören: “Ich glaube es kann nicht schaden, selber einfach mal ein bisschen weniger zu sagen und anderen Leuten ein bisschen mehr zuzuhören und sich so vielleicht ein bisschen eine differenzierte Meinung zu bilden,” sagt Tori Reichel. “Weiße Menschen haben so wenig Übung darin, mit ihrem eigenen Rassismus konfrontiert zu werden, dass sie meist wütend darauf reagieren, anfangen zu weinen oder einfach gehen,“ schreibt auch Alice Hasters. Ihre Reaktion werde dann als irrational, empfindlich, dramatisierend oder überemotional bewertet. Die Menschen würden dann nur hören, dass sie schlechte Menschen, böse oder ein Nazi seien, es fehle dann oft die Vorstellung was Rassismus wirklich ist.


Dem entgegenwirken wollen auch die Macher des Facebook- und Instagram-Profils “Listen & Speak”. Dort teilen sie persönliche Erfahrungen zum Thema Rassismus. “Rassismus entgegenzutreten heißt nicht nur Rassismus bei anderen zu erkennen, sondern auch bei sich selber”, sagt eine der Gründerinnen Nancy Mensah-Offei in einem Video. Es soll ein Ort sein, wo sich Menschen austauschen können. Das erste Video, in dem sie selbst über Erfahrungen aus ihrer Schulzeit erzählt, wurde bereits 14.000 Mal auf Instagram angesehen.


Zuhören kann man auch Elias Doppler, der in einem Video auf seinem Youtube-Kanal über persönliche Erlebnisse spricht und Tipps gibt, wie man besser mit Rassismus umgehen kann. Über 13.000 Menschen haben sich das gut 25-minütige Video bereits angesehen.

Bezieht Stellung

Nach informieren und zuhören, sei es nun aber vor allem an der Zeit, dass wir aus dieser Situation herauskommen: Informiert euch, hört zu und sprecht Menschen auf ihren Rassismus an, empfiehlt Tori Reichel. “Traut euch den Mund aufzumachen. Traut euch etwas zu sagen, gerade wenn wir selbst nicht da sind, weil dann können wir uns selbst nicht wehren. Der Zeitpunkt, wo man keine Stellung beziehen kann, muss spätestens mit der aktuellen Debatte vorbei sein.”

Traut euch den Mund aufzumachen. Traut euch etwas zu sagen, gerade wenn wir selbst nicht da sind, weil dann können wir uns selbst nicht wehren. Der Zeitpunkt, wo man keine Stellung beziehen kann, muss spätestens mit der aktuellen Debatte vorbei sein.

Tori Reichel, Journalist

Mehr Information zu Rassismus:

Bücher (Sachbuch und Romane)

“Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen” - Alice Hasters

“Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche” - Reni Eddo-Lodge

“Deutschland Schwarz-Weiß” - Noah Sow 

“Gebrandmarkt: Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika” - Ibram X Kendi

“exit RACISM” - Tupoka Ogette 

“White Fragility” - Robin DiAngelo

“So you want to talk about race” - Ijeoma Oluo

“Die Herkunft der anderen” - Toni Morrison 

“Barracoon” - Zora Neale Hurston

“Between the World and Me” - Ta-Nehesi Coats

“Nach der Flut, das Feuer” - James Baldwin

“The Underground Railroad” Colson Whitehead 

“Americanah” - Chimamand Ngozi Adiche 

Für Kinder und Jugendliche:

“Good Night Stories for Rebel Girls” - Elena Favilli und Francesca Cavallo

“Little People: Rosa Parks” - Lisbeth Kaiser

“The hate u give” - Angie Thomas 

“Queenie” - Candice Carty Williams

*Buchempfehlungen basierend auf Top 10 Listen, Verkaufscharts, Buchhändler Empfehlungen, Blogs und online Ressourcen, Alice Hasters

Links

Wie es ist, als schwarzes Kind am österreichischen Land aufzuwachsen - Tori Reichel  

Was ich mir von meinen weißen Freunden wünsche - Tori Reichel 

Was bedeutet Schwarzsein auf Österreichs Straßen, im Fernsehen, an Universitäten oder auf Opernbühnen - PULS 24 Infochefin Corinna Milborn für Zeit online 

Rassismus in Österreich - Video von Lukas Doppler 

Listen and Speak auf Instagram 

 

ribbon Zusammenfassung
  • Seit dem brutalen Tod des Afroamerikaners George Floyd protestieren Menschen weltweit und zum ersten Mal führen Bücher zum Thema Rassismus US- und britische Bestsellerlisten an, Black Lives Matter trendet auf Social Media.
  • 50.000 Menschen in Wien, 10.000 in Graz, 3.000 in Linz, 4.000 in Innsbruck, 1.000 in Klagenfurt: So viele Menschen haben vor gut einer Woche in Österreich gegen Rassismus demonstriert.
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