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Halbierung der Sozialhilfe? Experte: Nehammer-Idee träfe wenige

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Ausländer aus Nicht-EU-Staaten sollen in den ersten fünf Jahren nur noch die halben Sozialleistungen bekommen, schwebte dem Kanzler in seiner "Zukunftsrede" vor. Europarechtler Leidenmühler erklärt, dies würde aufgrund der Gesetzeslage "nur eine äußerst kleine Gruppe" betreffen. Ökonom Badelt warnt vor einem Durchlöchern des sozialen Sicherheitsnetzes.

Es war nur eine kurze Passage in der rund 80-minütigen "Rede zur Zukunft der Nation" von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), aber sie erregte viel Kritik beim grünen Koalitionspartner sowie Diskussionen unter Juristen. Er wolle bis zum Jahr 2030 "die Sozialleistungen in Österreich so neu regeln, dass nur der zum vollen Sozialleistungsbezug berechtigt ist, der mindestens fünf Jahre durchgängig in Österreich lebt", sagte Nehammer am Freitag. Wer das nicht tue, solle "nur die Hälfte" bekommen.

Gemeint habe er "Menschen, die aus Drittstaaten zu uns kommen", also aus Ländern außerhalb der Europäischen Union, führte der Kanzler gegenüber PULS 24 und anderen Medien am Montag aus. Details eines ÖVP-Konzepts dazu versprach er für später, die Stoßrichtung sei jedenfalls, die "irreguläre Migration" zu "unterbinden".

"Äußerst kleine Gruppe"

Europarechtsexperte Franz Leidenmühler von der Johannes-Kepler-Universität Linz hält die Nehammer-Idee im Gespräch mit PULS 24 schon aus rechtlichen Gründen für wenig zielführend. "Wenn es um Drittstaatsangehörige geht, sind der Regierung europarechtliche Grenzen gesetzt. Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige von EU-Bürgern sind und sich in Österreich aufhalten, sind mit EU-Bürgern zum Beispiel völlig gleichberechtigt. Auch für Personen, die Asylberechtigte sind, gibt es europarechtliche Vorgaben. Dann gibt es die subsidiär Schutzberechtigten - dort gibt der europarechtliche Rahmen vor, dass zumindest Kernleistungen bezahlt werden müssen", erklärt Leidenmühler. "Eine vierte Gruppe sind all jene Drittstaatsangehörigen, die seit fünf Jahren im Land sind - auch diese sind gleich wie österreichische Staatsbürger zu behandeln."

Fazit des Rechtsprofessors: "Es kann einerseits aus europarechtlichen und andererseits aus verfassungsrechtlichen Gründen nur um eine äußerst kleine Gruppe gehen." Denn das EU-Recht schütze viele Gruppen vor Kürzungen von Sozialleistungen. Das Arbeits- und Sozialrecht in Kombination mit dem Verfassungsrecht wiederum räume all jenen Drittstaatsangehörigen, die im Erwerbsleben stehen, bestimmte Rechte ein.

Leidenmühler: "Jene, die übrig bleiben, sind wohl jene Menschen, die Hilfe am dringendsten brauchen. Da stellt sich die Frage, ob der finanzielle Gewinn für die öffentliche Hand es wert ist, Armut im Land zu erzeugen."

Das "unterste Sicherheitsnetz"

Vor den Folgen drastischer Kürzungen warnt auch Christoph Badelt. Der Ökonom gilt als Präsident des Fiskalrates als wichtige Stimme in finanzpolitischen Fragen. "Der Kanzler meinte wohl den Bereich der Sozialhilfe. Entscheidend ist dabei aus meiner Sicht, ob jemand berechtigt im Land ist. Wenn ja, ist der Sinn der Sozialhilfe, Menschen, die sonst keine Mittel haben, so viel Geld- oder Sachleistungen zu geben, dass sie ein menschenwürdiges Leben führen können", sagt der Fiskalratspräsident zu PULS 24.

Schließlich sei die Sozialhilfe "das unterste soziale Sicherheitsnetz", bekräftigt Badelt seine Aussage in der ORF-"Pressestunde" am Sonntag. "Bei Kürzungen stellt sich die Frage, wovon die Leute leben werden? Die Sozialhilfe ist nicht so großzügig angelegt, dass man auch von der Hälfte leben könnte", erinnert er.

Nehammer zeigte sich am Montag dennoch zuversichtlich, dass man die Sozialleistungen für Nicht-EU-Ausländer innerhalb der ersten fünf Jahre deutlich zusammenstreichen kann. Er verwies auf Modelle in Dänemark und Griechenland.

Gestaffelte Kinderbeihilfe: ÖVP bekam Abfuhr

Zur Erinnerung: Die ÖVP ist bei der Senkung der Familienbeihilfe für ausländische Eltern, die in Österreich arbeiten, deren Kinder jedoch in einem anderen EU-Land leben, schon einmal am EU-Recht gescheitert. Die von der türkis-blauen Regierung in die Wege geleitete Indexierung der Familienleistungen stelle eine ungerechtfertigte, mittelbare Diskriminierung dar, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Vorjahr. Österreich muss den benachteiligten Familien die Differenzsummen demnach zurückzahlen.

Kanzler bekräftigt, Nicht-EU-Ausländern Sozialleistungen kürzen zu wollen

Karl Nehammer nahm am Montag noch einmal Stellung zu seiner "Zukunftsrede" von Freitag und seinen klima- und migrationspolitischen Zielen.

ribbon Zusammenfassung
  • Ausländer aus Nicht-EU-Staaten sollen in den ersten fünf Jahren nur noch die halben Sozialleistungen bekommen, schwebte dem Kanzler in seiner "Zukunftsrede" vor.
  • Europarechtler Leidenmühler erklärt, dies würde aufgrund der Gesetzeslage "nur eine äußerst kleine Gruppe" betreffen.
  • Ökonom Badelt warnt vor einem Durchlöchern des sozialen Sicherheitsnetzes.