Gahleitner-Gertz: Asyl-Reform der EU weitab vom Durchbruch

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Die EU-Mitgliedsstaaten einigten sich auf einen Kompromiss zur umstrittenen Asylreform. NGOs sehen keine Verbesserungen, die Länder müssen sich auch weiterhin nicht an die Vorgaben halten. Die EU hätte sich für eine restriktive Migrationspolitik entschieden, der Weg dafür, Kinder und Familien in Gefängnis-ähnliche Zentren zu stecken, sei so geebnet worden.

Brüssel einigte sich nach jahrelanger Diskussion auf einen Gesetzestext zum Asyl. Aber ist es ein Durchbruch? 

Lukas Gahleitner-Gertz von der österreichischen NGO Asylkoordination erklärt, dass die Einigung "More of the same" sei - also alles beim Alten. Anfang Juni 2024 wird in der EU gewählt - deshalb gab es großen Druck, zu einer Einigung zu kommen. 

Was sind die Neuerungen?

  • Einheitliche Grenzverfahren an EU-Außengrenzen
  • Verteilung der Schutzsuchenden mittels "Solidaritätsmechanismus"
  • Einfachere Abschiebung bei schlechten Aussichten auf Asyl

Die Migranten sollen in Grenznähe festgehalten und von dort aus direkt abgeschoben werden. Juristisch werden sie dabei als nicht eingereist betrachtet. Das Asylverfahren und die Abschiebung sollen in der Regel je zwölf Wochen dauern. Die Mitgliedsländer wollen zunächst 30.000 Plätze in Grenzlagern schaffen, nach vier Jahren sollen es 120.000 sein. Auch Kinder und Familien sollen in diesen Zentren festgehalten werden können.

Wenn Länder keine Geflüchteten aufnehmen, müssen sie Ausgleichszahlungen leisten. Das soll pro Person, die nicht aufgenommen wird, 20.000 Euro kosten.

Bisher sollten Verfahren über Bleiberecht an den EU-Außengrenzen durchgeführt werden - mit der Einigung habe sich hier kaum etwas geändert, so Gahleitner-Gertz. Neu ist, dass Menschen dabei in eine Art "Haft" genommen werden können, die Verfahren sollen schnell außerhalb der EU abgewickelt werden.

Menschenrechte müssen eingehalten werden

Österreich könne Asylsuchende nicht dorthin zurückstellen, weil es dort keine menschenwürdige Versorgung gebe, so Gahleitner-Gertz. Österreich ist an die Europäische Menschenrechts-Konvention gebunden, auch wenn die EU ein anderes Vorgehen theoretisch erlauben würde.

"Es ist jetzt vollkommen ohne Antwort nach wie vor, was sich am zukünftigen System diesbezüglich ändern soll. Und hier muss man natürlich auf den genauen Text warten, aber gleichzeitig sind hier sehr viele Fragen, die sich stellen."

Unausgereifter Plan

In der EU nahmen vor allem Länder wie Griechenland große Zahlen an Geflüchteten auf. Seit 2016 wurde deshalb an einer EU-weiten Reform gearbeitet.

Der vorgeschlagene Verteilungsmechanismus sei aber nur schwach ausgeprägt, so Gahleitner-Gertz. Es sei ein Problem, bei den Zuständigkeiten nur auf die Außengrenzländer zu schließen und weder einen funktionierenden Verteilungsmechanismus, noch eine Garantie auf die Einhaltung der Aufnahmebedingungen zu haben. Es würde genauso weitergehen wie bisher.

"Das heißt, ohne Verteilung, ohne wirksame Verteilung, ohne Sanktionen, wenn Länder die Aufnahmebedingungen an den Außengrenzländern nicht einhalten, werden wir keinen großen Wechsel sehen."

"Freikaufen" gegen Widerstand

Gahleitner-Gertz glaubt, dass durch die Reform die Gefahr besteht, dass es sehr viel mehr Asyl-Lager wie zum Beispiel auf der Insel Moria geben müsste. Die Lager seien sehr schnell überfordert, ein anderer Weg wäre es, die bestehenden Lager auszubauen. Dafür seien Investitionen in menschenwürdige Quartiere und Rechtsschutz nötig - das System würde sonst nicht funktionieren. Es werde viel zu wenig über die Aufnahmebedingungen gesprochen, so Gahleitner-Gertz, nur dann sei es diskutabel überhaupt über Rückführungen in diese Länder zu sprechen.

Dass sich Länder über den Solidaritätsmechanismus nun von der Pflicht "freikaufen" können, sei ein Zugeständnis für eine Einigung gewesen. Aber die Regeln hatte es bereits gegeben - die EU-Mitgliedsstaaten hatten sich nur sanktionslos nicht daran gehalten.

Ein Lokalaugenschein im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Moria

20.000 Menschen ohne Reisedokumente sind seit Anfang des Jahres über die Türkei auf die griechische Insel Lesbos gekommen. Unter den Geflüchtet befinden sich auch viele Kinder. Wie sie Situation vor Ort aussieht und wie es den Kindern geht, haben sich Charlotte Heß und Christoph Isaac Krammer für PULS 24 angeschaut.

Kritik von Politik und NGOs

Kritik kommt auch von Parteien wie den Grünen: "Rechtsstandards- und -garantien werden aufgeweicht, Grenzverfahren und Inhaftierungen werden großes menschliches Leid hervorrufen und das Sterben im Mittelmeer wird nicht beendet", sagt Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im EU-Parlament.  

Der FPÖ gehen die Maßnahmen nicht weit genug, die ÖVP wiederum zeigt sich optimistisch - die Kanzlerpartei sieht einen Schritt in die richtige Richtung. Auch die NEOS befürworten den "Kompromiss". 

Amnesty International Österreich sieht einen "menschenrechtlichen Dammbruch", heißt es in einer Aussendung. Auch Caritas Europa und Oxfam EU sehen keine Verbesserung in der Verteilung von Geflüchteten und kritisieren die "Inhaftierung, von Kindern und Familien in gefängnisähnlichen Zentren".

Der Asylpakt soll bis zur Europawahl greifen, die von 6. bis 9. Juni 2024 stattfindet. Dafür müssen Mitgliedsländer und das Europaparlament das Gesetzespaket noch formell beschließen.

ribbon Zusammenfassung
  • Die EU-Mitgliedsstaaten einigten sich auf einen Kompromiss zur umstrittenen Asylreform.
  • NGOs sehen keine Verbesserungen, die Länder müssen sich auch weiterhin nicht an die Vorgaben halten.
  • Die EU hätte sich für eine restriktive Migrationspolitik entschieden, der Weg dafür Kinder und Familien in Gefängnis-ähnliche Zentren zu stecken, sei so geebnet worden.