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Europäischer Gerichtshof: EU darf Rechtsstaatlichkeit erzwingen

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Der Europäische Gerichtshof hat eine neue Regelung zur Ahndung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in der EU für rechtens erklärt. Die Richter in Luxemburg wiesen am Mittwoch Klagen von Ungarn und Polen ab und machten damit den Weg für die Anwendung des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus frei.

Dies ermöglicht es, betroffenen Ländern im letzten Schritt EU-Mittel zu kürzen. Konkret geht es um die "Verordnung über die Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit", die seit Anfang 2021 in Kraft ist. Sie soll dafür sorgen, dass Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben, wenn dadurch ein Missbrauch von EU-Geldern in einem Land droht. In solchen Fällen kann die EU-Kommission vorschlagen, Auszahlungen aus dem gemeinsamen EU-Budget zu kürzen. Ungarn reagierte empört auf die Entscheidung.

Kürzungen von Milliardenzahlungen

Ungarn und Polen droht nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum sogenannten Rechtsstaatsmechanismus die Kürzung von Milliardenzahlungen aus dem EU-Haushalt. Die Richter in Luxemburg wiesen am Mittwoch Klagen beider Länder gegen das Instrument zurück. Damit wächst der Druck auf die zuständige EU-Kommission von Ursula von der Leyen, schnell gegen beide Länder vorzugehen. Budapest und Warschau kritisierten das Urteil und warfen der EU Machtmissbrauch vor.

Beide Länder erhalten jedes Jahr Milliarden aus dem EU-Haushalt. Kritiker werfen ihnen jedoch seit Jahren vor, sich die Justiz Untertan zu machen und die Rechtsprechung entgegen den EU-Standards zu beeinflussen. Die EU hatte sich auch deshalb ein Instrument zugelegt, das Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien ahnden soll, wenn dadurch ein Missbrauch von EU-Geld in einem Land droht. Dabei geht es um Grundsätze wie die Unabhängigkeit der Justiz und die Verfolgung von Straftaten. Die "Verordnung über die Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit" ist seit 2021 in Kraft.

Polen und Ungarn sahen sich allerdings von Anfang zu Unrecht im Fokus des neuen Instruments und klagten vor dem EuGH. Bis zum Urteil wollte die EU-Kommission warten, ehe sie den Mechanismus auslöst. Das ist auch Teil einer Abmachung der Staats- und Regierungschefs von 2020, mit der die Regierungen in Budapest und Warschau dazu gebracht worden waren, ihre Blockade wichtiger EU-Haushaltsentscheidungen aufzugeben.

Argumente zurückgewiesen

Der EuGH wies die Argumente Polens uns Ungarns zurück, wonach die EU ihre Zuständigkeit überschreite. Die Richter erklärten, das Ziel der Verordnung sei nicht, Verstöße gegen den Rechtsstaat zu ahnden - sondern vielmehr der Schutz des EU-Haushalts, der durch etwaige Verstöße gefährdet sein könnte. Zudem betonten sie, dass die EU auf dem Vertrauen der Mitgliedsstaaten gründe, dass diese die gemeinsamen Werte achten. Also müsse die EU auch in der Lage sein, diese Werte zu verteidigen.

Mit Blick auf den Gemeinschaftshaushalt stellt der EuGH klar, dass dieser eines der wichtigsten Instrumente der Solidarität zwischen den EU-Staaten sei. Zudem sehe die Verordnung ein strenges Verfahren vor, bei dem betroffene Länder mehrfach die Gelegenheit zur Stellungnahme haben. "Unter diesen Umständen weist der Gerichtshof die Klagen Ungarns und Polens in vollem Umfang ab."

Reaktionen aus Österreich

Nun wäre eigentlich die EU-Kommission am Zug. Ihre Aufgabe ist es, Verfahren nach dem Mechanismus einzuleiten und letztlich vorzuschlagen, bestimmten Ländern das Geld zu kürzen. Vor allem das Europaparlament setzt die Behörde unter Druck. Die SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath forderte am Mittwoch eine " sofortige und rückwirkende Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus". Auch die Grünen kritisierten das bisherige Zögern der EU-Kommission. "Als Hüterin der Verträge ist diese Vorgehensweise der EU-Kommission grob fahrlässig den Bürger*innen aller Mitgliedsstaaten gegenüber, da dies als Unterstützung der Regierungen gewertet werden kann", so die Grüne EU-Delegationsleiterin Monika Vana.

"Die Kommission hat jetzt keine Ausrede mehr, den Rechtsstaatsmechanismus nicht zu verwenden. Ich erwarte mir jetzt schnell ein klares Zeichen", forderte auch die NEOS-EU-Abgeordnete Claudia Gamon. Die EU-Kommission "muss nun - bei weiterer Weigerung - Sanktionen gegen Ungarn und Polen verhängen", twitterte auch der Vizepräsident des EU-Parlaments Othmar Karas (ÖVP). "Wenn sich jemand nicht an die Spielregeln hält, soll er auch keine finanzielle Unterstützung bekommen", begrüßte auch die ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig die Entscheidung. Das EU-Parlament hatte die EU-Kommission bereits vor dem EuGH verklagt, weil sie mit weiteren Schritten bis zum Urteil warten wollte.

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) begrüßte das Urteil ebenso und zeigte sich überzeugt, "dass Polen und Ungarn nun ihr Wort halten" und die Entscheidung akzeptieren würden, wie sie im "Ö1"-Mittagsjournal erklärte. Die Forderung, den Mechanismen auch rückwirkend anzuwenden, kritisierte sie als "irreführend", denn man habe sich politisch darauf geeinigt, zunächst die EuGH-Entscheidung abzuwarten, bevor man den Mechanismus anwende. Durch den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus habe die EU-Kommission nun "die Möglichkeit, klar Zähne zu zeigen, aber auf anderer Seite soll die Rechtsstaatlichkeit nicht dazu führen, uns weiter zu spalten", sagte Edtstadler.

Von der Leyen dämpft Erwartungen

Und die EU-Kommission? Von der Leyen geriert sich immer wieder als entschiedene Verteidigerin des Rechtsstaats. Die Erwartung rascher Strafen gegen Ungarn, Polen oder andere Länder dämpfte sie in einer Reaktion am Mittwoch jedoch. Ihre Behörde werde erst einmal gründlich die Begründung des Urteils und mögliche Auswirkungen analysieren. In den kommenden Wochen werde man dann die Leitlinien zur Anwendung des Mechanismus beschließen.

Empörung aus Ungarn und Polen

Ungarn und Polen reagierten empört auf das EuGH-Urteil. Polen kritisierte das Urteil als Versuch, die Mitgliedsländer um ihre Freiheit zu bringen. Die EU wandele sich von einem Raum der Freiheit zu einem Raum, wo man rechtswidrig Gewalt anwenden könne, um den Mitgliedsstaaten die Freiheit zu nehmen und ihre Souveränität einzuschränken, sagte Justizminister Zbigniew Ziobro in Warschau.

Die ungarische Justizminister Judit Varga sprach auf Facebook von einem "politischen Urteil". Es sei ein lebender Beweis dafür, dass Brüssel seine Macht missbrauche. Die ungarische Regierungspartei Fidesz sprach von einem "politischen Rachefeldzuges" und einem "Rechtsstaatlichkeits-Jihad gegen Ungarn". Das Urteil sei ein weiterer Versuch, Druck auf Ungarn wegen dessen Gesetz zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transsexualität auszuüben. Die ungarische Opposition begrüßte das Urteil dagegen. Der EuGH habe entschieden, dass er "Dieben kein Geld gibt", erklärte der gemeinsame Spitzenkandidat der Opposition für die Parlamentswahl, Pèter Márki-Zay, auf Facebook.

Noch Zustimmung notwendig 

Noch ist der Mechanismus aber nicht im Einsatz - zumal am Ende mindestens 15 der 27 EU-Länder, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, einer Kürzung der Mittel zustimmen müssten. Gegen ein schnelles Vorgehen könnten auch politische Erwägungen sprechen. Warschau sendete zuletzt Signale der Entspannung nach Brüssel. Und in Ungarn steht Anfang April eine Parlamentswahl an. Sollte die EU-Kommission vorher gegen die rechtsnationale Regierung vorgehen, könnte das als Wahlkampfeinmischung verstanden und vom populistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zum eigenen Vorteil genutzt werden.

Doch selbst, wenn es mit der Anwendung des Rechtsstaatsmechanismus noch dauert - die EU-Kommission hat noch ein anderes Druckmittel gegen Ungarn und Polen in der Hand. Bisher hat die Behörde wegen rechtsstaatlicher Bedenken noch keine Milliarden aus dem Corona-Hilfsfonds für beide Länder freigegeben.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Europäische Gerichtshof hat eine neue Regelung zur Ahndung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit in der EU für rechtens erklärt.
  • Die Richter in Luxemburg wiesen am Mittwoch Klagen von Ungarn und Polen ab und machten damit den Weg für die Anwendung des sogenannten Rechtsstaatsmechanismus frei.
  • Dies ermöglicht es, betroffenen Ländern im letzten Schritt EU-Mittel zu kürzen.
  • Konkret geht es um die "Verordnung über die Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit", die seit Anfang 2021 in Kraft ist.
  • Sie soll dafür sorgen, dass Verstöße gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung nicht mehr ungestraft bleiben, wenn dadurch ein Missbrauch von EU-Geldern in einem Land droht.
  • n solchen Fällen kann die EU-Kommission vorschlagen, Auszahlungen aus dem gemeinsamen EU-Budget zu kürzen. Polen und Ungarn sahen sich besonders im Fokus des neuen Instruments und klagten deshalb dagegen vor dem EuGH.

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