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EU will im Herbst Verfahren für Mittelkürzungen starten

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Die EU-Kommission will im Herbst erste Verfahren in die Wege leiten, die zu einer Kürzung der EU-Mittel für Länder wie Ungarn und Polen führen könnte. Wenn sich herausstelle, dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigten oder dies drohe, müssten Maßnahmen ergriffen werden, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch im EU-Parlament. Außerdem kritisierte sie erneut Ungarns LGBT-Gesetz.

Von der Leyen forderte Ungarn noch einmal nachdrücklich zu einem sofortigen Rückzug des Gesetzes zur Einschränkung von Informationen über Homo- und Transsexualität auf. "Dieses Gesetz nutzt den Schutz der Kinder (...) als Vorwand, um Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung schwer zu diskriminieren", sagte sie. "Es widerspricht zutiefst den Grundwerten der Europäischen Union - dem Schutz der Minderheiten, der Menschenwürde, der Gleichheit und der Wahrung der Menschenrechte."

Laut von der Leyen laufe die Untersuchung zu den Verfahren über mögliche Mittelkürzungen bereits. Zugleich machte von der Leyen deutlich, dass der Europäische Gerichtshof vor endgültigen Entscheidungen noch über einen von Polen und Ungarn eingelegten Einspruch gegen das im vergangenen Jahr geschaffene Sanktionsinstrument entscheiden muss. Das werde dann für jedermann Klarheit bringen, sagte sie.

Das Europaparlament kritisiert seit Monaten, dass die EU-Kommission das neue Instrument zur Kürzung von EU-Mitteln bei Rechtsstaatsverstößen bisher nicht nutzt. Zuletzt wurde deswegen bereits ein Verfahren für eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission eingeleitet. Mit dem Schritt soll die Behörde dazu gebracht werden, den sogenannten Konditionalitätsmechanismus unverzüglich anzuwenden. Er sieht vor, dass EU-Ländern Mittel aus dem Gemeinschaftsbudget gekürzt werden können, wenn wegen Rechtsstaatsverstößen ein Missbrauch der Gelder droht.

Kritiker werfen sowohl der ungarischen als auch der polnischen Regierung vor, einen Einfluss auf die Justiz auszuüben, der nicht mit EU-Standards vereinbar ist. Sie sehen deswegen auch eine Gefahr für das EU-Budget, weil in der Regel nationale Strafverfolgungsbehörden und Gerichte für die Aufklärung eines möglichen Missbrauchs von EU-Geldern zuständig sind. Polen und Ungarn weisen die Vorwürfe zurück.

Der ÖVP-EU-Parlamentarier Othmar Karas betonte am Mittwoch in einer Online-Pressekonferenz vor Journalisten, dass der Druck für Rechtsstaatlichkeit und für die Einleitung des Rechtsstaatsmechanismus erhöht werden müsse. Karas erwartete eine Aktivierung des neuen Mechanismus, für den es im Gegensatz zu einem Artikel-7-Verfahren keine Einstimmigkeit braucht und der deshalb ein "wichtiger Fortschritt" sei, bis spätestens Ende des Sommers. Allerdings handle es sich dabei nicht um eine Attacke gegen Ungarn, sondern lediglich um ein Prüfverfahren. Wenn die EU nicht garantieren könne, dass ihre Gelder in die "richtigen Kanäle" fließen, etwa in die Bekämpfung von Korruption, dann "haben wir ein Glaubwürdigkeits- und Vertrauensproblem", betonte Karas.

Zur Abstimmung über den nächsten Schritt zur Umsetzung des Rechtsstaatsmechanismus, die am Mittwochnachmittag angesetzt ist, sagte Angelika Winzig, ÖVP-Delegationsleiterin und Haushaltskontrolleurin: "Die Verteidigung und Wahrung unserer gemeinsamen europäischen Werte ist wichtig und richtig. Wichtig ist jetzt die unverzügliche Anwendung des Mechanismus."

"Wie lange kann man eigentlich zuschauen, wenn etwas völlig in die falsche Richtung läuft? Es ist Zeit für echte Konsequenzen!", betonte SPÖ-EU-Abgeordnete Bettina Vollath am Mittwoch. Die Ungarn-Berichterstatterin der S&D-Fraktion kritisierte im Rahmen einer Aussprache im EU-Parlament die viel zu lange Dauer der Verfahren und verwies darauf, dass das Rechtsstaats-Verfahren gegen Polen schon vor dreieinhalb Jahren gestartet wurde, ein paar Monate später gegen Ungarn.

"Die Kommission hat unverzüglich ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Orbans Anti-LGBTIQ Gesetz einzuleiten und den Rechtsstaatsmechanismus anzuwenden", erklärte Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament, anlässlich der Plenardebatte am Mittwoch und einer für Donnerstag geplanten Resolution zur Rechtsstaatlichkeit in Ungarn.

"Mit dem Anti-LGBTIQ-Gesetz hat (Ungarns Premier Viktor) Orbán eine weitere rote Linie überschritten", sagte NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon anlässlich der Debatte und Entschließung im EU-Parlament zum Thema. Die liberale Renew Europe Fraktion, der Gamon angehört, bringt einen entsprechenden Änderungsantrag in die Entschließung ein. Sollte Ungarn das Gesetz nicht zurücknehmen, müsse der nächste Schritt gesetzt werden, der Konsequenzen, wie die Aberkennung von Stimmrechten, möglich mache, so Gamon.

Das umstrittene ungarische Gesetz richtet sich gegen Pädophile. Es untersagt aber auch, dass Filme, Informationen und Veröffentlichungen mit Darstellungen von Lesben und Schwulen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren gezeigt werden dürfen. Zudem werde behauptet, dass diese Informationen negative Auswirkungen auf die körperliche und moralische Entwicklung Minderjähriger hätten. "Dieses Gesetz stellt Homosexualität und Geschlechtsumwandlung auf eine Stufe mit Pornografie", sagte von der Leyen. "Dieses Gesetz ist schändlich."

Die EU-Kommission hatte bereits kurz nach Verabschiedung des Gesetzes angekündigt, dass sie den Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof bringen werde, wenn die ungarische Regierung nicht einlenkt. Von der Leyen unterstrich dies am Mittwoch noch einmal. Sie werde alle Instrumente, die der Kommission zur Verfügung stehen, nutzen, um die europäischen Grundwerte zu verteidigen, sagte sie.

Die ungarische Regierung weist die Vorwürfe zurück. Ministerpräsident Orban argumentiert, das Gesetz sorge nur dafür, dass Eltern allein darüber entscheiden könnten, wie sie die sexuelle Erziehung ihrer Kinder gestalten wollten. Es richte sich nicht gegen Homosexualität.

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  • Die EU-Kommission will im Herbst erste Verfahren in die Wege leiten, die zu einer Kürzung der EU-Mittel für Länder wie Ungarn und Polen führen könnte.

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