EU-Kommissar für stärkere Bindung von EU-Geld an Grundwerte
Versammlungsfreiheit und Gleichheit seien Grundwerte der Europäischen Union, bekräftigte McGrath. Die Pride sei "eine sehr kraftvolle und sichtbare Demonstration der Solidarität und Unterstützung für die LGBTQ+-Community in Budapest" geworden. Der EU-Generalanwalt habe eine klare und kritische Stellungnahme zum so genannten Kinderschutzgesetz abgegeben, das die Handhabe für das Verbot der Pride dargestellt hat.
Im Vorfeld war eine Welle von Strafverfügungen gegen mittels Überwachungskameras und entsprechender Software identifizierter Teilnehmer befürchtet worden. "Wir haben den ungarischen Behörden auch eine Reihe von Fragen zu bestimmten Aspekten des Gesetzes zum Verbot von Versammlungen gestellt, und diese Fragen konzentrierten sich auf die Gesichtserkennungstechnologie, die Datenschutzgrundverordnung und Datenschutzbedenken. Wir warten auf die Antwort der ungarischen Behörden, die wir dann auswerten und über mögliche nächste Schritte entscheiden werden", sagte der Ire, der in der zweiten EU-Kommission von Ursula von der Leyen für Demokratie, Justiz, Rechtsstaatlichkeit und Verbraucherschutz zuständig ist.
Grundsätzlich könne sich die EU bei Grundrechtsverletzungen nur auf die EU-Verträge stützen, es sei jedoch ein Lernprozess im Gange. Aufgrund von Art. 7 der Verträge, der als härteste Maßnahme eine Aussetzung der Stimmrechte eines Mitgliedslandes vorsieht, sind einige Verfahren gegen Ungarn im Laufen. Mehr Spielraum würde eine stärkere Verknüpfung bestimmter Standards mit der Ausschüttung von Geldern im nächsten, gerade vorbereiteten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR/MFF) bieten. Derartige Überlegungen flössen nun mit ein, so McGrath. Ziel sei, "dass kein einziger Euro für Länder zur Verfügung stehen wird, in denen die Rechtsstaatlichkeit nicht respektiert wird. Daher stehen wir natürlich in ständigem Kontakt mit der Kommissionspräsidentin und ihrem Team sowie mit Haushaltskommissar Piotr Serafin, um die geeignete Architektur für den kommenden MFR zu finden."
Zu der Situation der Rechtsstaatlichkeit in konkreten Ländern wie Spanien, das mit einem Korruptionsskandal zu kämpfen hat, oder der Slowakei und Italien, die mit Vorwürfen der Einschränkung der Medienfreiheit konfrontiert werden, wollte McGrath unter Verweis auf den bereits in den nächsten Tagen erscheinenden Rechtsstaatlichkeitsbericht 2025 nichts sagen. 2024 hatte die EU in dem Bericht auch Österreich kritisiert, etwa wegen politischer Einflussnahme auf Postenbesetzungen in der Justiz. Ob hierzu Fortschritte konstatiert wurden, wird man daher erst in einigen Tagen wissen.
Kein Einwand gegen Spruchpraxis des EGMR
Deutlicher wurde der EU-Kommissar dagegen in Richtung jener neun Mitgliedsländer (inklusive Österreich), die in einem Offenen Brief bekundet haben, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu einer härteren Spruchpraxis bei der Abschiebung verurteilter Straftäter in Drittländer, wo sie möglicherweise menschenrechtswidrige Behandlung erwarten könnte, bewegen zu wollen. Es stehe ihm als Kommissar nicht zu, das Schreiben zu kommentieren, "aber wir respektieren die Urteile des Gerichtshofs für Menschenrechte. Und wir glauben, dass sie die Arbeit unserer eigenen Institutionen ergänzen, und dass wir sie auch weiterhin unterstützen werden." Im Gegenteil: Innerhalb dieses Kommissionsmandats solle endlich der Beitrittsprozess der EU als Ganzes zur Europäischen Menschenrechtskonvention abgeschlossen werden. Bisher sind nur alle Mitgliedsländer einzeln dabei.
EU-Strategie für Digitalisierung der Justizsysteme
Das am Dienstag veröffentlichte "Justice Score Board 2025" (Justizbarometer) habe sich in den 13 Jahren seines Bestehens zu einem wichtigen Instrument des Rechtsstaatlichkeitsinstrumentariums entwickelt, sagte McGrath. "Es zeigt, wo es gute Fortschritte gibt, aber auch, wo noch mehr Arbeit zu tun ist. Ich denke, die Digitalisierung ist ein Bereich, in dem wir in allen Mitgliedstaaten sicherlich noch viel zu tun haben. Deshalb brauchen wir eine EU-weite Strategie für die Digitalisierung der Justizsysteme. Diese werden wir noch in diesem Jahr vorlegen."
EU wird von Paketen aus China "überschwemmt"
Betreffend seiner Zuständigkeit für Konsumentenschutz betonte Michael McGrath im Interview die Bedeutung des in Vorbereitung befindlichen "Digital Fairness Act" für den Minderheitenschutz im Internet und kündigte an, noch in diesem Jahr nach China reisen und direkt mit den chinesischen Behörden sprechen zu wollen. "Wir sind uns über die Risiken und Chancen des Handels mit China im Klaren", fasste er zusammen. In seinem Bereich bringe der Onlinehandel eine explosionsartige Zunahme von in die EU eingeführten Kleinpaketen. "Wir werden davon überschwemmt - mit etwa 12 Millionen dieser Pakete an jedem einzelnen Tag - wobei über 90 Prozent davon aus China stammen."
"Es gibt hier zwei Schlüsselthemen, zum einen die Produktsicherheit und zum anderen das Verbraucherschutzrecht. Die Botschaft muss laut und deutlich sein, dass jeder die Gesetze der Europäischen Union in Bezug auf Produktsicherheit und Verbraucherschutz einhalten muss", sagte der EU-Kommissar. "Das ist ein ernstes Problem. Auch unter dem Gesichtspunkt gleicher Wettbewerbsbedingungen müssen wir über Mechanismen verfügen, die EU-Vorschriften vollständig umzusetzen. Wenn wir das nicht tun, werden die europäischen Unternehmen den Kürzeren ziehen."
Zusammenfassung
- EU-Kommissar Michael McGrath sieht die Rekordteilnahme an der Budapest Pride als starkes Zeichen für europäische Werte und die Zivilgesellschaft in Ungarn.
- Versammlungsfreiheit und Gleichheit werden als Grundwerte der EU betont, während das ungarische Kinderschutzgesetz vom EU-Generalanwalt kritisch beurteilt wurde.
- Die EU prüft das ungarische Gesetz zum Verbot von Versammlungen hinsichtlich Gesichtserkennung und Datenschutz und wartet auf eine Antwort der ungarischen Behörden.
- McGrath fordert, dass im kommenden mehrjährigen Finanzrahmen kein EU-Geld an Länder gehen soll, die die Rechtsstaatlichkeit nicht respektieren.
- Im Bereich Konsumentenschutz warnt McGrath vor etwa 12 Millionen täglich eingeführten Kleinpaketen in die EU, von denen über 90 Prozent aus China stammen.