EU-Experten: Dänischer EU-Vorsitz zeigt bei Migration Härte
Der Däne Jacob Funk Kirkegaard, Chefanalyst beim Brüsseler Wirtschafts-Think Tank Bruegel, sagte zur APA, dass das Thema "weniger Migration" bei den meisten EU-Ländern "ganz oben auf der Tagesordnung" stehe. Er nennt als Beispiele die neuen Regierungen in Österreich und Deutschland oder die italienische Regierung unter Giorgia Meloni. "Das einzige große Land, das sich dagegen wehrt, ist Spanien", sagt er auf die Frage, wo die Unterschiede zwischen den EU-Staaten liegen. Der spanische Premierminister stehe aber zu Hause unter erheblichem politischen Druck, und dürfte daher wenig entgegenbringen. Im Rat der EU-Mitgliedsländer, der in der EU die Beschlüsse fällt, gebe es eine "überwältigende Mehrheit an rechtsgerichteten Ländern", sagt auch Davide Colombi vom Brüsseler Centre of European Policy Studies (CEPS).
"Der Strom irregulärer Migranten nach Europa muss reduziert und die Außengrenzen der EU müssen gesichert werden. Die irreguläre Migration darf den europäischen Zusammenhalt nicht gefährden", so das dänische Programm. "Die dänische Ratspräsidentschaft wird an neuen und innovativen Lösungen arbeiten, um die irreguläre Migration zu kontrollieren und die Zahl der Einreisen in die EU zu verringern", heißt es. "Die regulären Wege für Menschen, in die EU zu kommen, beruhen oft auf Talent und Qualifikation", so Colombi im Gespräch mit der APA. "Die Diskussion kann Rassismus verbergen", denn nicht die Arbeitskräfte aus dem globalen Süden seien damit gemeint, sondern etwa "talentierte Menschen aus Kanada".
Die EU-Mitgliedstaaten wollten ausdrücklich eine Migrationspolitik, die sich an Beschäftigungsmöglichkeiten für Einwanderer orientiere und gleichzeitig die Familienzusammenführung einschränke, so Kirkegaard. Sein Heimatland sei für diesen Ansatz das beste Beispiel. Wenn Einwanderung auf Beschäftigung basiere, profitierten davon die Staatsfinanzen. Aber: "Wenn Sie Einwanderung überwiegend auf der Grundlage von Familienzusammenführung und Asylbewerbern verfolgen, ist ein gutes wirtschaftliches Ergebnis unwahrscheinlich." Studien mehrerer EU-Staaten deuteten auf negative Auswirkungen auf die Staatsfinanzen hin.
"Recht auf Familienzusammenführung als Menschenrecht"
Niemand verweigere den Mitgliedstaaten das Recht, Menschen anzuwerben, die sie als nützlich für ihre Wirtschaft erachten, betont CEPS-Experte Colombi. Aber: "Wenn die Privilegierung einiger Personengruppen zu Lasten Tausender anderer geht, stellt sich die Frage, ob die Politik mit Menschenrechten, Völkerrecht und EU-Recht im Einklang steht." Auch von Beschränkungen des Familiennachzugs von Ländern wie Österreich oder Deutschland hält er nichts: "Das Recht auf Familienzusammenführung für Flüchtlinge ist nicht nur eine Frage des Asylrechts, sondern auch der Menschenrechte. Menschen haben ein Recht auf Familienleben."
Von Dänemark erwartet der Italiener, dass sie "im Wesentlichen wie auf nationaler Ebene vorgehen werden". Er nennt als Beispiel für das, was Dänemark während des Ratsvorsitzes eventuell erreichen wollte, das auch von Österreich mitunterzeichnete und von Dänemark und Italien initiierte Schreiben für eine Neuauslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention im Bereich Migration. Neun europäische Länder hatten dazu aufgerufen, die Ausweisung ausländischer Straftäter zu vereinfachen. In Österreich sorgte die Initiative für einige Aufregung und Kritik.
"Zwei große Knackpunkte"
Kirkegaard sieht "zwei große Knackpunkte": Erstens die Abschiebungen und die Entscheidung auf EU-Ebene, welche Länder als sichere Rückkehrländer gelten: "Die dänische Ratspräsidentschaft wird sich dafür einsetzen, dass mehr Länder als sichere Rückkehrländer eingestuft werden, auch umstrittene Länder wie Syrien und Afghanistan", ist er überzeugt. Auch Österreich will in diese Länder wieder abschieben - in erster Linie Straftäter und Gefährder. Im dänischen Programm heißt es dazu, Dänemark wolle "die Verhandlungen über die Vorschläge zur Änderung des Konzepts eines "sicheren Drittstaats" und zur Erstellung einer Liste sicherer Herkunftsstaaten auf Unionsebene vorantreiben, um eine umfassendere Anwendung der Vorschriften durch die Mitgliedstaaten (...) zu unterstützen".
Das Argument, die EU-Länder würden nicht genügend Rückführungen durchführen, stimmt laut Menschenrechtsexperte Colombi so nicht: "Viele Menschen können aus logistischen oder rechtlichen Gründen nicht zurückgebracht werden. Die Mitgliedstaaten sollten diese Anordnungen gar nicht erst erteilen." Er sieht auch Probleme mit der Definition sicherer Drittstaaten: "Einige davon sind gar nicht sicher oder nicht für alle sicher." Er kritisiert eine "politische Bewertung einer Situation, die eine rechtliche Bewertung erfordert".
Auffangzentren nicht wörtlich im Programm
Als zweiten kritischen Punkt nennt der dänische Oberleutnant die "Idee der dänischen Regierung, auf nationaler Ebene Abkommen mit Drittländern außerhalb der EU zu schließen, um sie für die Bearbeitung von Asylanträgen zu bezahlen". Asylbewerber würden sich dann während des Asylverfahrens nicht im Schengen-Raum, sondern in Auffangzentren aufhalten. Colombi hält dieses Konzept der "Return hubs" in Drittstaaten für "problematisch" und sieht Probleme bei der Rechenschaftspflicht.
"Der Erfolg der EU bei der Verhinderung irregulärer Migration nach Europa hängt stark von der konstruktiven Zusammenarbeit mit den Partnerländern entlang der Migrationsrouten ab", heißt es im Programm. Die dänische Präsidentschaft will auch "beiderseitig vorteilhafte, umfassende und strategische Partnerschaften mit wichtigen Drittländern" fördern. Die umstrittenen Auffangzentren ("Return hubs") sind nicht namentlich erwähnt.
(Von Franziska Annerl/APA)
Zusammenfassung
- Dänemark hat am 1. Juli 2024 für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz übernommen und erklärt die Eindämmung irregulärer Migration zur Priorität.
- Migrationsexperten erwarten, dass die dänische Linie auf breite Unterstützung stößt, da im EU-Rat laut Experten eine ‚überwältigende Mehrheit an rechtsgerichteten Ländern‘ vertreten ist.
- Das dänische Programm sieht vor, die Zahl der Einreisen in die EU durch neue und innovative Maßnahmen zu verringern und die Außengrenzen zu sichern.
- Ein zentraler Streitpunkt ist die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten für Abschiebungen, auch auf umstrittene Länder wie Syrien und Afghanistan.
- Pläne, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern und Familienzusammenführungen einzuschränken, stoßen bei Experten auf Kritik und werfen menschenrechtliche sowie rechtliche Fragen auf.