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Elternstrafen bei Schulproblemen für Sozialarbeit untauglich

Heute, 04:01 · Lesedauer 5 min

An den von Bildungsminister Christoph Wiederkehr (NEOS) geplanten Strafen für unkooperative Eltern kommt Kritik aus der Sozialen Arbeit. Sie seien "keine taugliche Maßnahme" für mehr Bildungsgerechtigkeit, betont Julia Pollak vom Berufsverband der Sozialen Arbeit (OBDS) gegenüber der APA. Kinder und Jugendliche würden nämlich "in den wenigsten Fällen" Schule schwänzen oder sich selbst oder ihre Mitschüler gefährden, weil in ihrer Familie der Wert von Bildung ignoriert wird.

Laut Gesetzesentwurf, dessen Begutachtungsfrist gerade geendet hat, sollen Eltern, die ein Gespräch im Rahmen der geplanten Suspendierungsbegleitung oder ein Perspektivengespräch bei drohendem Schulabbruch verweigern, künftig bis zu 1.000 Euro Verwaltungsstrafe bezahlen müssen. Gleichzeitig soll die Höchststrafe bei Schulpflichtverletzungen auf 1.000 Euro angehoben werden. Sie soll künftig auch gelten, wenn Schüler, die wegen Deutschförderbedarf zum Besuch der zweiwöchigen Sommerschule verpflichtet werden, nicht zum Unterricht kommen. Um ein "Freikaufen" zu verhindern, können all diese Strafen auch mehrfach verhängt werden.

Tatsächlich seien Schulpflichtverletzungen und selbst- oder fremdgefährdendes Verhalten öfter Thema als noch vor zehn Jahren. Aber: "Diese Phänomene sind meist die sichtbaren Folgen komplexer Ursachen", betont OBDS-Geschäftsführerin Pollak und nennt neben Mobbing und Gewalterfahrungen durch andere Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonal oder in der Familie auch Erkrankungen, Entwicklungsverzögerungen bzw. -störungen und Traumata oder emotionale Belastungen. All das habe in den vergangenen Jahren zugenommen.

Gleichzeitig können laut Rückmeldungen aus der Kinder- und Jugendhilfe viele Erziehungsberechtigte wegen eigener Erkrankungen oder Überforderung ihre Kinder nicht in dem Ausmaß oder der Form unterstützen, wie es von der Schule erwartet wird, schildert Pollak. Das ohnehin überlastete Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystem sei nicht mehr in der Lage, diese Probleme aufzufangen.

Die Gruppe "unkooperativer Eltern", für die die neuen Strafen gedacht sind, schätzt Pollak aufgrund von Rückmeldungen aus Schulsozialarbeit, Offener Jugendarbeit und Kinder- und Jugendhilfe allerdings als klein ein. "Alle Eltern meinen es in der Regel gut mit ihrem Kind und wollen das Beste." Die meisten würden laut den Expertinnen und Experten aus der Praxis auch positiv auf Unterstützungsangebote aus der Schulsozialarbeit reagieren. Sollten Eltern nicht die Bedürfnisse ihrer Kinder erkennen oder sie fördern können bzw. diese vernachlässigen, wird schon jetzt die Kinder- und Jugendhilfe informiert.

"Strafen bewirken kein Umdenken"

Vor allem Eltern, die selbst nur geringe Bildung haben oder nicht in Österreich aufgewachsen sind, können sich bei der Kooperation mit der Schule laut Pollak allerdings schwer tun. Das "System" Schule sei für sie "nur schwer greifbar" und das Bild von persönlichen Annahmen geprägt, die nicht zum Selbstverständnis der Lehrer und Schulbehörde passen. Manchmal würden Eltern die Schule bzw. Unterstützungsangebote wie die Kinder- und Jugendhilfe auch als "Gegner" wahrnehmen und den Kontakt verweigern oder eine inhaltliche Auseinandersetzung zu ihrem eigenen oder dem Verhalten ihrer Kinder verweigern, um das Familiensystem zu schützen.

Für Pollak ist allerdings klar: "Drohungen und hohe Strafen werden in beiden der geschilderten Fälle kein Umdenken bewirken." Stattdessen bräuchte es aus ihrer Sicht "Übersetzungsarbeit im wortwörtlichen und übertragenen Sinn" und das Vorleben der Schulpartnerschaft im Sinne von gemeinsamer Verantwortung von Lehrern, Schülern und Erziehungsberechtigten. Besonders bei älteren Kindern oder Jugendlichen sei noch dazu der Einfluss der Eltern beschränkt: Sie können zwar etwa den Schulbesuch ihrer Kinder fördern, sie in der Früh wecken, in die Schule begleiten und an Gesprächen mit der Schule teilnehmen. Das heiße aber noch nicht, dass die Kinder auch mitziehen (können).

Von den geplanten neuen Strafen für Eltern erwartet Pollak angesichts dieser Vorzeichen keinen großen Nutzen. Beispiel Suspendierungsbegleitung: Laut Bildungsministerium werden jedes Jahr 2.000 Schüler vom Unterricht ausgeschlossen, um Mitschüler und Lehrer vor Gefahr zu schützen. In den allermeisten Fällen seien die Eltern aber ohnehin zur Kooperation mit der Schulsozialarbeit bereit, wie Pollak aus der Praxis berichtet. Die Zahl der potenziellen Strafen schätzt sie deshalb als "äußerst gering" ein.

Verhängung von Schulschwänz-Strafen "willkürlich"

Die Erfahrungen mit den schon 1985 eingeführten Verwaltungsstrafen bei Schulschwänzen sprechen für Pollak nicht für die Ausweitung von Pönalen. Ihrer Erfahrung nach wissen Eltern über die Schulpflicht und die Strafen bei Schulschwänzen ohnehin Bescheid und in der Praxis hänge es oft von den jeweiligen Personen bzw. Verwaltungsbehörden ab, welche Fehlzeiten als Schulpflichtverletzung gewertet und ob Strafen ausgestellt oder die Kinder- und Jugendhilfeträger um zusätzliche Erhebungen ersucht werden. Aus der Schulsozialarbeit werde der Umgang als "willkürlich" beschrieben, so Pollak.

Werden Strafen verhängt, sei selbst die aktuelle Mindeststrafe von 110 Euro für Familien mit Geldsorgen schon eine Belastung. Oft sei auch die Kinder- und Jugendhilfe schon mit den Familien befasst, weil von der Schule eine Gefährdung des Kindeswohls vermutet wird oder weil es wegen anderer Problemlagen schon eine Betreuung gibt. Zur ohnehin belastenden Situation komme für die Eltern dann noch eine Verwaltungsstrafe dazu. In Fällen, wo die Kinder und Jugendlichen in einer Wohngemeinschaft und nicht bei den Eltern leben, müsste bei Schulpflichtverletzungen eigentlich die Kinder- und Jugendhilfe die Strafe bezahlen. Davon kann zwar abgesehen werden, für das notorisch überlastete Personal der Behörde bedeute die Prozedur trotzdem zusätzlichen Verwaltungsaufwand.

Statt neue Strafen einzuführen oder bestehende zu erhöhen sollte man aus Pollaks Sicht besser Schulsozialarbeit und Präventionsangebote gegen Gewalt ausbauen und Übergänge innerhalb der Systeme etwa bei einem Schulwechsel besser begleiten.

Zusammenfassung
  • Die von Bildungsminister Christoph Wiederkehr geplanten Strafen von bis zu 1.000 Euro für unkooperative Eltern bei Schulproblemen stoßen auf deutliche Kritik der Sozialen Arbeit.
  • Laut Julia Pollak vom Berufsverband der Sozialen Arbeit (OBDS) sind diese Strafen keine geeignete Maßnahme, da Schulpflichtverletzungen oft auf komplexe Ursachen wie Mobbing, Gewalt oder Erkrankungen zurückzuführen sind.
  • Die Gruppe der tatsächlich unkooperativen Eltern wird als sehr klein eingeschätzt, und die meisten Eltern reagieren laut Praxis positiv auf Unterstützungsangebote der Schulsozialarbeit.
  • Die Verhängung von Schulschwänz-Strafen wird als willkürlich beschrieben, und selbst die aktuelle Mindeststrafe von 110 Euro stellt für viele Familien mit Geldsorgen bereits eine Belastung dar.
  • Pollak fordert statt neuer Strafen einen Ausbau der Schulsozialarbeit und Präventionsangebote gegen Gewalt sowie bessere Begleitung bei Systemübergängen wie einem Schulwechsel.