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EGMR überprüft Anhaltung einer Frau im Maßnahmenvollzug

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Zusammenhang mit einer Frau, die seit fünf Jahren im Maßnahmenvollzug sitzt, ein Verfahren gegen Österreich eingeleitet. Das berichtete ihr Rechtsvertreter, der Wiener Anwalt Hemut Graupner. Die angeblich zurechnungsunfähige Oberösterreicherin wurde 2016 vom Landesgericht Linz ohne zeitliche Befristung wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

"Die Bundesregierung muss nun bis Juni darlegen, inwiefern diese Einweisung notwendig und verhältnismäßig ist und warum die Frau eingewiesen wurde, obwohl zwei von drei Sachverständigen sie als nicht gefährlich eingestuft hatten und ein Obergutachten verweigert wurde", meinte Graupner am Freitag in einer Presseaussendung. Die Frau hatte - so die rechtskräftigen gerichtlichen Feststellungen - im Zuge ihrer Festnahme gegen die Brust einer Polizeibeamtin geschlagen - allerdings nicht mit der Faust, sondern den flachen Händen.

Wie Graupner im Gespräch mit der APA darlegte, hatte sich die Frau nach einer Taxifahrt nach Differenzen über den Fuhrlohn ohne zu zahlen vom Fahrzeug entfernt. Der Taxifahrer verständigte die Polizei. Diese war rasch zur Stelle, die Frau wurde angehalten, und es kam zu einem Disput mit den Beamten, da die Frau der Amtshandlung mit Unverständnis begegnete.

"Die ursprüngliche Festnahme erfolgte aufgrund verbaler Aggressivität", schilderte Graupner. Noch am selben Tag wurde die Frau von einer Polizeiamtsärztin untersucht, die zum Ergebnis kam, dass sie zur Tatzeit zurechnungsfähig war. Diese Einschätzung bestätigte im Zuge des Ermittlungsverfahrens wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt eine von der Staatsanwaltschaft bestellte psychiatrische Sachverständige. Diese kam zum Schluss, dass die Frau zwar psychisch krank, aber nicht gefährlich sei. Ein zeitnahes, im zivilgerichtlichen Unterbringungsverfahren erstelltes Gutachten kam nach eingehender Untersuchung der Frau zur Feststellung, dass eine Fremdgefährdung über wenige Tage hinaus nicht vorliege.

Die Staatsanwaltschaft erhob schließlich Anklage wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt, und das Landesgericht Linz holte für die Hauptverhandlung ein weiteres psychiatrisches Gutachten ein. In der dritten Expertise hieß es nun plötzlich, die Frau sei zur Tatzeit infolge einer "undifferenzierten Schizophrenie" nicht zurechnungsfähig. Darüber hinaus bestünde die Gefahr, dass sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung zukünftig "massive Aggressionsdelikte", sohin Straftaten mit schweren Folgen setzen könnte.

Diese Einschätzung bewirkte eine justizielle Wende. Die Staatsanwaltschaft tauschte den Strafantrag gegen einen Antrag auf Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher aus, die Angeklagte wurde festgenommen. Seither wird sie zwangsweise angehalten.

Laut Graupner soll die von den Schlägen getroffene Polizeibeamtin in der Hauptverhandlung als Zeugin ausgesagt haben, dass sie keine Angst vor der Frau hatte und in letzter Konsequenz der Pfefferspray zum Einsatz gekommen wäre. Sie habe durch die Tat auch keine Verletzungen erlitten. Ungeachtet dessen und trotz zwei anderslautender psychiatrischer Gutachten wurde die Betroffene auf Basis des dritten Gutachtens vom Landesgericht Linz in den Maßnahmenvollzug eingewiesen. Der Antrag der Frau, ein Obergutachten eines Sachverständigen mit universitärer Lehrbefugnis einzuholen, wurde abgewiesen. Die Gerichtsentscheidung wurde in weiterer Folge vom Oberlandesgericht Linz und dem Obersten Gerichtsof (OGH) bestätigt.

Für Anwalt Graupner geht sie dennoch nicht in Ordnung. Das Regime und der Vollzug der immer häufiger angewandten vorbeugenden Maßnahme für geistig abnorme Rechtsbrecher sei "schwer menschenrechtswidrig". "Wurden vor 35 Jahren noch rund 100 Personen in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher angehalten, so sind es heute bereits deutlich über 1.000. Nur in rund 20 Prozent der Fälle erfolgt die Unterbringung aufgrund von schweren Delikten wie Mord, Raub oder gravierenden Sexualdelikten. Es ist ein Trend zu Einweisungen für Delikte mit geringem Gefährdungspotenzial feststellbar", gab der Jurist zu bedenken.

Das Strafgesetzbuch sieht für Widerstand gegen die Staatsgewalt bis zu drei Jahre Haft vor. Dass die Betroffene mittlerweile deutlich länger im Maßnahmenvollzug angehalten wird, "ist keine Ausnahme. Solche Fälle sind leider keine Seltenheit", sagte Graupner gegenüber der APA. Sieben Prozent der Untergebrachten befänden sich seit mehr als 20 Jahren im Maßnahmenvollzug, bei weiteren zwölf Prozent dauere die Unterbringung bereits zwischen zehn und zwanzig Jahren an.

ribbon Zusammenfassung
  • Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Zusammenhang mit einer Frau, die seit fünf Jahren im Maßnahmenvollzug sitzt, ein Verfahren gegen Österreich eingeleitet.
  • Die angeblich zurechnungsunfähige Oberösterreicherin wurde 2016 vom Landesgericht Linz ohne zeitliche Befristung wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.
  • Der Taxifahrer verständigte die Polizei.