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Edtstadler warnt Polen vor Entzug von EU-Geldern

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Polen riskiert den Verlust von EU-Geldern, wenn das Land tatsächlich nicht mehr Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umsetze, warnt Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Edtstadler zeigt sich von dieser Entwicklung im Interview mit der APA "mehr als besorgt". Auch Ungarn müsse den Druck der EU spüren, "wenn der Rechtstaatlichkeitsweg verlassen wird", sagt die Europaministerin.

Im Falle Österreichs habe die EU-Kommission bestätigt, dass "ein enorm hohes Maß an Rechtsstaatlichkeit gegeben" sei, sagte Edtstadler. Kritik der Brüsseler Behörde, etwa dass auch in Österreich politischer Druck auf Staatsanwälte ausgeübt werde, könne sie nicht nachvollziehen, so die Europaministerin. "Wenn gewisse Entscheidungen von Staatsanwälten kritisiert werden, ist das nicht negativ für den Rechtsstaat." Im Folgenden das Interview im Wortlaut.

APA: Wie lange kann sich Polen weigern, EU-Recht zu akzeptieren?

Edtstadler: Ich habe mir eigentlich nicht vorstellen können, dass wir eine Diskussion darüber führen, ob EU-Recht und damit auch Entscheidungen des EuGH umzusetzen sind oder nicht. Das ist definitiv etwas, was mich mehr als besorgt. Selbstverständlich sind die Urteile des EuGH anzuerkennen und auch umzusetzen.

APA: Kann Polen EU-Mitglied bleiben, wenn es auf seiner Position beharrt?

Edtstadler: Ich möchte etwas Spitze aus der Diskussion nehmen. Es ist ein Unterschied, was dann tatsächlich passiert. Das muss man abwarten, ob Polen tatsächlich so weit geht, Urteile nicht umzusetzen. Dann müssten auch Aktionen folgen. Wir haben in der Zwischenzeit einen Konditionalitätsmechanismus, wo auch Gelder zurückbehalten werden können, wenn der Rechtsstaat in Gefahr ist und damit EU-Mittel missbräuchlich verwendet würden.

APA: Dieser Rechtsstaatsmechanismus müsste dann greifen?

Edtstadler: Genau. Wenn Polen den Weg der Rechtsstaatlichkeit verlässt, indem es diesen Worten Taten folgen lässt, dann muss die Europäische Union Konsequenzen ziehen. Dann müssen Gelder zurückbehalten werden.

APA: Gilt das auch im Falle Ungarns, Stichwort Homosexuellen-Zensurgesetz, Ausspähen von Journalisten, mangelnde Kontrollmechanismen gegen Korruption?

Edtstadler: Ich bin der festen Überzeugung, dass es immer besser ist, mit jemandem zu reden als über jemanden zu reden.

APA: Das scheint Viktor Orban aber nicht besonders zu beeindrucken...

Edtstadler: Man hat gesehen, dass der Ausschluss (der Fidesz, Anm.) aus der EVP nicht dazu führt, dass man besser einwirken kann. Deshalb glaube ich immer noch, es ist der Dialog das bessere Instrument als eine Ausschlusspolitik. Egal was passiert. Österreich wird ein Nachbarstaat Ungarns bleiben. Wir werden nach wie vor gute bilaterale Beziehungen brauchen. Ich bin aber die Erste, die ganz klare Worte findet, wenn der Rechtstaatlichkeitsweg verlassen wird, wenn diskriminierende Gesetzgebung auf den Weg gebracht wird, wenn Methoden angewandt werden, die in einer Demokratie nichts zu suchen haben, weil sie zum Beispiel gegen die Pressefreiheit gehen. Dann muss die EU auch ganz klar Kante zeigen, wie beim zuletzt eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren. Die Prüfung des ungarischen Aufbauplans dauert noch an, das unterstützen wir. Wir wollen, dass die EU-Gelder für die Zwecke verwendet werden, für die sie vorgesehen sind. All das zeigt, dass die Europäische Kommission und die Staatengemeinschaft Mechanismen haben, die man spürt. Diesen Druck muss man aufbauen, und den soll auch Ungarn spüren.

APA: Wie bewerten Sie den slowenischen EU-Vorsitz? Premier Jansa wurde selbst von der EU-Kommissionspräsidentin in Sachen Rechtsstaatlichkeit gemahnt. Jansa provoziert aber gezielt Reibereien mit der EU.

Edtstadler: Das eine ist, wie steht man zu gewissen Personen und wie geht man mit provozierenden Wortmeldungen um. Das andere ist, dass Slowenien jetzt den Ratsvorsitz innehat. Wir pflegen traditionell gute bilaterale Beziehungen zu Slowenien. Wir werden die slowenische Ratspräsidentschaft unterstützen in puncto Westbalkan-Erweiterung, Digital Services Act zur Bekämpfung von Hass im Netz, Konferenz zur Zukunft Europas, aber auch Migration und Rechtsstaatlichkeit. Hier hat Slowenien angekündigt, dass im Dezember ein weiteres Hearing zum Artikel-7-Verfahren (laufende Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und Ungarn, Anm.) stattfinden sollte. Das Artikel-7-Verfahren ist eine Lex imperfecta. Keiner weiß, wie es enden soll und kann. Es ist wichtig, dass man Lösungen findet.

APA: Glauben Sie, dass das Verfahren nicht abgeschlossen werden kann?

Edtstadler: Bis jetzt sagen alle Juristen, dass man eigentlich keinen Weg raus weiß, wenn man den Gesetzestext und die faktischen Gegebenheiten nimmt, also dass es eine Mehrheit erfordern würde. Wenn man abstimmen würde, habe ich wirklich die Sorge, dass das zu einer größeren Spaltung beiträgt als zu einer Stärkung der Rechtsstaatlichkeit.

APA: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus der Kritik der EU-Kommission an gewissen Mängeln in Österreich wie politischer Druck auf Korruptionsstaatsanwälte?

Edtstadler: Die Europäische Kommission hat im Bericht klar bestätigt, dass in Österreich auch im innereuropäischen Vergleich ein enorm hohes Maß an Rechtsstaatlichkeit gegeben ist. Manche Einschätzungen im Bericht, wie den von Ihnen angesprochenen Punkt, kann ich hingegen nicht nachvollziehen. Wenn gewisse Entscheidungen von Staatsanwälten kritisiert werden, ist das nicht negativ für den Rechtsstaat. Gerade ein starker Rechtsstaat zeichnet sich dadurch aus, dass Kritik an allen Institutionen erlaubt sein muss. Die Entscheidungen rund um die Hausdurchsuchung beim BVT belegen ja, dass es zu unzulässigen Vorgängen kam. Auch was die Kritik bezüglich der Inserate betrifft, kann ich nur feststellen, dass hier in erster Linie auch die Stadt Wien mit mehr als 32 Millionen Euro mehr ausgibt als sämtliche Bundesländer zusammengerechnet.

APA: Wie kann die EU Bulgarien dazu bringen, seine Blockade gegen EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien aufzugeben?

Edtstadler: Was mich positiv stimmt ist, dass es jüngst einen Besuch des nordmazedonischen Premierministers Zaev in Sofia gab, wo man aufeinander zugegangen ist. Es formiert sich auch unter den restlichen 26 EU-Staaten immer mehr Druck auf Bulgarien, dass Bilaterales bilateral zu lösen ist.

APA: Wäre Österreich noch immer bereit zu vermitteln?

Edtstadler: Ich bin jederzeit bereit dazu, Diskussionen und Gespräche zu führen.

APA: Was erwarten Sie vom Westbalkan-Gipfel im Oktober?

Edtstadler: Ich halte es für ganz wesentlich, dass Slowenien diesen Gipfel veranstaltet. Wir haben als Europäische Union so viel zu verlieren, wenn wir nicht diesen Ländern des Westbalkans eine glaubwürdige Perspektive eröffnen. Sonst bekommen geopolitische Einflüsse aus China und Russland eine noch größere Macht. Wir haben jetzt schon Zeit und Einfluss verloren. Das trifft Bulgarien zuerst. Wir wollen auch mit Albanien Beitrittsverhandlungen aufnehmen. Wir sind dagegen, die beiden Länder voneinander abzukoppeln, weil beide viel getan haben.

APA: Umfragen zufolge haben die Österreicher das schlechteste Bild von der EU. Was läuft da falsch?

Edtstadler: Es war notwendig, gewisse Fehlentwicklungen aufzuzeigen, als einiges mit der Impfstoff-Verteilung und -Beschaffung schiefgelaufen ist. Das hat dann auch zu einer Änderung geführt. Die Eurobarometer-Umfrage wurde zu diesem Zeitpunkt gemacht. Jetzt haben wir ein anderes Stimmungsbild: 73 Prozent der Österreicher sind der Meinung, dass durch die EU-Zukunftskonferenz ein bedeutender Fortschritt für die Demokratie in der EU zustande kommen kann.

ribbon Zusammenfassung
  • Polen riskiert den Verlust von EU-Geldern, wenn das Land tatsächlich nicht mehr Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umsetze, warnt Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).
  • Edtstadler zeigt sich von dieser Entwicklung im Interview mit der APA "mehr als besorgt".
  • Auch Ungarn müsse den Druck der EU spüren, "wenn der Rechtstaatlichkeitsweg verlassen wird", sagt die Europaministerin.
  • Im Folgenden das Interview im Wortlaut.

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