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Deborah Hartmann leitet "Haus der Wannsee-Konferenz"

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Die Gedenk- und Bildungsstätte "Haus der Wannsee-Konferenz" in Berlin wird ab 1. Dezember von einer Wienerin geleitet. Deborah Hartmann (36) ist Expertin für Gedenkstättenarbeit und betont die ganz besondere Stellung des Hauses innerhalb der deutschsprachigen Gedenkstättenlandschaft. Berlin habe eine komplexe Geschichte, die nach wie vor überall sichtbar sei, sagte Hartmann im APA-Gespräch. "Jüdisches Leben in Berlin stellt aber nach wie vor keine Selbstverständlichkeit dar."

In wenigen Tagen übernimmt die Österreicherin Deborah Hartmann die Leitung eines geschichtsträchtigen Hauses in der deutschen Hauptstadt. Im "Haus der Wannsee-Konferenz" hatten am 20. Jänner 1942 hochrangige Vertreter von SS, NSDAP und einiger Reichsministerien die Zusammenarbeit bei der geplanten Ermordung von Europas Juden besprochen. Heute dient die Villa als Gedenk- und Bildungsstätte.

"Immer wenn in Berlin eine Stelle ausgeschrieben wird, gibt es nicht wenige qualifizierte Bewerber", erzählt Hartmann vom regulären Ausschreibungsverfahren durch Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Sie habe sich von Israel aus, wo sie seit fast eineinhalb Jahrzehnten lebt, beworben, sei eingeladen worden und habe durch ihre bisherige Tätigkeit offenbar überzeugt. "Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit der Shoa, vor allem mit der Gedenkstättenarbeit in Yad Vashem, der internationalen Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem."

Seit 2015 leitete Hartmann dort die deutschsprachige Abteilung der International School for Holocaust Studies. "Diese Arbeit hat mich bereichert, nämlich einerseits in einer großen internationalen Gedenkstätte, andererseits aber auch mit interdisziplinären Teams aus ganz verschiedenen Fachrichtungen zu arbeiten, wo Diversität und Vielfalt gelebt werden."

Man müsse sich das so vorstellen, schildert Hartmann: "Wir sitzen in der europäischen Abteilung in einem Großraumbüro, und in der einen Ecke hört man Griechisch, in der anderen Russisch, dann Italienisch oder Französisch. So wird der Umgang mit der Geschichte in den diversen europäischen Ländern reflektiert und in Beziehung gesetzt. Andererseits waren wir auch in der israelischen Perspektive stark verankert und setzten uns all die Jahre damit auseinander, wie denn die israelische Gesellschaft mit Holocaust, Shoa und Nationalsozialismus umgeht. Immer beides im Blick zu haben, hat mich sehr geprägt."

Diese Erfahrungen sowie ihr internationales Netzwerk waren für die Entscheidung des Berliner Kultursenators offenbar beste Voraussetzungen, Hartmann für Berlin zu verpflichten. Berlin kennt sie, die sich "als österreichische Israelin oder israelische Österreicherin" bezeichnet, von früheren Kooperationen bereits gut, außerdem ist ihr Ehemann, ein Film- und Medienwissenschafter, gebürtiger Berliner. Er wird allerdings in Jerusalem stationiert bleiben, sodass ihn und seine Frau intensives Pendeln erwartet. Die zwei kleinen Töchter werden bei der Mutter in Berlin leben.

Was sie im "Haus der Wannsee-Konferenz" vorhat? "Wir werden in der Institution gemeinsam überlegen, wohin wir möchten. Gerade die letzten Jahre zeigen, dass wir nicht in Selbstzufriedenheit verharren sollten, was den Umgang mit Geschichte angeht." Man dürfe sich nicht allzu sicher fühlen, was Prävention bei Antisemitismus und Rassismus betreffe. "Wir brauchen Konzepte, die selbstkritisch und selbstreflexiv den Umgang mit Geschichte hinterfragen. Dieser Aspekt erscheint mir besonders wichtig."

Aber auch die etablierten und individuell-persönlichen Formen des Erinnerns seien kritisch zu hinterfragen. "Das ist unbequem, weil Auseinandersetzung nie aufhört. Das ist aber besser als zu sagen: Wir haben den perfekten Umgang gefunden und können das Ganze jetzt abschließen."

Das Besondere am "Haus der Wannsee-Konferenz" sei, dass es sowohl ein "Täterort" sei, also eine Gedenkstätte, die unter anderem die Aufgabe habe, über die Handlungen und Entscheidungen der Täter und Täterinnen nachzudenken. "Das geht aber nicht, ohne gleichzeitig auch die jüdische Erfahrung der Shoa ins Zentrum zu rücken. Das Eine ist ohne das Andere nicht möglich." So nehme das "Haus der Wannsee-Konferenz" eine Sonderstellung in der deutschsprachigen Gedenkstättenlandschaft ein.

"Berlin hat ja eine komplexe und vielfältig verflochtene Geschichte, die nach wie vor überall sichtbar ist. Jüdisches Leben in Berlin stellt nach wie vor keine Selbstverständlichkeit dar. Die Leerstelle bleibt. Jüdisches Leben kann auch nicht mehr rekonstruiert werden."

Blickt die Wienerin auf ihre Heimatstadt und vergleicht deren Umgang mit der Vergangenheit mit jenem Berlins, fallen Hartmann wesentliche Unterschiede auf. "Bestimmte Aspekte sind anders verlaufen. Daher sieht auch die Gedenkstätten- und Vermittlungsarbeit anders aus." In Deutschland sei Gedenkarbeit schon früh von unten, etwa von lokalen Initiativen, gesteuert worden. Das dezentrale Erinnern sei im Vordergrund gestanden. "Im Gegensatz dazu sind in Österreich erst nach und nach Institutionen entstanden, die zunächst ebenfalls als eigene Initiativen gestartet waren, die dann aber bestimmte Aufgaben von oben delegiert bekamen, wie beispielsweise das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes oder die Gedenkstätte Mauthausen."

Ein weiterer Unterschied zu Berlin sei, dass es in Österreich einige wenige, aber sehr aktive und engagierte Initiativen gebe, "wogegen Berlin eine unglaubliche Vielzahl von größeren, mittelgroßen und kleineren Gedenkstätten hat, die meist auf bestimmte Themen spezialisiert sind".

Den Corona-Problemen versucht Hartmann sogar Positives abzugewinnen. Sie wolle Konzepte und Ansätze überdenken und kreativ entwickeln, um über nationale Grenzen hinaus wahrgenommen zu werden. "Es gibt sehr viel Potenzial. In Forschung, Bildung, Öffentlichkeitsarbeit und Archivwesen ist vieles ausbaufähig. In weiterer Folge ist zu überlegen, was man davon in der Post-Corona-Zeit behalten kann."

Welche Rolle die Gedenkstätten in der heutigen Gesellschaft spielen, müsse neu überlegt werden. "Das ist schwierig, weil Populismus und Rechtspopulismus mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und viele Personen, auch Politiker, Ängste in der Bevölkerung schüren und gleichzeitig das Gedenken an die Shoa und die Bekämpfung des Antisemitismus für ihre Zwecke instrumentalisieren." Sie finde es besonders besorgniserregend, dass in den Parlamenten aller deutschen Bundesländer eine Partei vertreten sei, die bewusst das Gedenken an die Shoa angreife und versuche, die Förderung von Gedenkstätten und Vermittlungsarbeit einzuschränken oder zu verhindern, sagt Hartmann.

Zwar habe der Antisemitismus auch durch muslimische Einwanderer zugenommen, "aber man darf sich nicht auf die muslimischen Communities fokussieren. Das würde oft vom eigenen Antisemitismus ablenken und den in der Mehrheitsgesellschaft sehr weit verbreiteten Antisemitismus verharmlosen."

ribbon Zusammenfassung
  • Die Gedenk- und Bildungsstätte "Haus der Wannsee-Konferenz" in Berlin wird ab 1. Dezember von einer Wienerin geleitet.
  • Deborah Hartmann (36) ist Expertin für Gedenkstättenarbeit und betont die ganz besondere Stellung des Hauses innerhalb der deutschsprachigen Gedenkstättenlandschaft.
  • Berlin habe eine komplexe Geschichte, die nach wie vor überall sichtbar sei, sagte Hartmann im APA-Gespräch.
  • Immer beides im Blick zu haben, hat mich sehr geprägt."