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"Das türkisfarbene Projekt wackelt": Wie internationale Medien über den Kanzlerwechsel berichten

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Auch international berichteten die größten Medien über die Alpenrepublik und den Wechsel im Bundeskanzleramt. Alexander Schallenberg (ÖVP) wurde am Montag als Bundeskanzler angelobt.

Der Wechsel an der österreichischen Regierungsspitze war am Dienstag Inhalt zahlreicher internationaler Pressekommentare: "Noch hat Kurz in der ÖVP eine überaus mächtige Funktion inne. Doch die Aussagen deuten darauf hin, dass sein türkisfarbenes Projekt wackelt", schreibt etwa die "Neue Züricher Zeitung". 

 

Süddeutsche Zeitung: "Sebastian Kurz beherrscht die Partei"

"Sebastian Kurz beherrscht nicht nur die ÖVP-Ministerriege, sondern die Partei selbst, deren Chef er bleibt. Selbst wenn die Sacharbeit in der Regierung funktioniert, könnte sie der Parteichef torpedieren. Als Kurz 2017 den Vorsitz übernahm, hat er - gestützt auf glänzende Umfragewerte, von denen man nun annimmt, dass sie frisiert waren - seine Bedingungen durchgesetzt. Er hat die bis dahin sehr mächtigen Ministerpräsidenten, in Österreich Landeshauptleute genannt, entmachtet. (...)

Es waren die Landeshauptleute, die Kurz nun drängten, die Position im Kanzleramt zu räumen. Aber als Parteichef stützen sie ihn weiterhin. Ob das so bleibt, hängt davon ab, welche Inhalte über die jetzt bekannt gewordenen Chats noch publik werden. Davon - und ob es Anklagen gegen ihn gibt - hängt auch das politische Schicksal von Kurz ab. Er ist sich keiner Schuld bewusst und hatte nicht einmal den Anstand zu einer Entschuldigung - das hat am Wochenende der Bundespräsident übernommen, der sich für das Sittenbild entschuldigte. Kurz hält sich weiter bereit, deshalb ist er auch nicht zurückgetreten, sondern nur einen Schritt zur Seite. Nur ein Urteil oder eine Wahlniederlage kann die Ära Sebastian Kurz beenden."

Die Welt: "Kurz würde Machtkampf mit Schallenberg am Ende verlieren"

"Auf den neuen Kanzler lastet jetzt eine große Bürde. 'Es ist nicht leicht, für keinen von uns', sagte Schallenberg am Sonntag. Der Bundespräsident hat ihn zusammen mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in die Pflicht genommen, das durch die Inseratenaffäre um Kurz verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen: 'Beide tragen persönlich Verantwortung', sagte Van der Bellen. Noch schwieriger aber dürfte es für Schallenberg werden, sich von seinem Vorgänger zu emanzipieren, ohne mit ihm zu brechen. Schallenberg und Kurz wissen, dass sie zu einer 'konstruktiven Zusammenarbeit' verdammt sind. Trotzdem wird das ein Drahtseilakt. Kurz ist als Partei- und Fraktionschef auch weiterhin ein sehr mächtiger Mann in Österreich. Aber er weiß auch, dass er von nun an einen Machtkampf mit Schallenberg am Ende verlieren würde."

Neue Züricher Zeitung: "Noch hat Kurz in der ÖVP eine überaus mächtige Funktion"

"Noch hat Kurz in der ÖVP eine überaus mächtige Funktion inne. Doch die Aussagen deuten darauf hin, dass sein türkisfarbenes Projekt wackelt, wenn im einen oder anderen Verfahren Anklage gegen den ehemaligen Kanzler erhoben wird. Zurück wäre die alte, schwarze ÖVP - mit den Landeshauptleuten als bestimmender Kraft."

Hamburger Abendblatt: Schallenberg trug  "bis zuletzt etwa die Linie des zurückgetretenen Kanzlers mit"

"Wird er sich behaupten gegenüber Kurz, der als eine Art Schattenkanzler künftig nicht nur ÖVP-Chef ist, sondern auch die Fraktion im Nationalrat führt? (....) Im vergangenen Jahr aber hat sich Schallenberg mehr und mehr in Richtung Parteilinientreue unter Kurz kalibriert. So trug er bis zuletzt etwa die Linie des zurückgetretenen Kanzlers mit, dass man abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abschieben werde. Auch als vor einem Jahr auf der griechischen Insel Lesbos das Flüchtlingslager Moria abbrannte, trug Schallenberg die Kurz-Linie mit. Das 'Geschrei nach Verteilung' sei keine Lösung, sagte er damals. Schallenberg ist ein durchaus streitbarer Mann. Aber eben einer, der - ganz anders als Kurz - andere Ansichten und Meinungen neben der eigenen gelten lassen kann. Und genau das ist die Chance, die seiner Kanzlerschaft innewohnt."

Dolomiten: Sein diplomatisches Geschick "ist gefragt"

"Ob Schallenberg eine Art Platzhalter für Kurz ist, sollte er irgendwann wieder an die Spitze zurückkehren, oder ob es für Kurz auch in der Partei noch enger werden könnte bis zum endgültigen Abgang und Schallenberg dann Kanzler auf Dauer ist, weiß zur Zeit niemand zu sagen. Sein diplomatisches Geschick ist im Moment ebenso wie das seines neuen Außenministers jedenfalls gefragt ."

Le Monde: "Es ist ein schwerer Rückschlag"

"Als Verkörperung einer harten und von Komplexen enthemmten Rechten in Österreich und darüber hinaus in ganz Europa, der in der Lage ist, sich sowohl mit der extremen Rechten als auch mit den Grünen zu verbünden, hat sich Herr Kurz, der König des politischen Marketings, schließlich an seinem eigenen Spiel verbrannt. Es ist zu früh, um zu wissen, ob dieser Rücktritt - präsentiert als einfacher 'Schritt zur Seite' - das Ende seiner Karriere markiert, aber es ist ein schwerer Rückschlag."

ribbon Zusammenfassung
  • Auch international berichteten die größten Medien über die Alpenrepublik und den Wechsel im Bundeskanzleramt. Alexander Schallenberg (ÖVP) wurde am Montag als Bundeskanzler angelobt.
  • Der Wechsel an der österreichischen Regierungsspitze war am Dienstag Inhalt zahlreicher internationaler Pressekommentare: "Noch hat Kurz in der ÖVP eine überaus mächtige Funktion inne. Doch die Aussagen deuten darauf hin, dass sein türkisfarbenes Projekt
  • "Sebastian Kurz beherrscht nicht nur die ÖVP-Ministerriege, sondern die Partei selbst, deren Chef er bleibt. Selbst wenn die Sacharbeit in der Regierung funktioniert, könnte sie der Parteichef torpedieren", schreibt die Süddeutsche Zeitung.
  • "Kurz ist als Partei- und Fraktionschef auch weiterhin ein sehr mächtiger Mann in Österreich. Aber er weiß auch, dass er von nun an einen Machtkampf mit Schallenberg am Ende verlieren würde", schreibt die Welt.
  • "Es ist zu früh, um zu wissen, ob dieser Rücktritt - präsentiert als einfacher 'Schritt zur Seite' - das Ende seiner Karriere markiert, aber es ist ein schwerer Rückschlag", kommentiert Le Monde.