China droht massiver Bevölkerungsrückgang

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Weniger Babys, dafür mehr Alte: Nach jahrelanger Ein-Kind-Politik und stark steigenden Lebenshaltungskosten für Familien droht China eine demografische Zeitbombe. Die Einwohnerzahl im bevölkerungsreichsten Land der Welt wächst so langsam wie seit den 50er Jahren nicht mehr: Sie nahm im vergangenen Jahrzehnt nur noch um 5,38 Prozent auf 1,41 Milliarden zu, wie die am Dienstag veröffentlichte und alle zehn Jahre erhobene Volkszählung ergab. Grund ist die sinkende Geburtenrate.

Statistisch bekommt eine chinesische Frau 1,3 Kinder. Sie liegt damit auf dem Niveau von alternden Gesellschaften wie den Industrieländern Japan und Italien. Das dürfte in der politischen Führung die Alarmglocken schrillen lassen, dürfte doch die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ein unumkehrbarer Bevölkerungsrückgang bevorstehen - ohne dass die privaten Haushalte dort so große Vermögen und Altersrücklagen anhäufen konnten wie die in westlichen Ländern. Auch wächst der Druck, das Rentenalter anzuheben - was in der Bevölkerung extrem unpopulär ist.

"Das Bevölkerungswachstum wird sich in Zukunft weiter verlangsamen", sagte Ning Jizhe, Leiter des Nationalen Statistikamtes, bei der Vorstellung der Daten. "Chinas Bevölkerungszahl wird in der Zukunft einen Höhepunkt erreichen, aber der genaue Zeitpunkt ist noch ungewiss." 2020 wurden nur noch zwölf Millionen Geburten registriert - so wenige wie seit 1961 nicht mehr. 2019 waren es noch 14,65 Millionen. Die Vereinten Nationen sagen voraus, dass die Zahl der Menschen auf dem chinesischen Festland 2030 ihren Höchststand erreichen wird, bevor sie zurückgeht. "Man braucht keine veröffentlichten Volkszählungsdaten, um festzustellen, dass China mit einem massiven Geburtenrückgang konfrontiert ist", sagte Huang Wenzheng, ein Demografie-Experte am Center for China and Globalization. Möglicherweise schrumpfe die Bevölkerung bereits in diesem Jahr.

Damit wächst der Druck auf Peking, Maßnahmen zu ergreifen, um Paare zu ermutigen, mehr Kinder zu bekommen. Zumal die Bevölkerung auch noch altert: Waren 2010 noch weniger als 8,9 Prozent der Bürger 65 Jahre und älter, so sind es nun bereits 13,5 Prozent. Erst 2016 hatte China die jahrzehntelange Ein-Kind-Politik abgeschafft - in der Hoffnung, die Zahl der Babys zu erhöhen. Seither wird offiziell eine Zwei-Kind-Politik vertreten. Damals wurde auch das Ziel gesetzt, die Bevölkerung bis 2020 auf etwa 1,42 Milliarden zu erhöhen - was nun verfehlt wurde.

Das liegt zum Teil daran, dass vor allem für die nach 1990 geborenen Paare in Großstädten ihre Unabhängigkeit und ihre Karriere wichtiger ist als die Gründung einer Familie. Steigende Lebenshaltungskosten in den Großstädten haben Paare ebenfalls abgeschreckt. Laut einem Bericht eines staatlichen Institutes aus dem Jahr 2005 kostete es eine normale Familie damals 490.000 Yuan (knapp 63.000 Euro), ein Kind großzuziehen. Bis 2020 vervierfachten sich die Kosten auf bis zu 1,99 Millionen Yuan. "Ein Kind zu haben ist ein verheerender Rückschlag für die Karriereentwicklung von Frauen in meinem Alter", sagte Annie Zhang, eine 26-jährige Versicherungsfachfrau in Shanghai, die im April vorigen Jahres geheiratet hat. "Zudem sind die Kosten für die Erziehung eines Kindes unverschämt hoch." Man verabschiede sich "sofort nach der Geburt von der Freiheit".

Kürzlich wurden Pläne der Behörden bekannt, das Pensionsalter heraufzusetzen. Einzelheiten wurden zwar nicht genannt, doch sorgte der Bericht auch so für Aufsehen. Seit mehr als vier Jahrzehnten liegt das Pensionsantrittsalter in China unverändert bei 60 Jahren für Männer und 55 Jahren für Frauen. 2013 gab es schon einmal einen Vorstoß, die Altersgrenze anzuheben, was in der Öffentlichkeit auf heftigen Widerstand stieß. Manche Experten sprechen inzwischen von einer "demografischen Zeitbombe". Ein offizieller Forschungsbericht kam zu dem Ergebnis, dass Chinas gesamtes Rentensystem bereits 2035 "zahlungsunfähig" sein könnte.

Sinkende Geburtenraten und eine schnell alternde Gesellschaft erhöhen den Druck auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und könnten die Produktivität beeinträchtigen. "Unsere Projektionen, die auf den Zahlen vor der Volkszählung basieren, deuteten bereits darauf hin, dass die Erwerbsbevölkerung bis 2030 jährlich um 0,5 Prozent schrumpfen würde, mit ähnlichen Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt", schrieben die Analysten von Capital Economics kürzlich. "Ein langsameres Wachstum würde es schwieriger machen, die Vereinigten Staaten wirtschaftlich einzuholen. Und es könnte auch einen Einfluss auf Chinas globales Ansehen haben."

Während sich das Tempo der Alterung in China beschleunigt, zeigt die US-Bevölkerung positive Veränderungen, wie aus einem Arbeitspapier der chinesischen Zentralbank hervorgeht. Darin werden Vorhersagen der Vereinten Nationen zitiert, wonach die US-Bevölkerung von 2019 bis 2050 um 15 Prozent wachsen könnte, die chinesische hingegen um 2,2 Prozent schrumpfen dürfte. "Bildung und technologischer Fortschritt können den Rückgang der Bevölkerung nicht kompensieren", warnte die Zentralbank.

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  • Weniger Babys, dafür mehr Alte: Nach jahrelanger Ein-Kind-Politik und stark steigenden Lebenshaltungskosten für Familien droht China eine demografische Zeitbombe.

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