APA/APA/BKA/FLORIAN SCHRÖTTER

Bulgarien kritisiert Grenzkontrollen im Schengen-Raum

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Der bulgarische Regierungschef Nikolaj Denkow hat scharfe Kritik an jenen Schengen-Staaten geübt, die im Kampf gegen irreguläre Migration auf Grenzkontrollen zu ihren Partnerländern setzen. "Mit diesen inneren Grenzen verschiebt man das Problem der illegalen Migranten nur von einem Land zum anderen", sagte Denkow im APA-Interview. Die einzige allgemeine Lösung sei der Außengrenzschutz und die Rückführung von Personen, die kein Bleiberecht haben, betonte er.

"In Wirklichkeit haben wir ja dieselbe Position wie Österreich. Also sollten wir an der tatsächlichen Lösung arbeiten statt ein Problem durch ein anderes zu ersetzen", unterstrich Denkow nach einem Treffen mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in Wien. Dieser hatte das Nein Österreichs zum Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens bekräftigt und zur Begründung darauf verwiesen, dass mittlerweile elf Staaten ihre Schengen-Binnengrenzen kontrollieren, etwa auch Deutschland jene zu Österreich.

Denkow wies diese Argumentation scharf zurück. Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich oder Österreich und Ungarn hätten "nichts mit den aus Bulgarien kommenden Migranten zu tun", betonte er. Diese seien nämlich nur ein "winziger Bruchteil" aller aus dem Osten oder Süden nach Mitteleuropa kommenden Migranten. "Logisch betrachtet ist das für mich nur eine gute Ausrede, nicht anderes, und ich bezweifle, ob das überhaupt eine gute Ausrede ist", sagte der studierte Naturwissenschafter.

Bulgarien sei es in den vergangenen Monaten gelungen, seine EU-Außengrenze zur Türkei wesentlich besser zu schützen, betonte Denkow. Die Zahl der Grenzübertrittsversuche sei in diesem Zeitraum um das Zweieinhalbfache gesunken. "Das ist die Folge des besseren Grenzschutzes, was den Migranten signalisiert, dass das keine gute Route für sie ist und sie nach einer anderen suchen müssen, wenn sie nach Europa kommen wollen." Denkow hob diesbezüglich auch die Zusammenarbeit mit der Türkei hervor, mit der Bulgarien etwa gemeinsame Grenzpatrouillen durchführe. "Wir sind sehr zufrieden mit dieser Partnerschaft", sagte er.

Der bulgarische Regierungschef bekräftigte, dass eine Schengen-Mitgliedschaft seines Landes auch Österreich nutzen würde. Er sei nach Wien gekommen, damit die österreichische Bevölkerung und auch die Politik "verstehen, dass sie überhaupt nichts davon haben, wenn wir draußen bleiben und dass sie etwas davon haben, wenn wir drinnen sind". Er nannte die dann mögliche weitere Verlagerung von Polizisten an die türkische Grenze, geringere Lebensmittelpreise durch einen Wegfall von Staus an den Grenzen, aber auch die positive Signalwirkung für die Beitrittskandidaten am Westbalkan. Die diesbezüglichen Argumente seien "sehr logisch", aber "es braucht etwas Zeit, dass das auf politischer Ebene verarbeitet wird", so Denkow, der trotzdem weiterhin am Ziel festhält, dass sein Land noch heuer Grünes Licht für den Beitritt zum Schengen-Raum erhält. Auch beim EU-Gipfel diese Woche will er diese Frage zum Thema machen.

Während er sich besorgt über die Spannungen am Balkan zeigte und die EU zu weiterem Engagement in der Region aufrief, warnte Denkow eindringlich vor einer Eskalation des Nahost-Konflikts. Es müsse ein "Gleichgewicht" gefunden werden zwischen der Notwendigkeit, die Terrorgruppe Hamas "auszulöschen", und dem Verhindern des Leids der palästinensischen Zivilbevölkerung. Sollten diese Bemühungen erfolgreich sein, werde es keine Flüchtlingswelle aus dem Gazastreifen nach Europa geben. "Wenn der Konflikt eskaliert, sind viele Probleme möglich und ich weiß nicht, ob dann eine Flüchtlingswelle das größte sein wird. Es wäre ein Problem, aber es könnte noch viel größere geben. Wir sollten sehr vorsichtig sein", unterstrich der bulgarische Premier.

Auf die Frage, ob Russland hinter dem jüngsten internationalen Konfliktherd stehe, sagte Denkow: "Zumindest ist klar, dass Russland davon profitiert. Wie sehr es involviert ist, müssen Geheimdienste und Militär beurteilen." Der pro-europäische Politiker bekräftigte auch die Unterstützung für die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung gegen den Aggressor Russland. "Wir sollten alles tun, um diese Aggression zu stoppen. Denn wenn Russland in der Ukraine erfolgreich sein sollte, werden sie sicher nach dem nächsten Ziel Ausschau halten, das haben sie ganz klar gesagt." Folglich kämpfe die Ukraine nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Nachbarn und ganz Europa.

Denkow räumte ein, dass es in sozialen Medien seines Landes "starke Aktivitäten" von pro-russischer Propaganda gebe und man auch mehrere russische Spione des Landes verwiesen habe. Es stünden aber zwei Drittel von Gesellschaft und Parlament hinter dem pro-europäischen Kurs seiner Regierung. Zwar gebe es Spannungen zwischen den beiden rivalisierenden Koalitionsparteien, der konservativen GERB von Ex-Premier Bojko Borissow und der liberalen PP seines Nachfolgers Kiril Petkow, doch habe die Regierung ein klar definiertes Programm und setze dieses auch um. "Ich denke, dass wir erfolgreich sein werden", sagte der Premier.

Der von der PP nominierte Denkow steht seit Juni an der Regierungsspitze, soll sein Amt aber bereits im kommenden Frühjahr an seine von Borissows GERB entsandte Stellvertreterin und Außenministerin Mariya Gabriel abgeben. Die geplante Rotation sei "der heikelste Moment" des Machtteilungsabkommens, sagte der Regierungschef. Er sei diesbezüglich aber "vorsichtig optimistisch". Einerseits arbeite er persönlich sehr gut mit der früheren EU-Kommissarin Gabriel zusammen, andererseits haben sich die Chefs der Regierungsparteien wiederholt zur Kooperation bekannt. Denkow sieht daher sogar Chancen, dass die Kooperation über die ursprünglich geplanten 18 Monate hinaus fortgesetzt werden könnte. In diesem Fall "würde es eine weitere Rotation geben" und er selbst neuerlich Regierungschef werden, erläuterte der frühere Bildungsminister, der als politische Integrationsfigur gilt. Schließlich gehörte der 61-jährige promovierte Chemiker nicht nur mehreren Übergangsregierungen an, sondern diente sowohl Borissow als auch dessen politischen Erzfeind Petkow in führenden Regierungsfunktionen.

(Das Gespräch führte Stefan Vospernik/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Der bulgarische Regierungschef Nikolaj Denkow hat scharfe Kritik an jenen Schengen-Staaten geübt, die im Kampf gegen irreguläre Migration auf Grenzkontrollen zu ihren Partnerländern setzen.
  • "Mit diesen inneren Grenzen verschiebt man das Problem der illegalen Migranten nur von einem Land zum anderen", sagte Denkow im APA-Interview.
  • Auch beim EU-Gipfel diese Woche will er diese Frage zum Thema machen.