APA/APA (POOL)/STEFAN ROUSSEAU

Britisches Unterhaus berät über Abkehr vom Brexit-Vertrag

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Der britische Premierminister Boris Johnson hat seine Brexit-Politik im Unterhaus gegen wachsende Kritik auch aus den eigenen Reihen verteidigt. Das von ihm geplante Binnenmarktgesetz sei notwendig, da die Europäische Union in den Verhandlungen den "Revolver" nicht vom Tisch genommen habe, sagte Johnson zu den Abgeordneten am Montag während Beratungen über eine mögliche Abkehr vom Brexit-Vertrag.

Er warf der EU vor, den im Jänner vereinbarten Austrittsvertrag zu nutzen, um Handelsbarrieren zwischen Nordirland und die restlichen Mitglieder Großbritanniens zu treiben. Die EU drohe sogar mit einer Lebensmittelblockade, indem sie sage, sie könne britische Exporte nach Nordirland stoppen.

"Die Absicht dieses Gesetzes ist es ganz klar, die Anwendung eines solchen Stocks gegen dieses Land zu verhindern", sagte Johnson. "Es ist ein Schutz, es ist ein Sicherheitsnetz, es ist eine Versicherungspolice und es ist eine sehr vernünftige Maßnahme." Was man jetzt nicht tun dürfe, "ist es, eine Situation zu tolerieren, in der unsere Gegenüber bei der EU ernsthaft denken, dass sie die Macht haben, unser Land aufzuspalten". Er hoffe, dass die EU "vernünftig" sein werde.

Johnson warf der EU zudem vor, die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs zu gefährden. Die EU drohe damit, "Zollgrenzen durch unser eigenes Land" zu ziehen und "unser eigenes Land zu zerteilen", sagte Johnson am Montag im Parlament.

Es dürfe keine Situation entstehen, "in der die Grenzen unseres Landes von einer fremden Macht oder einer internationalen Organisation diktiert werden", sagte Johnson vor den Abgeordneten. "Kein britischer Premierminister, keine Regierung, kein Parlament könnte so eine Aufzwingung je akzeptieren."

Aus Sicht vieler Kritiker in der EU und in Großbritannien liefert das von Johnson geplante Gesetz eine Steilvorlage für einen Bruch des bereits ratifizierten Vertrags zum Austritt Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft. Die EU pocht darauf, dass sich London buchstabengetreu an den Scheidungsvertrag und die Zusage halten muss, keine sogenannte harte Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland zuzulassen. Damit dies nicht passiert, ist im Brexit-Vertrag vorgesehen, dass in Nordirland auch künftig der EU-Zollkodex gelten sollen. Doch das geplante britische Binnenmarktgesetz hätte zur Folge, dass diese Regelung zu großen Teilen ausgehebelt würde.

Die früheren konservativen Regierungschefs Theresa May, John Major, Tony Blair, Gordon Brown und auch David Cameron äußerten scharfe Kritik an den Plänen und distanzierten sich von den Plänen.

Die EU behält sich rechtliche Schritte vor, sollte das umstrittene Gesetz das Parlament passieren, was jedoch noch längst nicht in trockenen Tüchern ist. Zwar haben Johnsons Konservative im Unterhaus die Mehrheit. Doch auch das nicht von den Tories dominierte Oberhaus muss grünes Licht geben. Da schon einige Lords Kritik an der Vorlage geäußert haben, könnte es dazu kommen, dass vom Oberhaus Nachbesserungen gefordert werden und die Vorlage später wieder im Unterhaus landet.

Großbritannien ist Ende Jänner aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende gilt aber noch eine Übergangsphase, in der die künftigen Beziehungen etwa im Bereich Handel geklärt werden sollen. Gelingt keine Einigung, droht ein ungeregelter Austritt Großbritanniens. Experten warnen in einem solchen Fall vor schweren wirtschaftlichen Folgen für beide Seiten.

Ein erstes Unterhaus-Votum ist für Montagabend (gegen 23.00 Uhr MESZ) vorgesehen, und angesichts der deutlichen Tory-Mehrheit erscheint eine Ablehnung trotz kritischer Stimmen innerhalb der Fraktion wenig wahrscheinlich. Jedoch geht die Zitterpartie in der kommenden Woche weiter, wenn eine Zusatzklausel des Justizausschuss-Vorsitzenden Bob Neill zur Debatte steht. Diese schreibt vor, dass das Parlament und nicht die Regierung bei Änderungen am Brexit-Abkommen das letzte Wort hat.

Die Pläne der britischen Regierung belasten auch die laufenden Verhandlungen über die künftigen Beziehungen und ein Handelsabkommen zwischen EU und Vereinigtem Königreich. Sie müssen bis spätestens Mitte November abgeschlossen werden, damit bis Jahresende ein Abkommen steht, wenn Großbritannien auch den Binnenmarkt und die Zollunion verlässt. Sonst gehen im beiderseitigen Handel wieder die Zollschranken herunter.

ribbon Zusammenfassung
  • Der britische Premierminister Boris Johnson hat seine Brexit-Politik im Unterhaus gegen wachsende Kritik auch aus den eigenen Reihen verteidigt.
  • Er hoffe, dass die EU "vernünftig" sein werde.

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