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6 Monate Gaza-Krieg: Verhandlungen stocken, Flächenbrand droht

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Ein halbes Jahr nach dem Massaker der islamistischen Hamas im Süden Israels stocken die Verhandlungen um Geisel-Freilassung und Waffenstillstand weiter. Die USA drängen auf Zugeständnisse, in Israel demonstrierten Zehntausende. Unterdessen drohen ein Flächenbrand und eine Hungersnot.

Sechs Monate dauert der Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen - ausgelöst durch den Überfall von Kämpfern der radikalen Palästinenserorganisation am 7. Oktober auf den Süden Israels. Mehr als 1.200 Menschen starben dabei, 250 Personen wurden als Geiseln genommen und verschleppt. Israelischen Schätzungen zufolge sind heute noch knapp 100 der verbliebenen Geiseln am Leben.

Seither wurden mehr als 33.000 Menschen in israelischen Angriffen getötet, und die Gefahr einer Ausweitung des Konfliktes im Nahen Osten wächst.

So könnte auch die libanesische Hisbollah-Miliz verstärkt eingreifen. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah sprach diese Woche angesichts des Israel zugeschriebenen Angriffs auf das iranische Botschaftsgelände in der syrischen Hauptstadt Damaskus von einem "Wendepunkt" im Krieg.

Flächenbrand droht

Es werde auf jeden Fall eine Antwort des Irans geben, und die Hisbollah, die mit dem Iran verbündet ist, habe Waffen, die sie noch nicht gegen Israel eingesetzt habe, drohte Nasrallah. Damit könnte sich der viele Jahrzehnte alte Konflikt im Nahen Osten in einen Flächenbrand ausweiten - zumal Israel verstärkt Hisbollah-Ziele im Libanon angreift und erst Ende März nach eigenen Angaben mit Ismail Al-Sin einen weiteren Hisbollah-Kommandeur gezielt getötet hat.

Hamas und Hisbollah sind sich einig in ihrer Feindschaft gegen Israel. So trafen sich etwa zwei Wochen nach dem Angriff der Hamas auf Israel und dem Beginn der israelischen Gegenoffensive Nasrallah, Hamas-Vize Saleh al-Aruri und der Chef der radikalen Palästinenser-Gruppe Islamischer Dschihad, Siad al-Nachala. Sie hätten beraten, wie ihre Allianz "einen echten Sieg für den Widerstand" im Gazastreifen erringen könne. Al-Aruri wurde jedoch am 2. Januar bei einem Israel zugeschriebenen Drohnenangriff auf ein Haus in der libanesischen Hauptstadt Beirut getötet.

USA wollen Rückkehr von Zivilisten nach Nord-Gaza

Die Verhandlungen über eine Feuerpause und Geisel-Freilassungen zwischen Israel und der Hamas laufen derzeit nur indirekt und äußerst schleppend. Die USA drängen Israel dabei nun laut Medienberichten zu Zugeständnissen in einem Kernpunkt. Demnach will die US-Regierung erreichen, dass eine begrenzte Rückkehr von Zivilisten in den Norden des seit sechs Monaten umkämpften Palästinensergebiets ermöglicht wird. 

Wie das "Wall Street Journal" am Samstag unter Berufung auf amerikanische, israelische und ägyptische Beamte berichtete, wollen die USA als Israels wichtigster Verbündeter mit ihrem Vorstoß einen Durchbruch bei den seit Wochen stockenden Verhandlungen ermöglichen.

Vertreter der islamistischen Hamas wollen nach eigenen Angaben an diesem Sonntag nach Kairo reisen, um weiterzuverhandeln. Israels Kriegskabinett sollte laut israelischen Medienberichten am Sonntagmorgen zusammentreten, um zunächst darüber zu beraten, ob es eine Delegation nach Kairo schickt oder nicht.

Hamas rückt von Forderungen nicht ab

Die von der Hamas geforderte Rückkehr der palästinensischen Zivilisten in den Norden des abgeriegelten Gazastreifens sei ein entscheidender Streitpunkt bei den Gesprächen über eine Waffenruhe und Freilassung von Geiseln in der Gewalt der Hamas, berichtete das "Wall Street Journal". Israel sei bereit, die Rückkehr von täglich 2.000 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, in den Norden zuzulassen. Maximal 60.000 Palästinenser könnten nach einem von Israel als akzeptabel erachteten Vorschlag zurückkehren. Männer zwischen 18 und 50 Jahren wären davon aber ausgeschlossen.

Die vor den Kämpfen in den Süden des Küstengebiets geflohenen Menschen müssten demnach israelische Militärkontrollpunkte passieren, um zu verhindern, dass bewaffnete Hamas-Kämpfer erneut in den Norden Gazas eindringen, hieß es unter Berufung auf israelische und ägyptische Beamte weiter. Diese Bedingungen würden jedoch von der Hamas nicht akzeptiert.

Video: Israel unter Druck

Man werde in den Verhandlungen nicht von den eigenen Forderungen abweichen, teilte die Hamas am Samstag mit. Dazu zählen unter anderem ein dauerhafter Waffenstillstand, der Abzug von Israels Armee aus Gaza und die Rückkehr von Vertriebenen.

Rufe nach Waffenstillstand und Seekorridor

Während die Verhandlungen also eher schleppend laufen, mehren sich sechs Monate nach dem Massaker die Rufen nach einem Waffenstillstand. So forderte etwa der britische Premierminister Rishi Sunak am ein Ende des Gaza-Kriegs. "Ganz Großbritannien ist schockiert von dem Blutvergießen", erklärte er am Samstagabend. Er betonte aber auch: "Wir unterstützen weiterhin Israels Recht, sich vor der Gefahr durch die Hamas-Terroristen zu schützen und seine Sicherheit zu verteidigen".

"Die Lage im Gazastreifen ist verheerend und die Gefahr einer Hungersnot real. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass die Menschen, die so dringend Hilfe benötigen, Hilfe erhalten", erklärte der britische Außenminister David Cameron.  Großbritannien werde sich an den internationalen Bemühungen um einen neuen humanitären Seekorridor für den Gazastreifen auch mit einem Schiff Royal Navy beteiligen.

Die internationale Initiative, an der neben den USA und anderen auch Deutschland beteiligt ist, sieht die direkte Lieferung von Hilfsgütern über Zypern in den Gazastreifen vor.

Hungersnot droht

Eine Hungersnot steht entsprechend der Integrated Food Security Phase Classification (IPC), einer international anerkannten Methode zur Klassifizierung von Hunger und Mangelernährung, tatsächlich unmittelbar bevor. Wahrscheinlich werde die Hungersnot bis Mai im nördlichen Gazastreifen ausbrechen, hieß es Mitte März. Bis Juli könne sich die Hungersnot über das gesamte Gebiet ausbreiten.

70 Prozent der Menschen in Teilen des nördlichen Gazastreifens litten unter der schlimmsten Nahrungsmittelknappheit, das ist mehr als das Dreifache der 20-Prozent-Schwelle, die als Hungersnot gilt. Insgesamt litten 1,1 Millionen Menschen im Gazastreifen, etwa die Hälfte der Bevölkerung, unter "katastrophaler" Nahrungsmittelknappheit.

Das Gesundheitssystem im Gazastreifen sei praktisch zusammengebrochen, erklärten westliche Ärzte, die das Gebiet in den vergangenen Monaten aufgesucht haben, bei einer UN-Veranstaltung am 19. März. Vom UN-Satellitenzentrum analysierte Satellitenbilder zeigen, dass 35 Prozent der Gebäude im Gazastreifen bei der israelischen Offensive zerstört oder beschädigt wurden. Viele Menschen sind notdürftig in Zelten untergebracht. Ihre Versorgungslage ist katastrophal. 

Auch Österreichs Außenminister Schallenberg forderte deshalb am Sonntag einmal mehr eine Feuerpause: "Sechs schreckliche Monate seit dem Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel, der unerträgliches menschliches Leid für israelische und palästinensische Zivilisten verursacht hat. Es ist höchste Zeit für eine humanitäre Pause! Hamas muss alle Geiseln freilassen. Mehr Hilfe muss Gaza erreichen. Humanitäres Recht ist nicht verhandelbar", schrieb er auf X (Twitter). 

Anti-Regierungsproteste in Israel

Unterdessen gingen in Israel sechs Monate nach dem Hamas-Massaker Zehntausende auf die Straßen, um gegen die Regierung von Premier Benjamin Netanyahu zu demonstrieren. Proteste gab es neben Tel Aviv auch in Jerusalem, Haifa, Beersheba, Herzliya und in Caesarea vor einer Privatvilla Netanyahus.

Nach Medienberichten handelte es sich am Samstag um den größten Protest seit dem 7. Oktober -  die Teilnehmer forderten ernsthaftere Bemühungen um die Freilassung der verschleppten Geiseln. Ob das Netanyahu zu Zugeständnissen bewegen wird?

ribbon Zusammenfassung
  • Ein halbes Jahr nach dem Massaker der islamistischen Hamas im Süden Israels stocken die Verhandlungen um Geisel-Freilassung und Waffenstillstand weiter.
  • Die USA drängen auf Zugeständnisse, in Israel demonstrierten Zehntausende.
  • Unterdessen drohen ein Flächenbrand und eine Hungersnot.

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