Belarus lässt 123 politische Gefangene frei
Kolesnikowa und Babariko umarmten sich überglücklich lachend bei ihrem ersten Wiedersehen nach mehr als fünf Jahren. Von einem "großen Glück" sprach Kolesnikowa, dem ersten Sonnenuntergang wieder in Freiheit. "Dennoch denke ich natürlich an diejenigen, die noch nicht in Freiheit sind. Ich sehne den Moment herbei, dass wir uns alle umarmen können", sagte sie in einem in Babarikos Telegram-Kanal veröffentlichten Video. Babariko selbst sagte, dass sein Sohn noch in Gefangenschaft sei.
Die Freilassung sei im "Rahmen der mit US-Präsident Donald Trump getroffenen Vereinbarungen und auf dessen Bitte hin" erfolgt, teilte Lukaschenkos Pressedienst in Minsk mit. Es gab zunächst keine offizielle Liste der Freigelassenen. In Belarus hielt sich den offiziellen Angaben nach eine US-Delegation unter Leitung von Trumps Gesandten John Coale auf. Die staatliche Nachrichtenagentur BELTA meldete, Lukaschenko und Coale hätten am Freitag und Samstag verhandelt. Der US-Vertreter verkündete demnach selbst auch das Ende der Sanktionen gegen die Kalium-Produzenten des Landes.
Das belarussische Menschenrechtszentrum "Wesna" von Beljazki veröffentlichte einzelne Namen freigelassener Gefangener, von denen neun direkt ins benachbarte Litauen "deportiert" worden seien. Beljazki begrüßte in der Hauptstadt Vilnius die seit Jahren im Exil gegen Lukaschenko kämpfende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja mit einer Umarmung. In der US-Botschaft sagte er dann laut Medien, dass ihm während der gesamten Fahrt zur Grenze die Augen verbunden gewesen seien.
"Sie haben mir zu einem Gnadengesuch geraten, aber ich habe nicht um Begnadigung gebeten", sagte Beljazki zu Äußerungen Lukaschenkos, dass alle Gefangenen begnadigt worden seien. Dabei ist in Belarus in der Regel ein Gnadengesuch nötig. "Wesna" betonte, die Ausreisen seien zwangsweise erfolgt. Bisweilen wollen nicht alle Gefangenen ihre Heimat für immer verlassen müssen.
Für die Angehörigen sei die Freilassung ein Moment der Erleichterung, sagte Tichanowskaja, die viele als Siegerin der Präsidentenwahl von 2020 gegen Lukaschenko sehen. Unter den Freigelassenen waren auch Journalisten. "Hunderte politische Gefangene verbleiben noch immer in den Gefängnissen in Belarus. Und bis nicht der Letzte in Freiheit ist, kann die Freude nicht vollkommen sein", sagte sie. Sie hatte das Land 2020 wegen drohender Verurteilung verlassen. In diesem Jahr kam auch ihr Mann Sergej Tichanowski in Freiheit. Tichanowskaja hatte damals seine Präsidentschaftskandidatur übernommen.
Ausreise über die Ukraine - Dank und Lob für USA
Mehr als 100 Gefangene wurden per Bus außer Landes in die Ukraine gebracht. Unter ihnen war auch Kolesnikowa, die auf einem von der Opposition im Exil veröffentlichten Foto auf einem Sitz mit ihren zu einem Herz geformten Fingern in die Kamera lächelte. In der litauischen Hauptstadt Vilnius sagte ihre Schwester Tatjana Chomitsch, dass sie Maria erwarte. Bei einem Telefonat habe ihre Schwester ihr gesagt, dass sie US-Präsident Trump und allen an der Befreiung Beteiligten dankbar sei.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, dass unter den Freigelassenen auch mehrere Staatsbürger seines Landes seien. Demnach sei Kiew an den Vorbereitungen zur Freilassung der Gefangenen beteiligt gewesen. Auch Selenskyj dankte den USA für ihre aktive Rolle. Er sagte, dass es nun darum gehen müsse, auch alle Ukrainer in russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause zu holen.
Schon zuletzt hatte Lukaschenko Gefangene auf Drängen der USA freigelassen. Grund des Schritts sei auch die Aufhebung der Sanktionen gegen die Kalium-Industrie der Republik Belarus, teilte die Führung in Minsk weiter mit. Belarus gilt als wichtiger Produzent von Düngemitteln und kann nun wieder mit den USA handeln. Die EU-Sanktionen gegen Belarus sind wegen Lukaschenkos Unterstützung bei Russlands Angriffskrieg aber weiter in Kraft.
Lukaschenko will Beziehungen zu den USA verbessern
Lukaschenko habe Bürger verschiedener Länder begnadigt, "die nach den Gesetzen der Republik Belarus wegen verschiedener Straftaten - Spionage, terroristische und extremistische Aktivitäten - verurteilt wurden", hieß es. Die Verurteilten hatten die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Sie galten als politische Gefangene, weil sie an Protesten gegen Lukaschenkos Dauerherrschaft teilgenommen hatten.
Es handle sich um eine Geste auf "Bitten anderer Staatschefs und aus humanitären Gründen sowie aufgrund allgemeiner menschlicher und familiärer Werte", teilte Lukaschenkos Pressedienst mit. Ziel sei es, die positive Dynamik der Beziehungen zu den Partnerländern von Belarus zu beschleunigen und die Lage in der gesamten europäischen Region zu stabilisieren.
Kolesnikowa führte Proteste gegen Lukaschenko an
Lukaschenko erkaufte sich mit der Freilassung der Gefangenen unter US-Vermittlung zuletzt auch die Aufhebung von anderen Sanktionen gegen das Land, darunter die staatliche Fluggesellschaft Belavia, die in der EU wie russische Linien Flugverbot hat. Lukaschenko hatte sich auch offen gezeigt, Kolesnikowa gehen zu lassen. Allerdings müsse sie dafür ein Gnadengesuch unterschreiben, sagte Lukaschenko, der als letzter Diktator Europas verschrien ist. Er sprach nun offiziell auch von Begnadigung.
Kolesnikowa gehörte zu den Anführerinnen der Massenproteste nach der von beispiellosen Manipulationsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl 2020. Machthaber Lukaschenko ließ die Proteste niederschlagen. Kolesnikowa wurde im September 2020 festgenommen und ein Jahr später wegen Verschwörung zum Umsturz zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt. Bei ihrer Festnahme hatte sie damals eine Zwangsausreise verhindert, indem sie ihren Pass zerriss, um in ihrer Heimat bleiben zu können.
In dem Land sind nach den Entlassungen der vergangenen Monate immer noch Hunderte Kritiker Lukaschenkos in Haft. "Wesna" nennt eine Zahl von mehr als 1.000 Gefangenen. Der Lukaschenko-Gegner Nikolai Statkewitsch, der ebenfalls in diesem Jahr unter US-Vermittlung freigelassen worden war, verweigerte seine Ausreise - und kam wieder in Haft.
Amnesty: "Überfälliger Schritt in Richtung Gerechtigkeit"
Amnesty International (AI) Österreich begrüßte die Freilassung der politischen Gefangenen in Belarus als "überfälligen Schritt in Richtung Gerechtigkeit". Amnesty International habe sich seit ihrer Festnahme für die Freilassung Maria Kolesnikowas eingesetzt und freue sich mit ihr und ihrer Familie, dass sie endlich in Sicherheit sei, so Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Al Österreich in einer Aussendung. Ein "bitterer Beigeschmack" bleibe jedoch, da Kolesnikowa nicht frei über eine Ausreise habe entscheiden können. Sie sei gemeinsam mit anderen Gefangenen über die ukrainische Grenze gebracht worden.
Auch wenn die Freude über ihre Freilassung überwiege, dürfe nicht vergessen werden, "dass ihre Inhaftierung nie stattfinden hätte dürfen", betonte Hashemi. Das gelte für Kolesnikowa, aber auch für alle anderen der willkürlich Festgenommenen. "Die Verantwortung für dieses Unrecht liegt bei den Behörden in Belarus", so Hashemi.
Zusammenfassung
- Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat auf Drängen der USA 123 politische Gefangene freigelassen, darunter bekannte Oppositionelle wie Maria Kolesnikowa, Viktor Babariko und Friedensnobelpreisträger Ales Beljazki.
- Die Freilassung erfolgte im Rahmen von Vereinbarungen mit US-Präsident Donald Trump und führte zur Aufhebung der US-Sanktionen gegen die Kalium-Industrie von Belarus.
- Mehr als 100 der Freigelassenen wurden per Bus in die Ukraine gebracht, mindestens neun weitere wurden direkt nach Litauen deportiert.
- Trotz der Freilassungen bleiben laut Menschenrechtsorganisation "Wesna" über 1.000 politische Gefangene in Belarus in Haft.
- Amnesty International bezeichnete die Freilassung als "überfälligen Schritt in Richtung Gerechtigkeit", kritisierte aber die erzwungene Ausreise und betonte die Verantwortung der belarussischen Behörden.
