Afghanistan-Aktivistin: Hälfte der Bevölkerung ohne Rechte
"Sie fühlen sich, als wären sie eingesperrt in ihren eigenen Häusern", sagte Salik über afghanische Frauen. Diese dürften nur bis zur 6. Schulstufe den Unterricht besuchen. Afghanistan ist das einzige Land der Welt, in dem Mädchen und Frauen der Besuch weiterführender Schulen und Hochschulen strikt untersagt ist. Frauen dürften ohne männliche Begleitung nicht reisen, eigentlich nicht einmal das Haus verlassen. Öffentlich sollen sie nicht sprechen, ihre Stimmen "sollen nicht gehört werden in der Gesellschaft", so Salik.
Um gegenzusteuern ist sie mit ihrer Organisation "Empowerment for Her" (Ermächtigung für sie) in Kontakt mit afghanischen Aktivistinnen und unterstützt diese. Generell sei die Diaspora sehr aktiv, die Situation erfordere das. Salik: "Wir fühlen uns in der Pflicht." Die Hilfe passiere direkt mit Geld, aber auch als "Nachrichten von außen" sowie "moralischer Support". Unterstützung gebe es etwa für geheime Schulen und Zeitungen. Viel Geld brauche es zudem für Umsiedelungen von Aktivistinnen und das Verstecken vor den Taliban.
Die meisten afghanischen Medien haben zugesperrt oder sind unter der Kontrolle des Regimes, sagte Salik. Deshalb sei es schwierig, Informationen ins Land hinein-, bzw. herauszubekommen. Die Kontakte vor Ort "erzählen uns, was passiert", so die Aktivistin. Eine Zeit lang seien Frauen in Afghanistan auf die Straße gegangen, um zu demonstrieren. Viele seien "eingesperrt, gefoltert, sogar vergewaltigt" worden, "aber sie haben nicht aufgehört". Allerdings habe sich der Protest weitgehend ins Internet verlagert.
Die Kommunikation finde hauptsächlich über soziale Netzwerke statt, erklärte Salik. "Wir haben große Angst, dass das Internet abgedreht wird." Dann würde man wohl jeden Kontakt ins Land verlieren. Die Taliban hätten Möglichkeiten, die Bevölkerung zu überwachen, deshalb müsse man vorsichtig sein.
"Ich will die Welt schockiert sehen", betonte Salik, stattdessen höre sie oft "nur Stille". In Verhandlungen würde manchmal gesagt, es gebe nun immerhin Frieden in Afghanistan, die Frauenrechte würden dann zu einer "kleinen Notiz". Sie frage sich dann: "Frieden für wen?", so Salik. Frauen seien es leid, dass Entscheidungen über sie gemacht würden, die momentane Situation dürfe nicht normalisiert werden. "Wir sollten nicht akzeptieren, dass die Taliban die Zukunft von Afghanistan sein werden."
Für Tagung in Wien
Tahmina Salik wurde in Kabul, Afghanistan, geboren und floh als Kind mit ihrer Familie nach Dänemark. Heute leitet sie "Empowerment for Her" (ehemals "Danish Afghan Women Diaspora Forum"), wo sie sich für die Rechte der Frauen einsetzt.
Am 23. und 24. Mai nimmt sie an einer Wiener Tagung zu "Gender Apartheid" in Afghanistan teil. Der Begriff meint die systematische Trennung von Männern und Frauen durch Gesetze. Gefordert wird die Anerkennung der afghanischen Situation als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach internationalem Recht. Tagung und Aufenthalt Saliks wurden unter anderem vom Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) organisiert.
(Das Gespräch führte Jonatan Gerstbach/APA)
Zusammenfassung
- Seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 haben Frauen und Mädchen in Afghanistan laut der Aktivistin Tahmina Salik kaum Rechte, dürfen nur bis zur 6. Schulstufe die Schule besuchen und sind von höherer Bildung ausgeschlossen.
- Die Organisation 'Empowerment for Her' unterstützt afghanische Aktivistinnen mit direkter finanzieller Hilfe, moralischer Unterstützung und Hilfe bei Umsiedelungen, da viele Frauen wegen der Repressionen versteckt leben müssen.
- Salik fordert bei einer Tagung am 23. und 24. Mai in Wien die internationale Anerkennung der systematischen Diskriminierung als 'Gender Apartheid' und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.