"Abschreckung", "Aushöhlung des Asylrechts": So sehen Experten die EU-Pläne

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Die EU-Innenminister feiern sich größtenteils selbst für ihren Kompromiss bei Verschärfungen des Asylrechts. Expert:innen wie Judith Kohlenberger, Lukas Gahleitner-Gertz und Wilfried Embacher sehen das teils diametral anders.

Jahrelang wurde in der EU über Asyl-Regeln debattiert. Am Donnerstag soll eine Lösung erzielt worden sein. Die EU-Innenminister:innen wollen sich auf eine Verschärfung der Asylrechts geeinigt haben.

Ein konkretes Gesetz gibt es freilich noch nicht, das Vorhaben muss noch im EU-Parlament verhandelt werden. Es könnte sich noch einiges von dem, was überhaupt bekannt ist, ändern. Dennoch üben Expert:innen schon jetzt heftige Kritik an den Plänen. Sie sprechen von der "Aushöhlung des Asylrechts", von einem "Abschreckungsmodell" und von "more of the same". 

Die wichtigsten Vorhaben der Innenminster: 

  • Menschen aus als sicher geltenden Ländern sollen künftig unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen in Ländern mit Außengrenzen kommen.
  • Dort würde dann im Normalfall innerhalb von sechs Monaten geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat.
  • Wenn nicht, sollen die Personen "umgehend zurückgeschickt" werden - künftig auch in Drittstaaten, die nicht die Heimatländer der Flüchtenden sein müssen. 
  •  Einzige Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben. Wie diese aussehen muss, soll im Ermessen der einzelnen EU-Staaten liegen.
  • Um die Drittstaaten zur Zustimmung zu bewegen, soll finanzielle Unterstützung geleistet werden. 
  • Innerhalb der EU sollen Flüchtlinge verteilt werden - allerdings sollen sich Staaten davon mit Strafzahlungen freikaufen können. 

Kritik an Haftzentren 

Im PULS 24 Interview kritisieren Anwalt Wilfried Embacher und Asylexperte Lukas Gahleitner-Gertz das Vorhaben scharf. Solche Haftzentren seien zwar "nicht grundsätzlich unzulässig", sagt Embacher. Doch es seien "viele Fragen offen".

Zunächst stelle sich die Frage nach Haftgründen. Ein solcher wäre etwa gegeben, wenn sich jemand dem Verfahren entziehen wolle. Wenn jemand einen Asylantrag stelle, dürfte das aber "nicht der Fall sein", so der Jurist. Offene Fragen gäbe es auch bei Fragen nach der Kontrolle von Verfahren und Haftbedingungen, bei Versorgung und Infrastruktur und dem Rechtsschutz für Asylwerber:innen. 

Für Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination werde mit der "Verlagerung an die Außengrenzländer" "am falschen Ende angesetzt". Schnellverfahren und Haftzentren gäbe es außerdem schon - es soll also "more of the same" kommen.

Auch, dass es keine Sanktionen für Länder gäbe, die die europäischen Standards missachten, ändere sich nicht. Es sei ein "Abschreckungsmodell" sind sich die beiden einig.

Kritik an Schnellverfahren

Migrationsforscherin Judith Kohlenberger spricht von einer "Aushöhlung des Asylrechts". Sie kritisiert, dass es sich bei den Verfahren an den Außengrenzen um kein "vollwertiges Asylverfahren" handle und dies dem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren widerspreche. Besonders problematisch sei die Situation für sexuelle und religiöse Minderheiten.

Das zentrale Element, dass Asyl immer eine Einzelfallprüfung sein muss, falle dadurch weg, so Kohlenberger. Weiters werde es zu einem Rückstau in den "haftähnlichen Lagern" an den EU-Außengrenzen kommen. Besonders betroffen seien vor allem Familien mit Kindern, die auch in diesen Lagern festgehalten werden dürfen.

Für Anwalt Embacher dehne die EU "rechtsfreie Zonen", wie es sie jetzt schon auf Lesbos oder Lampedusa gäbe, aus. Es müsse in dem Verfahren auch Rechtsmittel - also Beschwerden oder Einsprüche - geben. Man wisse nicht, wie das sichergestellt werden soll.

Kritik an Abkommen mit Drittstaaten

Auch solche Abkommen mit Drittstaaten gäbe es bereits, sagt Gahleitner-Gertz. Es seien aber auch jetzt schon einige Herkunftsstaaten nicht bereit, eigene Staatsangehörige zurückzunehmen. Embacher ergänzt: Sollten sich tatsächlich Drittstaaten finden, die andere Staatsangehörige aufnehmen wollen, dann müssten zunächst die Standards in diesen Ländern geprüft werden. Die Verfahren seien "komplex" und würden lange dauern. Probleme gäbe es etwa mit Libyen, Tunesien und der Türkei.

Kritik an "Solidaritätsmechanismus"

"Ich sehe es noch nicht am Tisch", sagt Gahleitner-Gertz auf die Frage, ob es nun endlich eine faire Verteilung von Migrant:innen auf die EU-Staaten gäbe. Denn die Länder können sich "freikaufen", das schaffe "keinen einzigen zusätzlichen Platz". Es werde am disfunktionalen Dublin-System festgehalten.

Auch Kohlenberger kritisiert: Die "Hardliner im Asylverfahren" wie Ungarn und Polen haben dem sogenannten Solidaritätsmechanismus nicht zugestimmt. Sollte es im EU-Parlament zu einem Beschluss kommen und Ungarn und Polen nicht zustimmen, stelle sich die Frage, wie man damit umgehen werde.

Auch Embacher bezeichnet das als "extreme Fehlentwicklung", die Gelder, die diese Länder zahlen, weil sie keine Geflüchteten aufnehmen wollen, werden nicht bei den Ländern ankommen, die viele aufnehmen, ist er sicher.

Kritik an dem, was fehlt

Gahleitner-Gertz kritisiert, dass immer nur über Migrant:innen gesprochen werde, die wenig Chancen auf Asyl habe. Es gäbe aber auch viele andere und Familien mit Kleinkindern, die dann durch die Verfahren in den Haftzentren müssten. Judith Kohlenberger warnt, dass es durch den Kompromiss zu einer "Verschlechterung der Situation" kommen könne. Wichtige Themen wie illegale Pushbacks seien nicht einmal angesprochen worden. Auch gäbe es keine Einigung mit den Herkunftsländern, wie abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylwerber zurückgebracht werden sollen.

Bis die geplanten Maßnahmen - in welcher Form auch immer - in Kraft treten, könnten laut dem Juristen Embacher aber ohnehin noch "zwei bis drei Jahre" vergehen - wenn sie denn überhaupt umgesetzt werden.

ribbon Zusammenfassung
  • Die EU-Innenminister feiern sich größtenteils selbst für ihren Kompromiss bei VErschärfungen des Asylrechts.
  • Expert:innen wie Judith Kohlenberger, Lukas Gahleitner-Gertz und Wilfried Embacher sehen das teils diametral anders.