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20 Jahre EU-Osterweiterung - "Wahrwerden einer Utopie"?

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Am 1. Mai 2024 feiert die Europäische Union 20 Jahre Osterweiterung. Mit Zypern, Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei und Slowenien war es die zahlenmäßig größte Erweiterung des Staatenblocks. Inklusive Großbritannien, das 2020 wieder aus der EU austrat, hatte die Union von dieser fünften Erweiterungsrunde an 25 Mitglieder. Später folgten noch Rumänien und Bulgarien (2007) sowie Kroatien (2013).

Der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) sprach von einer "Utopie", die Wirklichkeit geworden wäre, dass sich Ungarn und Österreich "erneut vereinen könnten in der Europäischen Union". 20 Jahre später nennt Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) es einen "Meilenstein für Österreich und die EU. (...) Aus Nachbarn sind Partner und Freunde geworden, mit denen wir heute auf allen Ebenen eng zusammenarbeiten."

Die Aufnahme in die EU wurde damals in den ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten, Ex-Sowjetrepubliken und ex-jugoslawischen Teilrepubliken sowie Zypern und Malta groß gefeiert. In Budapest wurde um Mitternacht eine riesige Sanduhr als "Symbol einer neuen Zeitrechnung" in Gang gesetzt, wie die APA vor 20 Jahren schrieb. In Litauen waren die Menschen aufgerufen, Lampen, Kerzen und Feuerzeuge zum Leuchten zu bringen, um das Land "zum hellsten Punkt Europas zu machen". Malta, der kleinste Beitrittsstaat, wollte das größte Feuerwerk aller Beitrittsländer abbrennen. In Estland sollten eine Million Bäume gepflanzt werden.

Die Wirtschaftskammer (WKÖ) weist heute vor allem auf die "echte wirtschaftliche Erfolgsgeschichte" der Osterweiterung hin. "Neben den neuen Mitgliedstaaten konnte insbesondere Österreich die Potenziale der neuen Wachstumsmärkte optimal nutzen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit intensivieren", sagt die stellvertretende WKÖ-Generalsekretärin Mariana Kühnel in einer Aussendung. "Unser Land hat von der EU-Erweiterung profitiert wie kaum ein anderes in der Europäischen Union." So hätten sich Österreichs Exporte nach Ungarn, Slowenien, Tschechien, Slowakei und Polen seit 2003 verdreifacht. Auch sei Österreich zu einem "Top-Investor in der Region" geworden.

Die neuen EU-Mitglieder haben ebenfalls vom Beitritt profitiert. Zu dem Schluss kommt eine Analyse der Erste Group, die auch die neueren Zugänge Rumänien, Bulgarien und Kroatien umfasst. Das maltesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist demnach inflationsbereinigt von 2004 bis 2023 um über 140 Prozent gestiegen. Auch Polen, Rumänien und die Slowakei gehören in diesem Zeitraum zu den am stärksten gewachsenen europäischen Volkswirtschaften.

Das BIP pro Kopf hat sich in Polen und Rumänien seit 2004 mehr als verdoppelt. In Tschechien und Slowenien betrug das entsprechende Wachstum "nur" rund 40 Prozent, allerdings seien die beiden Länder von einem höheren Wohlstandsniveau aus gestartet, merken die Experten der Erste Group an.

Um den Effekt des EU-Beitritts besser einschätzen zu können, modellierten die Erste-Group-Experten auch die geschätzte wirtschaftliche Entwicklung einiger Beitrittsstaaten im fiktiven Fall, dass sie nicht der EU beigetreten wären, und vergleichen diese mit der tatsächlichen Entwicklung. Besonders in Polen wäre das BIP pro Kopf ohne EU-Beitritt heute deutlich niedriger, so die Schätzung. Weniger, aber doch deutlich, hätten Tschechien, Ungarn und die Slowakei profitiert. Merklich geringer sei der Beitrittsvorteil in Slowenien gewesen.

Trotz aller Freudenbekundungen zum Jubiläum: Auf dem politischen Level war die Begeisterung seit dem Beitritt nicht immer so groß. Besonders Ungarn unter Ministerpräsident Viktor Orbán liegt immer wieder mit Brüssel über Kreuz. Unter der vorherigen PiS-Regierung galt auch Polen als eines der politischen Sorgenkinder der EU. Die Beziehungen haben sich hier seit der Wahl von Ex-Ratspräsident Donald Tusk zum polnischen Ministerpräsidenten aber wieder verbessert. In vielen osteuropäischen Staaten wird zudem bemängelt, dass nur wenige EU-Tobjobs von Politikerinnen und Politikern aus der Region besetzt würden.

Laut einer aktuellen Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) sagen nur 38 Prozent der Menschen hierzulande, die Erweiterung sei rückblickend eine "gute Entscheidung" gewesen - ein Wert, der bei vergleichbaren ÖGfE-Umfragen 2010 und 2019 noch bei rund 55 Prozent lag. Für 18 Prozent war es eine schlechte, und für 30 Prozent weder eine gute noch eine schlechte Entscheidung.

In der EU blickt man aber längst nach vorne, beziehungsweise weiter nach Osten und Südosten. "Das Erfolgsprojekt EU-Erweiterung muss fortgesetzt werden", schreibt am Dienstag auch Schallenberg. "Daher werden wir uns auch weiter mit aller Kraft für eine rasche Heranführung des Westbalkans an die Europäische Union einsetzen. Diese sechs Staaten (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Nord-Mazedonien, Kosovo, Montenegro und Serbien; Anm.) sind die fehlenden Steine im europäischen Mosaik, ohne sie ist die EU nicht vollständig."

Neben dem für Österreich wirtschaftlich wichtigen Westbalkan sind aber auch die Ukraine, Moldau und Georgien sowie die Türkei EU-Beitrittskandidaten - im letzteren Fall ist der Prozess allerdings zum Erliegen gekommen. Der Kosovo ist potenzieller Beitrittskandidat. "Wir müssen - auf beiden Seiten - bis 2030 bereit für die Erweiterung sein", erklärte EU-Ratspräsident Charles Michel am Montagabend bei einer Erweiterungsfeier. "Für die Kandidatenländer bedeutet dies, die notwendigen Reformen durchzuführen und alle bilateralen Streitigkeiten zu lösen. Für die EU bedeutet dies, dass wir unsere Programme und Haushalte sowie unsere Entscheidungsfindung reformieren müssen."

Eine weitere Ausweitung der EU stößt in Österreich allerdings auf wenig Gegenliebe. Laut der ÖfGE-Umfrage wird ein Bosnien-Beitritt mit 36 Prozent noch am wenigsten abgelehnt (jeweils 25 Prozent würden den Schritt begrüßen oder er wäre ihnen "egal"). Ein Beitritt der Ukraine (51 Prozent), des Kosovos (51 Prozent) oder Serbiens (50 Prozent) wird von einer Mehrheit abgelehnt, genauso wie ein (nicht mehr anvisierter) Beitritt der Türkei (69 Prozent).

(Von Stephan Polet/APA)

ribbon Zusammenfassung
  • Vor 20 Jahren erweiterte sich die EU um zehn neue Mitgliedstaaten, darunter Polen und Ungarn, was die größte Erweiterung in ihrer Geschichte markierte.
  • Österreich hat wirtschaftlich stark von der EU-Osterweiterung profitiert, mit einer Verdreifachung der Exporte nach Ungarn, Slowenien, Tschechien, Slowakei und Polen seit 2003.
  • Die Feierlichkeiten zur EU-Aufnahme waren in den Beitrittsländern groß, in Ungarn startete eine riesige Sanduhr und in Litauen wurden die Bürger aufgerufen, das Land zum hellsten Punkt Europas zu machen.
  • Politische Spannungen, wie die Auseinandersetzungen Ungarns unter Viktor Orbán mit Brüssel, trüben das Bild der EU-Erweiterung.
  • Trotz gemischter Meinungen in Österreich plant die EU weitere Erweiterungen, insbesondere im Westbalkan und in Osteuropa, obwohl die Zustimmung in der österreichischen Bevölkerung gering ist.

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