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Wittgensteins Beziehung zur Fotografie im Leopold Museum

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Die vielfältig ausgeprägten Formen von Fotografie spielten im Leben Ludwig Wittgensteins eine große, wenn auch weitgehend bisher unbeachtete Rolle. Das will das Leopold Museum nun mit einer umfassenden Ausstellung mit dem Titel "Ludwig Wittgenstein. Fotografie als analytische Praxis" ändern. Im Wechselspiel der wenigen selbst aufgenommenen Fotos des Philosophen sowie seiner Fotosammlung und zeitgenössischen Werken entsteht ein ganz eigener Kosmos.

Bereits seit sechs Jahren wälzen die Kuratorin Verena Gamper und der Künstler Gregor Schmoll die Idee zu dieser Ausstellung, wie Direktor Hans-Peter Wipplinger im Rahmen der Pressebesichtigung am Donnerstag erläuterte. Zudem jähre sich heuer der 70. Todestag Wittgensteins (1889-1951) sowie das Erscheinen seines "Tractatus" (1921), was die Schau auch zu einer Würdigung mache. "Es ist aber keine Ausstellung zum Philosophen Wittgenstein, sondern sie betrachtet das Medium Fotografie mit den Augen Wittgensteins", so Wipplinger. Ausgehend von in jedem Saal (Ebene -1) platzierten Tischvitrinen, in denen sich Fotografien, Postkarten oder Aufzeichnungen aus Wittgensteins Besitz finden, umkreisen die Kuratoren die thematischen Ankerpunkte, die von der "Kompositionsfotografie und Unschärfe" über das "(Selbst)porträt" und "Fotografierte Räume und Orte" bis hin zur "Analyse des Wahrheitsgehaltes von Fotografien" reicht. Abgeschlossen wird der Rundgang mit "Das letzte Bild". Insgesamt sind rund 200 Objekte vertreten, die zum zweimaligen Hinschauen einladen.

Eingerahmt werden die Wittgenstein'schen Zeugnisse von künstlerischen Positionen von Vito Acconci über Birgit Jürgenssen und Cindy Sherman bis Heimo Zobernig. Den Anfang machen dabei die frühesten Aussagen des Philosophen über Fotografie im Jahr 1929 in Zusammenhang mit der "Galton'schen Photographie", die sich der Methode der fotografischen Synthese von Gesichtern zum Zweck einer Typologisierung bediente. Wittgenstein griff diese in seiner "Lecture on Ethics" auf und bildete so ein Gegenkonzept zur klassischen Begriffsdefinition, wie Kuratorin Gamper erläuterte. "Anstelle einer klar begrenzten Bedeutung breitete er vor dem Auditorium eine Reihe von synonymen Begriffen aus, in deren Überlagerung die charakteristischen Merkmale der Ethik zu erkennen wären", heißt es dazu im Begleittext. Künstlerisch eingerahmt werden diese Ausführungen von zeitgenössischen Werken wie der Serie "anderes Porträt" von Thomas Ruff, der "Transformer"-Serie von Katharina Sieverding oder der Serie "Grazer Kontaktporträts" von Manfred Willmann - die allesamt mit Überlagerungen oder Zersplitterungen arbeiten.

Auf dem Vitrinentisch des nächsten Raums finden sich die einzige erhaltene Selbstporträtserie des Philosophen, die aus einem Automaten stammt, sowie einige wenige Porträts, die Wittgenstein im Laufe seines Lebens anfertigen ließ. Zeitgenössisch konterkariert wird diese Form der (Selbst)darstellung mit Werken von u.a. Friedl Kubelka ("Das erste Jahresportrait"), Birgit Jürgenssen ("Ohne Titel (Selbstporträt)") oder Polaroids von Andy Warhol ("Andy about to sneeze" und "Andy sneezing") sowie der "Album"-Serie von Gillian Wearing. Den einzigen dezidiert biografischen Einblick gibt es im Raum, der die Familie Wittgenstein ins Bild rückt. Zahlreiche historische Fotografien verdeutlichen das frühe Interesse der Familie gegen Ende des 19. Jahrhunderts, sich vor der Kamera zu inszenieren.

Zentral ist die Auseinandersetzung mit Wittgensteins Fotoalbum, wobei es sich um ein liniertes Büchlein handelte, in das er scheinbar zusammenhanglos und unkommentiert Fotos einklebte. Auf einem Tablet kann der Besucher durch die digitalisierten Seiten blättern. Ähnliche Sammlungen finden sich etwa bei Gerhard Richter ("Atlas-Übersicht") oder Hanne Darboven ("Mitarbeiter und Freunde"). Aber auch das fotografische Festhalten von Räumen und Gebäuden und die Analyse des Wahrheitsgehalts von Bildern sind Thema einzelner Ausstellungsräume. "'Eine Photographie lügt nicht': Die Wahrheit ist: Die Photographie lügt immer", notierte Wittgenstein einst. In seiner "Nonsense Collection" sammelte er "unsinnige Zeitungsausschnitte", die ebenfalls Eingang in die Schau gefunden haben.

Den Abschluss der Ausstellung bildet schließlich der Tod. Selbst sein eigenes Bild auf dem Totenbett wollte Wittgenstein inszeniert wissen, wie aus den Ausführungen hervorgeht. So hatte er sich in der Zeit vor seinem Tod mit dem Sujet des Totenbildes beschäftigt und sich noch im März 1951 eine fotografische Reproduktion jener Zeichnung schicken lassen, die seine Schwester von dem Organisten Josef Labor 1924 angefertigt hatte. Dem stellen die Kuratoren weitere fotografische Auseinandersetzungen mit dem Ableben gegenüber: So findet sich hier etwa ein von Peter Hujar angefertigtes Totenporträt von Sydney Faulkner oder die Serie "Vaterfigur" von Margherita Spiluttini. Und so schließt diese sehr lohnende, wenn auch komplexe und weitgehend auf Erklärungen verzichtende Ausstellung mit dem allerletzten Bild, das Wittgenstein von sich anfertigen ließ: auf dem Totenbett.

(S E R V I C E - "Ludwig Wittgenstein. Fotografie als analytische Praxis" im Leopold Museum, 12. November bis 6. März 2022. Der gleichnamige Katalog umfasst 304 Seiten und kostet 29,90 Euro. Infos unter www.leopoldmuseum.org)

ribbon Zusammenfassung
  • Die vielfältig ausgeprägten Formen von Fotografie spielten im Leben Ludwig Wittgensteins eine große, wenn auch weitgehend bisher unbeachtete Rolle.
  • "Es ist aber keine Ausstellung zum Philosophen Wittgenstein, sondern sie betrachtet das Medium Fotografie mit den Augen Wittgensteins", so Wipplinger.
  • Den einzigen dezidiert biografischen Einblick gibt es im Raum, der die Familie Wittgenstein ins Bild rückt.