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Winkler-Uraufführung im Kärntner Landesmuseum als Brandrede

Heute, 07:49 · Lesedauer 3 min

Der russisch-jüdische Maler Chaim Soutine, laut Programmheft "einer der Helden Josef Winklers, die Faszination und Inspiration ausstrahlen", ist im Titel des neuen Stückes des Büchner-Preisträgers verewigt: Die Premiere von "Ich bei Tag und du bei Nacht in der Konditorei Patisserie Chaim Soutine" ist am Donnerstag als wuchtiges Plädoyer gegen das Vergessen im kärnten.museum in Klagenfurt gefeiert worden.

Ein effektvoller Kunstgriff ist dabei die Besetzung des Bühnenmonologs mit einer Frau: Die junge deutsche Schauspielerin Clara Liepsch erzählt sowohl aus Sicht des Autors als auch aus der seiner verstorbenen älteren Schwester, einer gelernten Konditorin, die wegen Schizophrenie Jahre in einem psychiatrischen Pflegeheim verbracht hat. Es ist ein assoziatives Graben in der Vergangenheit, ein Erinnern an Missbrauch, Demütigung und vielfältige Ängste: "Maulwürfe tauchen immer wieder in meiner Nacht auf."

In der detailreichen, sinnlichen Regie von Annalisa Engheben hantiert die Schauspielerin mit Wasser, Erde und Stoffen, klettert eine Leiter hoch oder krümmt sich am Boden zusammen. Stets bleibt ihr Kontakt zum Publikum aufrecht - mit zwingenden oder schelmischen Blicken, kleinen Gesten und großen Ausbrüchen. Weder Bühnengraben noch Kulissen halten auf Distanz, sie ist überall im Raum gegenwärtig. Ihre Präsenz in Verbindung mit der präzisen und poetischen Sprache Josef Winklers scheint den Text in eine neue Dimension zu erweitern.

Bildgewaltige Wortflut

Traumatische Erinnerungen, ins Surreale abgleitende Bilder, die Suche nach der eigenen Identität verwebt dieses Einpersonenstück zu einer bildgewaltigen Wortflut. Wovon Josef Winkler erzählt, kennt man aus seinen Büchern: Kälberstrick und Kindergräber, Nazi-Verbrecher und verstummte Mütter, eine patriarchale Gesellschaft und die Rettung durch Karl May und das Kino sind wiederkehrende Motive. Erschütternd und neu ist das Thema Inzest, das im Raum steht, und die Anklage an die eigene Mutter: "Wieso hast du mich auf diese Welt gebracht? Und wozu?" Die überdimensionale schwarz-weiße Videoprojektion einer stillenden Mutter verleiht der packenden Inszenierung im Atrium des Museums etwas Sakrales.

"Ich wünsche mir, dass es mein schönstes und tiefstes Buch wird", hat Josef Winkler kürzlich in einem Interview über den Roman gesagt, der nächstes Jahr bei Suhrkamp erscheinen wird und Ausgang für das Theaterstück gewesen ist. Wer das Auftragswerk für das Stadttheater gesehen hat, kann sich also schon auf das Erscheinen des Buches freuen.

(Von Karin Waldner-Petutschnig/APA)

(S E R V I C E - "Ich bei Tag und du bei Nacht in der Konditorei Patisserie Chaim Soutine" von Josef Winkler, Uraufführung/Auftragswerk des Stadttheaters Klagenfurt in Kooperation mit dem kärnten.museum. Mit: Clara Liepsch (Spiel), Annalisa Engheben (Regie), Thomas Mörschbacher (Bühne und Kostüme), Gloria Gammer (Video), Hans Mrak (Dramaturgie); weitere Vorstellungen: 17., 21., 24., 25., 27., 28. Mai, 19.30 Uhr; www.stadttheater-klagenfurt.at)

Zusammenfassung
  • Die Uraufführung von Josef Winklers Einpersonenstück "Ich bei Tag und du bei Nacht in der Konditorei Patisserie Chaim Soutine" wurde am Donnerstag im kärnten.museum in Klagenfurt gefeiert.
  • Die junge Schauspielerin Clara Liepsch verkörpert in einer eindringlichen Inszenierung sowohl den Autor als auch seine verstorbene Schwester und thematisiert Missbrauch, Ängste und erstmals auch Inzest.
  • Das Auftragswerk des Stadttheaters Klagenfurt wird noch am 17., 21., 24., 25., 27. und 28. Mai jeweils um 19:30 Uhr aufgeführt und basiert auf einem Roman, der 2025 bei Suhrkamp erscheint.