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Weltoffene Geheimnisse: Pippo Pollinas "Canzoni segrete"

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Er hat als Sizilianer mit seiner Gitarre die Straßen Europas erobert, mit Konstantin Wecker die "Nuova realta" besungen und dem Sprachgewirr von James Joyces "Finnegan's Wake" ein musikalisches Denkmal gesetzt: Pippo Pollina gehört nicht zu jener Sorte von Cantautori, die auf Italo-Pop-Samplern Urlaubsgefühle provozieren. Nun hat der weltoffene Wahl-Schweizer sein zwischen mehreren Lockdowns aufgenommenes Album "Canzoni segrete" aufgenommen.

Cantautore, so nennt sich das italienische Pendant zum eher dem Englischen zugeneigten Singer-Songwriter. Pollina geht allerdings oft noch ein Stück weiter als seine bekannteren Kollegen Lucio Dalla, Antonello Venditti und Toto Cutugno. Der gebürtige Palermitaner und ausgebildete klassische Gitarrist begann als Straßenmusiker. Schon früh wollte er sich keinem Stil zuordnen lassen. Folklore aus aller Welt, Jazz und Chansons ließ er zuallererst als Straßenmusiker auf sein Zufallspublikum los, bevor er die Bühnen eroberte.

Beachtung im deutschsprachigen Raum erlangte Pollina durch eine Kooperation mit dem Liedermacher Konstantin Wecker vor rund 30 Jahren. Nachdem in Deutschland Rechtsextreme Anschläge auf Türken verübt hatten, besangen beide die "Questa nuova Realtà", also eine neue Realität der Verbundenheit aller Menschen, egal welcher Herkunft. Seine Liebe für das europäische Sprachengewirr manifestierte sich auch einige Jahre später, als er gemeinsam mit dem kürzlich verstorbenen Franco Battiato den Joyce-Roman "Finnegans Wake" mit mystischem Gestus besang.

Der große Hit ist für den noch immer jugendlich wirkenden 58-Jährigen bisher ausgeblieben. Kommerzieller Erfolg ist aber ohnehin nicht sein Ziel, wie er im APA-Interview betont. Sein Konzept: "Man darf nicht vertikal denken, sondern horizontal. Von Lissabon bis Kiew gibt es ein Publikum für solche Musik." Ziemlich in der Mitte liegt Österreich, wo Pollina seinen Fankreis seit Jahrzehnten aufgebaut hat. Tochter Madlaina lebt zudem in Wien, wo sie selbst als Musikerin tätig ist.

Auf allzu harte Sprachbarrieren ist Pollina bei seinem internationalen Publikum noch nicht gestoßen. Ein Grund dafür: "Das deutschsprachige Publikum hat ein kulturelles Interesse für italienische Musik, die ein gewisses Profil hat." Sprache sei zudem ein sehr wichtiger Schlüssel. "Ich erkläre meine Lieder auf Deutsch. Dann können die Leute sofort in meiner Welt sein", erzählt der Liedermacher. Ohnehin gilt für Pippo Pollina: "Ein gutes Lied ist die perfekte Hochzeit zwischen guter Musik und gutem Text."

Dieses Motto hat der Künstler auch auf seinem neuesten Opus, das seit dieser Woche erhältlich ist, erfüllt. Auf "Canzoni Segrete" treffen 14 Kompositionen aufeinander, die allesamt während des Lockdowns aufgenommen wurden. Geholfen haben ihm rund zwei Dutzend Musiker und Musikerinnen, der Multiinstrumentalist Martin Kälberer, der auch als Produzent und Co-Arrangeur fungierte, die Gitarristen Jean Pierre von Dach und Titus Vollmer, der Bassist Alex Klier und der Schlagzeuger Leonardo Guadarrama.

Der Einsatz von Streichern und Bläsern macht "Canzoni segrete" zu einem ungewohnt üppig arrangierten Album für Pollina, dennoch bleibt sein unverwechselbar nachdenklicher und intimer Stil erhalten. Etwa beim Opener "Una musica anche domani", eine Ode an die Musik selbst. "Die Musik hat mein Leben gerettet und das wird sie auch morgen tun", meint der Songwriter zur ersten Auskoppelung aus dem Album samt dem in seiner Heimat Sizilien gedrehten Video.

Aber auch den Lockdown selbst - und die damit verbundenen auch positiven Erfahrungen - hat Pollina zu einen Song verarbeitet: "Tutto chiuso!" "Es ist ein ironisches Lied. Auch der Swing, mit dem wir das spielen, hat schon positive Aspekte", erklärt er seinen wie immer positiven Ansatz. "Plötzlich beginne ich, mit den Nachbarn zu tun zu haben, mit ihnen zu sprechen. Plötzlich erkenne ich die Bäume, die Farbe der Häuser. Plötzlich ist das unmittelbar Nahe wichtig geworden."

Trotz Pollinas immer schon hoch politischer Grundhaltung lässt der Cantautore keine bitteren Gefühle zu. "Es gehört nicht zu mir, diese Wut. Ich habe einen anderen Charakter. Ich bin eigentlich lösungsorientiert und nicht problemorientiert", meint er dazu. Und auch mit Trauer geht Pollina auf seine ureigene Art um, nämlich einem Lächeln, wie er es auch abseits der Bühne auf den Lippen hat. "Scacciaferro", der Fantasiename seines verstorbenen Bruders, ist ebenjenem gewidmet.

Nicht ausnahmslos positive Gefühle hegt Pollina, wenn er an die derzeit produzierte Musik in seinem Heimatland denkt. "Ich mag die italienische Musik, die heute gespielt wird, nicht besonders", meint er dazu. "Es entspricht nicht meinem Geschmack und nicht meiner Intention." Aber auch hier hegt er die Hoffnung, dass es besser wird, denn "mit so einer Tradition, wie wir sie haben, das kann nicht alles verschwunden sein. Ich bin überzeugt, es kommt eine Zeit, wo wieder einmal eine Welle von jungen Musikern diese Elemente verarbeiten werden".

Auch die österreichische Szene beobachtet Pollina genau und bezeichnet sich als Fan des verstorbenen Georg Danzer und Hubert von Goisern. Durch seinen Sohn, der sich unter dem Künstlernamen Faber selbst als Musiker behauptet, hat er aber auch viel mit der österreichischen Szene zu tun, wie er sagt. "Da habe ich etwa Wanda kennengelernt und andere Namen."

Wann Pollina selbst wieder in Wien auftritt, ist angesichts der Pandemie noch ungewiss. Mehrere Österreich-Termine mussten abgesagt werden. Derzeit fix sind lediglich die Konzerte in Imst (12. Mai) und Salzburg (30. September).

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  • Nun hat der weltoffene Wahl-Schweizer sein zwischen mehreren Lockdowns aufgenommenes Album "Canzoni segrete" aufgenommen.

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