Verena Stauffer fährt zum Bachmann-Preis: "Es wird hart"
Dabei steht auf dem schmalen, doch großformatigen Band, dessen rosa Cover eine Palme und eine untergehende Sonne ziert, eine Genrebezeichnung, die populärer kaum sein könnte: Liebesgedichte. Im Inneren wartet jedoch ein experimenteller Text, der von der griechischen Mythologie zum modernen Digitalzeitalter und wieder zurück springt, verschiedene Schriften und Sprachen ausprobiert und auch Fotografie mit einbezieht. "Es ist ein gewagtes Buch. Und genau das wollte ich auch", sagt Stauffer.
In Fußnoten legt sie Bezüge offen, die auf chinesische Dichterinnen und in zypriotischen Straßengräben gefundene Vibrator-Verpackungen ebenso verweisen wie auf Händel-Opern. Jeder neue Mensch, jede neue Beziehung bedeutet auch eine neue Hoffnung - auf "ein Erweitern des eigenen Lebens", auf "eine Veränderung der Welt", meint sie. Poesie sei stets auch politisch - und Gedichte könnten "Trost und Schutz bieten". Ist das nun verstiegen - oder revolutionär?
Wohl keins von beidem. Der Eindruck, den die in Wien lebende Oberösterreicherin im Gespräch hinterlässt, ist eher: Sie weiß, was sie will, weiß aber nicht, ob sie das zeigen darf. Deswegen ist der Mut, es beim Wettlesen versuchen zu wollen, erst aus einem Erfolgserlebnis entstanden: Ende Jänner stellte die Autorin, deren Debütroman "Orchis" über die exotische Welt der historischen Orchideenforschung 2018 auf viel positive Resonanz stieß, einen neuen Roman fertig. Das Manuskript schickte sie an die Frankfurter Verlagsanstalt, wo 2021 ihr Pandemie-Buch "Geschlossene Gesellschaft" erschien. Die positive Antwort von Verleger Joachim Unseld kam just an Stauffers 47. Geburtstag. "Da war ich kurz in einer Hybris und hab' mir gedacht: Jetzt schreib' ich auch noch einen Text für den Bachmann-Preis", lacht sie.
Die Zeit ist reif dafür, findet Stauffer. "Ich bin jetzt so alt wie Ingeborg Bachmann, als sie gestorben ist." 2018 hat sie schon einmal eingereicht. Damals hat es nicht geklappt. Seither hat sie es nicht mehr versucht, kein Text hat sich ihr dafür aufgedrängt - "und man kann es sich ja nicht aus den Rippen schneiden". Diesmal hat sie ein Satz aus einer Geschichte, die ihr jemand erzählt hat, angesprungen. "Daraus hat sich der ganze Text entwickelt." Der in einem Wurf entstandene "poetische und politische, aber auch sehr metaphorische Prosatext" (mehr will Stauffer nicht verraten) hat Juror Klaus Kastberger überzeugt. Und nun ist sie eine von 14 Teilnehmenden, die ab 25. Juni bei den 49. Tagen der deutschsprachigen Literatur antreten.
"Das Prinzip heißt: rise and fall."
"Ich weiß, es wird ernst und hart. Das Prinzip heißt: rise and fall. Aber gehört zu werden und gelesen zu werden, ist ein Geschenk - auch wenn's ein Zirkus ist." Was sie erwartet, glaubt sie nach vielen Stunden Fernsehübertragungen und einem persönlichen Besuch vor zwei Jahren ungefähr zu wissen. "Ich erwarte mir eine kollegiale, schöne Zeit, schöne, aufregende Tage. Dabeisein ist das Wichtigste. Ein Preis ist kein Muss. Viele Große waren dort - und sind ohne Preis wieder abgefahren."
In jedem Fall wird Klagenfurt nur eine Etappe sein auf einem Weg, dessen Ziel Verena Stauffer nicht kennt. "Ich hab das Gefühl, dass ich noch nicht dort bin, wohin ich möchte. Ich bin eine Suchende." Was sie aber weiß, ist, dass Sprache dabei eine Hauptrolle spielt. "Sprache ist ein Zuhause, das ich sonst nicht habe."
Molln, Tomsk und Pennsylvania
Das Unterrichten des Umgangs mit Sprache führte sie weit in die Ferne, bis ins sibirische Tomsk oder nach Pennsylvania, wo sie jeweils Kurse gegeben hat. Es gebe Übungen, erzählt sie, die würden in jeder Weltgegend dabei helfen, dem sprachlichen Ausdruck die richtige Form zu geben. "Etwa: Der Blick aus dem Fenster. Das ergibt sehr unterschiedliche, aber oft ganz tolle Texte."
Der eigene Blick beim Aufwachsen im heimatlichen Molln fiel immer wieder auf die Naturidylle des Nationalparks Kalkalpen. Diese unberührte Landschaft, die auch in ihrem Gedichtband "Ousia" (2020) zur Sprache kam, sei heute gefährdeter denn je. Umso dringlicher sei es, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Ihr übernächster Roman, den sie allmählich beginnt, "im Kopf konzeptuell aufzusetzen", könnte sogar der Beginn einer "Herkunfts-Trilogie" sein, sagt Stauffer und erinnert daran, dass Molln auch der Geburtsort einer österreichischen Dichterin ist, die wie wenige andere Schrecken und Schönheit von Natur und Zivilisation eingefangen hat: Marlen Haushofer. Von Haushofer zu Bachmann? Man könnte meinen: Die Richtung stimmt.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E - Verena Stauffer: "Kiki Beach. Liebesgedichte", kookbooks, Reihe Lyrik Band 90, 72 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-948336-27-1)
Zusammenfassung
- Verena Stauffer steht mit ihrem Gedichtband "Kiki Beach" im Juni an der Spitze der ORF-Bücher-Bestenliste.
- Die 47-jährige Autorin tritt ab 25. Juni als eine von 14 Teilnehmerinnen beim Bachmann-Preis in Klagenfurt an.
- Ihr Band vereint experimentelle Liebesgedichte mit Bezügen von griechischer Mythologie bis Digitalzeitalter und enthält auch Fotografien.
- Stauffer beschreibt die Teilnahme am Bachmann-Preis als "hart" und sieht das Dabeisein als wichtigsten Gewinn.
- "Kiki Beach" ist im Verlag kookbooks erschienen, umfasst 72 Seiten und kostet 24 Euro.