Tiroler Festspiele Erl: Verquickung zweier Männerwelten
Die beiden einaktigen Opern - "Herzog Blaubarts Burg" stammt aus dem Jahr 1911, "La voix humaine" datiert mit 1959 - warten jeweils mit Frauen als mehr oder weniger autonome Schlüsselfiguren auf. Auch in Erl versuchte die Protagonistin Judith auf der kargen, aber brillant ausgeleuchteten und in Szene gesetzten Bühne von Monika Korpa die düstere Burg von Herzog Blaubart zu illuminieren, fand dort aber stattdessen allzu dunkle Geheimnisse, viel Blut und nicht zuletzt mehrere zu Objekten degradierte Ehefrauen. Die namenlose Frau in "La voix humaine" wiederum versuchte in einem verzweifelten Telefonat mit ihrem Geliebten ihre eigene Position zu vermessen und sich mit dem Scheitern der Liebe irgendwie zu arrangieren - Wahnsinnsanfälle, Schuldeingeständnisse und vereinzelter Pragmatismus inklusive.
Dass beide Werke für sich stehen könnten, war dabei mehr als augenscheinlich. Grundsätzlich wäre auch eine bloße Gegenüberstellung der beiden kurzen Opern bereits gewinnbringend gewesen. Dabei hätten sich bereits zwei abgründige, männerdominierte Welten aus unterschiedlichen Zeitkontexten gezeigt, bei denen ebenjene Herren der Schöpfung je unterschiedliche Rolle einnahmen und den Frauen durchaus zum Teil übel mitspielten.
Es wäre da etwa bereits der dominante und wenig gesprächige Herzog Blaubart gewesen, der bedingungslose Liebe erwartete, aber Wesentliches verbarg. Und der abwesende Mann in "La voix humaine", der lediglich als erahnbarer, aber weder sichtbarer noch hörbarer "Gegenspieler" bei einem Telefonat der Frau diente.
Der Abend wollte allerdings sichtlich mehr: Die Frau, die in dem Werk von Poulenc mit sich rang, hatte bereits einen kurzen, fast unmerklichen Auftritt in "Herzog Blaubarts Burg". Und auch die Rolle des Blaubarts selbst sollte schließlich in "La voix humaine" eine Leerstelle ausfüllen und einen Vorschlag machen, welche Art von Mann am anderen Ende der Telefonleitung saß. Verbunden waren diese beiden Welten zuvor zudem bereits von dem 3. Satz - Elegia - aus dem Konzert für Orchester von Béla Bartók worden.
So erkannte der Betrachter und Zuhörer Zusammenhänge, die weder von den Komponisten per se gewollt noch in der Musik angelegt waren. Vielmehr waren es Ausleuchtungen von Aspekten, von Strukturen, von Abhängigkeitsverhältnissen, die Ähnlichkeiten über die Werke hinweg aufwiesen. So ließ sich dann auch schließlich sowohl die Burg von Blaubart neu verstehen als auch das Telefonat von "La voix humaine" als Gedankenspiel neu auslegen.
Überzeugende Gesangsleistungen, Orchester zeigte sich in Hochform
Abgesehen von diesen interessanten Sinnkonstruktionsvorschlägen, donnerte die Musik von Béla Bartók so eindrucksvoll und schillernd wie nur möglich und gab sich die Komposition von Poulenc so geheimnisvoll und aberwitzig, wie nur irgendwie denkbar. Unter der Leitung von Rajna zeigte sich das Orchester der Festspiele Erl außerdem wahrlich in Hochform. Auch die jeweiligen Rollen überzeugten durch die Bank vollends: Florian Boesch gab einen grandiosen und stimmgewaltigen Herzog Blaubart, "Judith" Christel Loetzsch zog sämtliche Gesangs- und Emotionsregister und Barbara Hannigan brillierte mit einer unglaublichen gesanglichen Wandelbarkeit und Schauspielkunst als "La femme" in "La voix humaine".
Nach lediglich rund zwei Stunden Nettospielzeit - unterbrochen von einer Pause - holten sich die Akteurinnen und Akteure des Abends schließlich ihren verdienten Applaus ab. Dieser wurde heftig und geradezu euphorisch bei den weiblichen Hauptrollen, bei Hannigan brandeten zudem für Erler Verhältnisse ungewohnt laute Bravo-Rufe auf. Über ebenjene, allerdings nicht ganz so heftig geäußert, konnten sich auch Regisseur Guth und der das Dirigat innehabende Rajna freuen.
(Von Markus Stegmayr/APA)
(S E R V I C E: "Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók und "La voix humaine" von Francis Poulenc. Regie: Claus Guth. Musikalische Leitung: Martin Rajna. Bühne: Monika Korpa. Kostüme: Anna Sofie Tuma. Licht: Michael Bauer. Choreographie: Evie Poaros. Mit Florian Boesch (Herzog Blaubart), Christel Loetzsch (Judith), Barbara Hannigan (La femme/Die Frau), Orchester der Tiroler Festspiele Erl. Weitere Vorstellungen: 13. Juli und 18. Juli (19.00 Uhr). https://www.tiroler-festspiele.at/)
Zusammenfassung
- Das Orchester der Festspiele präsentierte sich in Hochform, während Florian Boesch, Christel Loetzsch und Barbara Hannigan mit herausragenden Gesangsleistungen überzeugten.
- Nach rund zwei Stunden Nettospielzeit und einer Pause wurden die Akteurinnen und Akteure mit besonders euphorischem Applaus gefeiert, weitere Vorstellungen finden am 13. und 18. Juli statt.