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Spannungsloses "Das weite Land" in der Josefstadt

Heute, 08:58 · Lesedauer 4 min

Das weite Land, eine leere Bühne? Dass eine dem Flair der Jahrhundertwende entrückte Inszenierung von Arthur Schnitzlers Dauerbrenner einen unglaublichen Sog entwickeln kann, zeigte Barbara Frey 2022 im Akademietheater, wo das Stück immer noch auf dem Spielplan steht. Auch das Theater in der Josefstadt lieferte 2010 mit Josef E. Köpplingers präziser Deutung einen starken Abend. Nun versucht sich dort Janusz Kica an dem Stoff - und enttäuscht mit einem blutleeren Abend.

Je geringer die Ablenkungen ausfallen, desto stärker liegt die Aufmerksamkeit auf den Figuren. Schnitzler hat mit seinem dekadenten Personal des hedonistischen Großbürgertums am Ende einer Epoche eine hervorragende Möglichkeit geschaffen, den Stoff ins Heute zu holen. Doch dafür braucht es schon ein bisschen mehr als Over-Ear-Kopfhörer, Casual Chic beim Tennisspiel, gut sitzende Businessanzüge und eine mondäne Hängelampeninstallation. Eine solche hat Ausstatterin Karin Fritz der Villa verpasst, in der der Glühbirnenfabrikant Friedrich Hofreiter und seine Frau Genia in Baden bei Wien Hof halten. Im Zentrum der schwarzen Drehbühne steht eine Betonmauer als Raumtrenner, ansonsten dienen lediglich zwei Hocker als Mobiliar. Ein Haus so leer wie das Innenleben seiner Bewohner.

Bernhard Schir gibt einen blassen, von jeglichem Charme befreiten Neureichen, dem man nicht ganz abnimmt, dass ihm die Frauen die Tür einrennen. Sein Umgang mit Genia, die Köstlinger zumindest im ersten Teil des Abends als teilnahms- und lustlose Gattin anlegt, strotzt vor lascher Gleichgültigkeit. Dass sein Bankier Natter (kaum präsent: Günter Franzmeier) das Gerücht streut, der Pianist Korsakow habe sich aus unglücklicher Liebe zu Genia das Leben genommen, scheint in niemandem wahre Emotionen auszulösen. Dass Hofreiter gerade eine Affäre mit Natters Frau Adele (Martina Stilp) hinter sich hat, scheint ebenfalls keine große Sache.

Kein Druck im Kessel

Und so plätschert das Geschehen rund um Betrug, Leidenschaft und mögliche Rachsucht bis zur Pause 100 Minuten lang dahin, die Auftritte von Tobias Reinthaller als Marine-Fähnrich Otto, Elias Baumann und Johanna Mahaffy als Geschwister Wahl und Matthias Franz Stein als Oberleutnant Stanzides wirken bisweilen wie Stellproben mit Tennisschläger. Auch Sandra Cervik als Aigner-Exfrau und Ulli Maier als gar nicht dümmlich wirkende Frau Wahl bleiben seltsam blass, als würde ihre bloße Anwesenheit auf der Bühne schon reichen, dieser komplexen Geschichte Leben einzuhauchen. Dass der Druck in diesem Kessel mit jeder Minute größer wird, vermag Kica mit seiner hölzernen Personenführung nicht zu vermitteln. Auch die Spannung, die Schnitzler rund um die Bergtour in den Dolomiten aufbaut, will sich vor der Bergkulisse mit Trachten-Auftritten von Martin Zauner als Portier im Haus am Völser Weiher und Marcello De Nardo als Doktor Meyer einfach nicht einstellen.

Lustlose Paartherapie zwischen Berggipfeln

Der Dialog zwischen Hofreiter und der jungen Erna, die Mahaffy selbstbewusst anlegt, wirkt nach ihrem erotischen Aufeinandertreffen wie eine lustlose Paartherapie. Schnitzlers Satz "Mit vierzig Jahren sollt' man jung werden, da hätte man erst was davon" war selten so unglaubwürdig. Lediglich Marcus Bluhm als von Erna zurückgewiesener Doktor Mauer vermag es, so etwas wie Gefühle zu vermitteln. Selbst Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger, der in Köpplingers Inszenierung vor 15 Jahren noch den Hofreiter gab, kann in seinem kurzen Auftritt als Herr von Aigner keine wahre Strahlkraft entwickeln.

Nach der Pause gewinnen die Figuren in der letzten Stunde des Abends schließlich zunehmend an Kontur, da entwickelt Köstlinger Anflüge von fahriger Verzweiflung und Schir vor dem fatalen Duell mit Otto einen gewissen Machtrausch. Welche Dynamiken Liebe, Betrug und Eifersucht entfalten können, welche Abgründe in einer allzu satten Gesellschaft schlummern - all das macht Kica an diesem mehr als dreistündigen Abend nicht wirklich spürbar. Die Leere auf der Bühne bleibt weit.

(Von Sonja Harter/APA)

(S E R V I C E - "Das weite Land" von Arthur Schnitzler im Theater in der Josefstadt. Regie: Janusz Kica, Bühnenbild und Kostüme: Karin Fritz. Mit u.a. Bernhard Schir, Maria Köstlinger, Johanna Mahaffy, Herbert Föttinger und Sandra Cervik. Weitere Termine: 23. und 28. Mai, 3., 4., 12., 16., 18., 21., 22., 24., 25., 26. und 30. Juni. www.josefstadt.org)

Zusammenfassung
  • Das minimalistische Bühnenbild von Karin Fritz mit einer Betonmauer, zwei Hockern und einer Hängelampeninstallation unterstreicht die Leere der Bühne und spiegelt das emotionslose Innenleben der Figuren wider.
  • Die Aufführung dauert mehr als drei Stunden, wobei die erste Hälfte mit 100 Minuten bis zur Pause als besonders langatmig empfunden wird, und trotz leichter Steigerung nach der Pause bleibt die emotionale Wirkung weitgehend aus.