APA/APA/Theater an der Wien/William Minke

Singspiel als Lichtspiel: Buhs für "Der Freischütz" im TaW

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Das Theater an der Wien als Lichtspielhaus: Am Mittwochabend feierte David Martons Inszenierung von Carl Maria von Webers "Der Freischütz" Premiere im Ausweichquartier Museumsquartier. Der ungarische Theater- oder hier besser: Filmemacher entführt mit cineastischen Livebildern in den Kopf der Bestie sprich des Menschen. Die Bühne spielt bei diesem "Freischütz" nur eine untergeordnete Rolle. Ein performatives Experiment, das beim Publikum allerdings keinen Volltreffer landete.

Ein stimmgewaltiger Chor an Buhs in verschiedenen Tonhöhen erwartete am Ende den 47-jährigen Regisseur und sein Team. Der Lohn für Konsequenz. Denn wo andere Theatermacher nach wenigen Minuten den Gazevorhang heben, bleibt Marton den gesamten Abend über seinem Ansatz treu, eine der großen Opern der Romantik als Livefilm zu präsentieren. Der Blick auf das Bühnengeschehen ist nur durch die semitransparente Leinwand zu erhaschen, es dominiert die Projektion von Bildern, die drei Kameraleute von den Akteuren machen.

Marton bedient sich dabei einer dezidierten Filmsprache. Seine Inszenierung hat nichts gemein mit dem üblichen Herumstolpern von Kameraleuten hinter Sängerinnen und Sängern im Pseudo-Dogma-Stil. Stattdessen referiert der Ungar ostentativ auf die Filmgeschichte mit direkten Zitaten von Ingmar Bergman und Alfred Hitchcock, schafft den Eindruck von Schnitten oder von Point-of-View einzelner Akteure. Das Timing der Darstellerinnen und Darsteller wie der Kamerapersonen ist hierbei frappant.

Mit seinem Zugriff gelingt es Marton immer wieder, Untiefen des "Freischütz" zu umschiffen. Die inhärente Problematik des Singspiels, dass nicht als Schauspieler trainierte Sängerinnen und Sänger auch noch in einer ihnen teils fremden Sprache Sprechtexte auf Schulaufführungsniveau herunterleiern müssen, umgeht Marton geschickt damit, dass er alle in der eigenen Muttersprache rezitieren lässt. Ein babylonisches Sprachgewirr, das zugleich mittels Untertitel den filmischen Charakter stärkt.

Auch den Umstand, dass einem horrorfilmgestählten Publikum von heute beim Bleikugelgießen in der Wolfsschlucht nur mehr in Ausnahmefällen der kalte Schauer über den Rücken läuft, weiß Marton durch pandämonische Bilder des aktuellen Katastrophenfieberwahns wieder aufzuladen. Trotz Kostümen der Zeit, geht es in diesem "Freischütz" dennoch weniger um die vordergründige Geschichte des Jägers Max, der aus Versagensangst auf die Kugeln des Teufels zurückgreift, um sich mit einem Schuss seiner Angebeteten Agathe würdig zu erweisen. Marton positioniert stattdessen Agathe als die zentrale Figur, hinter der die anderen zurückstehen.

Die US-Sopranistin Jacquelyn Wagner weiß hierbei nicht nur mit ihrem satten Sopran für diese Partie zu überraschen, sondern auch mit ihrem gereiften Schauspiel zu überzeugen. Sublimiertes sexuelles Begehren und Traum- sowie Traumasequenzen der Frau in einer männerdominierten Welt werden evoziert. Sofia Fominas pragmatisch-sorgloses Ännchen wird hier zur Spiegelfigur Agathes, zu deren Alter Ego und nimmt darin den romantischen Topos des Doppelgängers auf. Im Schlussgesang wird Agathe schließlich Pars pro Toto zur Frau an sich, taucht im ersten reinen Zuspieler in verschiedenen Archetypen auf Wiens Straßen auf. Gegen dieses geballte Frauenduo zieht Tuomas Katajala als Max mit einem nachgerade prototypisch frühromantischen Tenor notgedrungen den Kürzeren.

Letztlich ist es aber just der konsequent durchgezogene Ansatz der Inszenierung, der janusköpfig auch Probleme aufwirft. Die Nahaufnahmen der Kamera und die Totalen der Bühne überlagern sich, verschwimmen teils und werden mitunter noch gedoppelt. Es ist ein Bombardement mit Bildern, hinter deren Donner die Musik bisweilen in die zweite Reihe tritt. Das muss nicht immer ein Fehler sein, führt Patrick Lange die Symphoniker doch etwas unausgewogen durch den Abend - mal lässt er es erstaunlich gemütlich angehen, um im nächsten Moment die Zügel ruckartig anzureißen und über Motive hinwegzubrettern.

Dieser "Freischütz" ist letztlich nicht die Variante, in der man künftig das Genre Oper stets erleben möchte, tritt hier doch das transitorische Momentum, die Unmittelbarkeit des Bühnengeschehens zu sehr in den Hintergrund und macht dem cineastischen Erlebnis Platz. Als einmaligen Ansatz, ein nicht leicht zu packendes Werk zu deuten und neue Kraft darin sichtbar zu machen, ist das Ganze aber durchaus fruchtbar. Kein Grund jedenfalls, sich deswegen die Kugel zu geben.

(S E R V I C E - "Der Freischütz" von Carl Maria von Weber im Theater an der Wien im Museumsquartier. Musikalische Leitung der Wiener Symphoniker: Patrick Lange, Regie und Bühne: David Marton, Kostüm: Pola Kardum, Licht: Miriam Damm, Video: Chris Kondek. Besetzung: Fürst Ottokar - Dean Murphy, Agathe - Jacquelyn Wagner, Ännchen - Sofia Fomina, Kaspar - Alex Esposito, Max - Tuomas Katajala, Kuno - Guido Jentjens, Eremit - Levente Páll, Kilian - Viktor Rud. Weitere Vorstellungen: 24., 27., 29.3., 1. und 3.4., 19 Uhr. Karten: 01 / 58885 - 111, www.theater-wien.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Das Theater an der Wien als Lichtspielhaus: Am Mittwochabend feierte David Martons Inszenierung von Carl Maria von Webers "Der Freischütz" Premiere im Ausweichquartier Museumsquartier.
  • Die Bühne spielt bei diesem "Freischütz" nur eine untergeordnete Rolle.
  • Mit seinem Zugriff gelingt es Marton immer wieder, Untiefen des "Freischütz" zu umschiffen.
  • Marton positioniert stattdessen Agathe als die zentrale Figur, hinter der die anderen zurückstehen.

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