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Salzburger "Heldenplatz"-Neuinszenierung nun online

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Das Burgtheater glich einem Hexenkessel, als im November 1988 Thomas Bernhards Stück "Heldenplatz" uraufgeführt wurde. Eine Generation später wirkte das Salzburger Landestheater bei der ersten Aufführung der Neuinszenierung nun eher wie ein Geisterhaus. Coronabedingt dürfen weiter keine Aufführungen vor Live-Publikum stattfinden. Doch die Arbeit von Alexandra Liedtke wirkt auch im Internet. Ab heute, Samstag, 17 Uhr, ist die Aufzeichnung der Generalprobe abrufbar.

Die Aufführung, die ursprünglich Mitte April 2020 Premiere feiern hätte sollen, ist deutlich straffer als das Original. Mit etlichen Strichen hat man knapp zwei Stunden Nettospielzeit geschafft. Das Insistieren und Beharren auf den Generalthemen der behaupteten Kulturlosigkeit und Verkommenheit Österreichs, der Vergeblichkeit jedes Protestierens und Aufbegehrens angesichts übermächtiger politischer und sozialpsychologischer Beharrungskräfte, vermittelt sich dennoch. Diese Internet-Aufführung ist kein entschärfter "Heldenplatz"-light. Das liegt neben der Regisseurin, die auf kühle Klarheit und strenge Struktur setzt, vor allem an zwei Darstellern: Britta Bayer als Frau Zittel und August Zirner als Robert Schuster.

Für den ersten Akt hat Bühnenbildnerin Eva Musil ein Bügelzimmer ersonnen, das einem grotesken Albtraum zu entstammen scheint: äußerst schmal, doch ungeheuer hoch. In zwei Regalen ist weiße Wäsche geschlichtet, elendslange Leitern machen das Einschlichten zur waghalsigen Unternehmung. Zudem muss Patrizia Unger als Stubenmädchen Herta während des großen Monologs der Haushälterin Frau Zittel fleißig Schachteln stapeln. Die Familie von Professor Josef Schuster, der sich vor wenigen Tagen aus dem Fenster gestürzt hat, hätte im Kürze nach Oxford zurückkehren sollen. Fast alles war bereits für den Umzug eingepackt. Die Schachteln werden im dritten Akt die einzigen Utensilien bilden, aus der Tafel und Sitzgelegenheiten für die Tischgesellschaft gebaut werden - Gelegenheit für sparsam dosierte Situationskomik. Der mittlere Volksgarten-Akt, durch Karl-Ernst Herrmanns detailfreudiges Uraufführungs-Bühnenbild unvergesslich, ist nüchtern gehalten. Theaternebel wabert, Herbstlaub fällt, Projektionen kahler Bäume, ein paar schlichte Park-Versatzstücke, der Rest bleibt der Fantasie überlassen.

Alexandra Liedtke hat im Gegensatz zu Franz-Xaver Mayr bei dessen Grazer Neuinszenierung vor einem Jahr ganz darauf verzichtet, Sekundärliteratur und Zeitumstände zu Entstehung und Rezeption des Stückes rund um die 50 Jahre "Anschluss"-Gedenken 1988 einzubauen, sondern konzentriert sich auf den Text. Exemplarisch dafür steht Britta Bayer, die in ihren langen Erinnerungen an den verstorbenen Professor, dem sie offenbar sogar näher stand als seine Gattin, die Sprache wie ein rohes Ei behandelt, sich Thomas Bernhards Tiraden nicht aneignet, sondern zitiert und ausstellt.

Ganz anders dagegen August Zirner, der sich im Dialog mit seinen beiden Nichten Anna und Olga (Julienne Pfeil und Genia Maria Karasek) zunächst als deutlich konziliantere Variante als sein unerbittlicher Bruder Josef darstellt. Wenn er "Die Wiener sind Judenhasser" sagt, einer der vielen eigentlich ungeheuerlichen Sätze des Stückes, dann klingt das mitleidig, geradezu verständnisvoll. Erst im weiteren Verlaufe wird er böser, unerbittlicher. Seine Sätze über "sechseinhalb Millionen Debile" spricht er direkt in die Kamera (bloß drei waren für die Aufzeichnung im Einsatz, was immerhin manche Close-Ups ermöglichte), gelegentliche wie Balletteinlagen gestaltete Zusammenbrüche kommentiert er fast augenzwinkernd: "Ab und zu gestatte ich mir eine Erregung!"

Der Schauspieler Zirner gestattet sich ab und zu ein paar kleine Details: Im letzten Akt verbrennt er sich ein paar Mal an der offenbar heißen Zentralheizung. Und auch sonst wirkt er beim Familienessen, mit grauen Haarlöckchen und schwarzem Pullover über weißem Hemdkragen so verloren wie weiland Thomas Bernhard beim "Heldenplatz"-Schlussapplaus, wie ein an sich wie an den Umständen Leidender: Seht her, ich kann nun mal nicht anders! So geht es auch Elisabeth Rath. Sie, die in der Uraufführung die Olga spielte, hat als Witwe Schuster einen herrischen, fast dämonischen Schlussauftritt. Der Fluch der Vergangenheit, der bereits ihren Mann in den Tod getrieben hat, holt auch sie ein. Die ohrenbetäubenden "Sieg Heil" und "Wir wollen unsern Führer seh'n"-Rufe, die sie heimsuchen, hört nur sie. Hellhörig oder wahnsinnig? Die Frage bleibt wie vor über 32 Jahren unbeantwortet. Aber sie bleibt weiter aktuell.

(S E R V I C E - "Heldenplatz" von Thomas Bernhard, Regie: Alexandra Liedtke, Bühne: Eva Musil, Kostüme: Johanna Lakner, Musik: Karsten Riedel. Mit: August Zirner - Robert Schuster, Julienne Pfeil - Anna, Genia Maria Karasek - Olga, Aaron Röll - Lukas, Elisabeth Rath - Hedwig, Axel Meinhardt - Professor Liebig, Eva Christine Just - Frau Liebig, Marco Dott - Herr Landauer, Britta Bayer - Frau Zittel, Patrizia Unger - Herta; Salzburger Landestheater, Online ab 17 Uhr abrufbar unter www.salzburger-landestheater.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Das Burgtheater glich einem Hexenkessel, als im November 1988 Thomas Bernhards Stück "Heldenplatz" uraufgeführt wurde.
  • Eine Generation später wirkte das Salzburger Landestheater bei der ersten Aufführung der Neuinszenierung nun eher wie ein Geisterhaus.
  • Coronabedingt dürfen weiter keine Aufführungen vor Live-Publikum stattfinden.
  • Doch die Arbeit von Alexandra Liedtke wirkt auch im Internet.
  • So geht es auch Elisabeth Rath.

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