APA/BARBARA GINDL

Salzburger Festspiele mit dem "Jedermann" gestartet

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Die Salzburger Festspiele sind am Montagabend mit der Wiederaufnahmepremiere des "Jedermann" am Domplatz in ihre Ausgabe 2022 gestartet. Wie im Vorjahr sind Lars Eidinger als reicher Mann und Verena Altenberger als Buhlschaft zu erleben. Auch sonst sind die Änderungen in der Inszenierung von Michael Sturminger überschaubar. Der Festspielklassiker von Hugo von Hofmannsthal läutet die Ouverture spirituelle ein. Die offizielle Festspiel-Eröffnung findet erst am 26. Juli statt.

Endlich keine Zitterpartie. Das Aufatmen bei Machern wie Publikum galt heute weniger der bereits im Vorjahr gewonnenen Routine des Ensembles als dem Wetter: keine Gewitter im Anzug, keine Wolken am Himmel und das Abendrot zur dramaturgisch passenden Zeit. Nachdem die Premiere der Neuinszenierung im Vorjahr im Großen Festspielhaus stattfinden musste, durfte der Salzburger Dom heuer endlich seine Eignung als Kulisse und Mitspieler schon am ersten von 14 geplanten Abenden unter Beweis stellen. Der Applaus fiel nach weniger als zwei Stunden zwar freundlich und stehend, allerdings nicht gerade enthusiastisch aus.

Die Besetzung und die große Konzeption blieb (und die mehr einer Wrestling-Show denn einem Boxkampf gleichende Schlägerei Jedermanns mit dem Schuldknecht ist weiterhin eine ganz unplausible und den Ablauf eher störende szenische Idee), und doch haben sich einige Nuancen verschoben. Eidinger verleiht seinem vor allem in roter Sporthose agierenden reichen Mann im ersten Teil deutlich mehr Arroganz, während Altenberger einiges von ihrer selbstbewussten Agilität zurückgenommen hat. Und weil Äußerlichkeiten in Salzburg zuletzt verlässlich für Gesprächsstoff gesorgt haben: Beide tragen heuer neue Frisuren zur Schau. Laut Ö1-Morgenjournal ist diese zweite auch schon die letzte "Jedermann"-Saison für Eidinger, der im Vorjahr im APA-Interview noch gesagt hatte: "Vielleicht spiele ich bis zu meinem Lebensende hier den Jedermann."

Edith Clever, schon im Vorjahr als unerbittliche Tödin, die mit ihrem hohen, in zwei Spitzen auslaufenden Kopfputz einem alten Gemälde entstiegen zu sein scheint, ein Höhepunkt der Aufführung, hat noch an eisiger Kälte zugelegt. Sie beglaubigt diesen im postmodernen Ungefähr angesiedelten Abend mit einem Verweis auf die historische Herkunft des Stoffes, der in den überwiegend als unterhaltsame Nummern angelegten Allegorien fehlt. Die größte Überraschung liefert ihre ehemalige Schaubühnen-Kollegin Angela Winkler als gottesfürchtige Mutter Jedermanns: 2021 unauffällig und konventionell, redet sie ihrem Sohn nun in ihrem ersten Auftritt derart eindringlich ins Gewissen, dass sich sein Läuterungsprozess als unmittelbare Folge ihrer Mahnungen vermittelt.

Auf der "Dombaustelle" (Sturminger) sind also in den 14 Probentagen einige Steine etwas neu behauen und zusammengesetzt worden - inklusive eines unterhaltsameren Duells zwischen Glauben (Kathleen Morgeneyer) und Teufel (Mavie Hörbiger) und eines prägnanteren Rachefeldzugs von Mirco Kreibich als Mammon (der sich zuvor als Schuldknecht demütigen lassen muss).

Was diesen Jedermann und seine Buhlschaft ein Paar werden ließ, bleibt ebenso im Dunkel wie die Antwort auf die Frage, ob der Titelheld nun ein schlechter Mensch ist oder nicht. Immerhin sorgt Lars Eidinger für zwei Überraschungsmomente. "Ihr hört's auch, oder?", wendet er sich direkt an das Publikum, das auf ein paar gepresst bis gekrächzt klingende "Jedermann"-Rufe mit verhaltenem Gelächter reagierte. Und als er an einem endlos langen Tisch mit der Tödin über sein weiteres Schicksal verhandelt, kommt dem Zuschauer unwillkürlich jenes Bild aus dem Kreml in den Sinn, als Putin die Weltöffentlichkeit vor Beginn des Ukraine-Kriegs in Ungewissheit hielt, ob man es bei seinen Treffen mit Delegationen mit einem Verrückten oder einem Selbstinszenierer zu tun hatte.

Derartige Momente, in denen der "Jedermann" seine selbstverständliche Aktualität unter Beweis stellt, bleiben Mangelware. Ein Abgesang auf die "toxische Männlichkeit", wie es Eidinger im Vorjahr genannt hatte, ist die Inszenierung nicht. Ein Abgesang auf ein ganzes System, das sich ganz dem Mammon verschrieben hatte und sich nun wegen seiner viel zu wenig guten Werke zu verantworten hat, steht noch aus. Intendant Markus Hinterhäuser, der heuer Dantes "Göttliche Komödie" als Referenzpunkt für sein Programm gewählt hat, möchte jedenfalls mit seinem Programm Denkanstöße geben. Was freilich nicht heißt, dass das Publikum ihm immer zu folgen gewillt ist. In einer Tonband-Durchsage empfiehlt der Festspiel-Chef seinem Publikum das Tragen einer FFP2-Maske. Am Domplatz folgten diesem Aufruf deutlich weniger als ein Prozent der Zuschauer.

Die erste Festspiel-Neuproduktion gilt dann am 26. Juli dem Doppelabend "Herzog Blaubarts Burg / De temporum fine comoedia" in der Felsenreitschule. Die Salzburger Festspiele 2022 gehen bis zum 31. August. In Summe sind knapp 225.000 Karten aufgelegt.

(S E R V I C E - "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen, Regie: Michael Sturminger, Bühne und Kostüme: Renate Martin, Andreas Donhauser, Komposition: Wolfgang Mitterer. Mit: Edith Clever - Tod, Lars Eidinger - Jedermann, Angela Winkler - Jedermanns Mutter, Anton Spieker - Jedermanns guter Gesell, Jörg Ratjen - Ein armer Nachbar, Mirco Kreibich - Ein Schuldknecht / Mammon, Anna Rieser - Des Schuldknechts Weib, Verena Altenberger - Buhlschaft, Gustav Peter Wöhler - Dicker Vetter, Tino Hillebrand - Dünner Vetter, Kathleen Morgeneyer - Glaube, Mavie Hörbiger - Teufel, Theresa Dlouhy, Fabian Düberg, Claire Gascoin, Paula Jeckstadt, Skye MacDonald, Maximilian Paier, Katharina Rose - Tischgesellschaft / Werke, Ensemble 021. Domplatz, bei Schlechtwetter im Großen Festspielhaus, Weitere 13 Vorstellungen bis 26. August. www.salzburgerfestspiele.at/)

ribbon Zusammenfassung
  • Die Salzburger Festspiele sind am Montagabend mit der Wiederaufnahmepremiere des "Jedermann" am Domplatz in ihre Ausgabe 2022 gestartet.
  • Wie im Vorjahr sind Lars Eidinger als reicher Mann und Verena Altenberger als Buhlschaft zu erleben.
  • Auch sonst sind die Änderungen in der Inszenierung von Michael Sturminger überschaubar.
  • Ein Abgesang auf die "toxische Männlichkeit", wie es Eidinger im Vorjahr genannt hatte, ist die Inszenierung nicht.

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