"Romeo und Julia" in Telfs: Zirkusshow mit Abgründen
Bescheidenheit sieht definitiv anders aus. Mit dieser Unbescheidenheit und dem Anspruch, sämtliche emotionalen und inhaltlichen Aspekte des Shakespeare-Textes in einer schrillen Neudeutung als "The greatest show on earth" gewagt auszulegen, ging auch eine gewisse Fallhöhe einher. Eine solche Auslegung könnte auch gnadenlos scheitern, wenn es Regisseur und Cast nicht ernst genug meinen und diesen Ansatz nicht unbeirrt bis zum Äußersten treiben.
Bloéb, die Schauspieler, die Band und sämtliche andere Beteiligte taten aber genau das. Der Stoff, in dem sich bekanntlich die Familien Capulet und Montague bekriegen und die Liebenden Romeo und Julia dazwischen zerrieben werden und unweigerlich einem tragischen Ende entgegensteuern, diente in Telfs als willkommene Steilvorlage für ein Bühnenspektakel, das einen sowohl die Augen übergehen ließ als auch sämtliche Sinne herausforderte.
Da wären etwa gewesen: Der hochemotionale "Schlusssong" von Julia, der anrührende, schwerelose "Tanz" von Romeo und Julia, als ihre Liebe bereits dem tragischen Untergang geweiht war oder auch die meist grenzwertig aufgedrehten Zirkuseinlagen. Dazu kamen die Kostüme, die weder mit Farbenpracht noch mit Extravaganz geizten und weniger im ursprünglichen Verona, sondern vielmehr in der Gegenwart einer Welt angesiedelt waren, in der jede und jeder seine Identität möglichst aufmerksamkeitserweckend nach außen hin sichtbar vor sich her trägt. Auch ein giftverkaufender Bär aus der Telfer Fasnacht hatte einen humorvollen Auftritt mit Lokalkolorit-Anstrich.
Was gnadenlos überzogen, bunt zusammengewürfelt oder gar willkürlich wirken könnte, funktionierte aber. In den knapp zwei Stunden des Stückes, das ohne Pause auskam, zog es einen unwillkürlich dem tragischen Ende entgegen und - nach ersten Irritationen ob der Inszenierung oder auch der sprachlichen Adaptierungen, aus denen auch immer wieder mehr der Zeitgeist, die Jetzt-Zeit und das "heilige Land Tirol" als Shakespeare sprachen - ließ man sich auch bereitwillig auf die "Zwischenschritte" dahin ein. Was man unter anderem lernte: "Love is the key", Schauspieler sind auch Zirkusakrobaten, Schnaps oft die temporäre Lösung für Probleme und Chaos nur eine Zustandsbeschreibung für eine Ordnung, die sich noch nicht begreifen ließ.
Stehovationen und Bravo-Rufe für alle Beteiligten
Dass sich dieses Chaos mehr und mehr zusammenfügte und "Romeo und Julia" schließlich tatsächlich zwingend, logisch und ein emotionaler Drahtseilakt wurde, lag letztlich auch an den perfekt besetzten Rollen. Allen voran Diyar Agit als Romeo, der sich die sprichwörtliche Seele aus dem Leib spielt oder Desirée Jakobitsch, die eine beeindruckende Julia mit unglaublich vielen emotionalen Facetten abgab. Eindrucksvoll auch Lisa Hörtnagl als Mercutio, Marlene Markt als Amme, Zarah Kofler als machtbewusste Lady Capulet oder Gustav Bloéb als angriffslustiger Tybalt.
Für diese besonderen Einzelleistungen, vor allem aber für die kollektive Ensembleleistung konnten sich schließlich sämtliche Bühnenakteure in der ausverkauften "Kuppelarena" in Telfs - im Winter eigentlich ein Eislaufplatz - Stehovationen und zahlreiche laute Bravo-Rufe abholen. Selbige gab es für die Live-Band und nicht zuletzt für Regisseur Bloéb. Auch Choreograf Gustavo Oliveira, verantwortlich sowohl für Kampf- als auch Akrobatik-Choreografien, durfte sich über euphorische Begeisterung freuen.
(Von Markus Stegmayr/APA)
(S E R V I C E: "Romeo & Julia - The greatest show on earth" von William Shakespeare. Regie: Gregor Bloéb. Bühne: Volker Hintermeier. Kostüme: Lane Schäfer. Maske: Lilli Brée. Musikalische Leitung: Frajo Köhle. Choreografie: Gustavo Oliveira. Mit: Diyar Agit (Romeo), Desirée Jakobitsch (Julia), Lisa Hörtnagl (Mercutio), Tybalt (Gustav Bloéb), Zarah Kofler (Lady Capulet), Liliom Lewald (Pater Lorenzo), Aaron Röll (Benvolio), Daniel Klausner (Graf Paris), Marlene Markt (Amme), Paulo Alberto dos Santos (Peter), Lisa Neuner (Antonella), Miriam Wegscheider (Coletta), Gustavo Oliveira (Silvio), Sonja Schwaiger (Silvia), Live-Band. Weitere Vorstellungen: 1., 2., 4., 5., 6., 7., 8., 9., 11., 12., 13., 14., 15., 16. August jeweils um 19.30 Uhr. https://www.volksschauspiele.at/)
Zusammenfassung
- Die Premiere von "Romeo und Julia" bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs wurde am Donnerstagabend als bunte Zirkusshow mit poppigen Kostümen, Gesang, Akrobatik und Live-Band aufgeführt.
- Die Inszenierung unter der Regie von Gregor Bloéb dauerte knapp zwei Stunden ohne Pause und fand in der ausverkauften Kuppelarena statt, wobei das Publikum mit Stehovationen und Bravo-Rufen reagierte.
- Weitere Vorstellungen sind an insgesamt 12 Terminen im August jeweils um 19.30 Uhr geplant.
