Reichenauer Doderer-Dramatisierung überzeugt
Bei allen Vorbehalten gegenüber dem anhaltenden Dramatisierungsboom - gibt es wirklich keine lohnenden neuen Theaterstücke mehr? - ist auch anzuerkennen, wenn eine Bühnenfassung gelingt. Hagg ist sich der problematischen Ausgangslage bewusst, Personen und Handlungsstränge des Romans streichen zu müssen, um eine Aufführungsdauer von zweieinhalb Stunden nicht zu übersteigen. Und so besteht die Kunst der Bearbeitung zunächst aus der Reduktion, wobei das Publikum nicht merken sollte, dass etwas weggelassen wurde. Dies ist gelungen.
Die Geschichte vom englischen Industriellen Robert Clayton - Daniel Jesch spielt ihn überzeugend als virilen Macher -, dessen Frau Harriet (Emese Fay) an der Übersiedlung nach Wien zugrunde geht und der sich ausgerechnet mit der Freundin seines Sohns Donald (adäquat zugeknöpft gezeichnet von Skye MacDonald) verlobt, worauf dieser bei den titelgebenden Wasserfällen zu Tode stürzt.
Jene junge Frau namens Monica (Johanna Mahaffy) ist wiederum die Nichte von Roberts Anwalt (Günter Franzmeier gibt ihn vortrefflich als nervösen Alkoholiker mit Wurzeln in Wien-Erdberg). Dann gibt es noch die lebenskluge Gräfin Ergoletta (Sona MacDonald), die sich den jungen Studenten Zdenko (Markus Freistätter) angelt, den Hoteldirektor Milohnic (Rafael Schuchter), der seinen Intimfreund Chwostik (David Oberkogler) als Büroleiter bei Clayton unterbringt, und die gutherzigen "leichten Damen" Finy (Johanna Arrouas) und Feverl (Bettina Schwarz).
Wie aus dieser Konstellation eine Tragödie sondergleichen entsteht, ist dermaßen spannungsgeladen und psychologisch stringent ausgeführt, dass die Katastrophe unausweichlich scheint. Väter seien Raubtiere, sagt die Gräfin und lockt Zdenko mit der Aussicht, sein Medizinstudium zu finanzieren. Für den gehorsamen Donald kommt die Einsicht, seine Chancen bei Monica nicht genützt zu haben, zu spät. Dass just sein Vater diese Schwäche ausnützt, bricht ihm das Genick.
Einerseits stellt Hagg ein Panoptikum mehr oder weniger schrulliger Figuren aus längst vergangenen Donaumonarchie-Zeiten auf die Bühne, andererseits belässt er es nicht bei purer Nostalgie. Gerade die Fragen nach Verantwortung, Expansionsdrang, Schuld und Grenzen der Selbstverwirklichung stellen sich zeitlos, im privaten wie gesamtgesellschaftlichen Rahmen. Die Botschaft ist angekommen, der Beifall war emphatisch.
(Von Ewald Baringer/APA)
(S E R V I C E - Festspiele Reichenau, Neuer Spielraum: "Die Wasserfälle von Slunj", nach dem Roman von Heimito von Doderer dramatisiert von Nicolaus Hagg. Regie: Beverly Blankenship. U.a. mit Daniel Jesch, Günter Franzmeier, Johanna Mahaffy und Sona MacDonald. Weitere Aufführungen bis 3. August. Information, Tickets und Bildmaterial unter www.festspiele-reichenau.at)
Zusammenfassung
- Die Dramatisierung von Heimito von Doderers Roman "Die Wasserfälle von Slunj" durch Nicolaus Hagg feierte am Sonntag im Neuen Spielraum der Festspiele Reichenau Premiere und überzeugte als stärkste Produktion der Saison.
- Die Inszenierung von Beverly Blankenship thematisiert zeitlose Fragen nach Verantwortung und Schuld und ist noch bis 3. August zu sehen.