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Pride auf der Bühne der Volksoper: "Kreationen"

Heute, 09:22 · Lesedauer 5 min

Ein Hauch von punkem Pride, eine ausufernde Party unter den Tänzern des Wiener Staatsballetts und eine Hommage an seinen scheidenden Leiter Martin Schläpfer. Drei Wiendebüts von spannenden Choreografen der jüngeren Generation feierten gestern Abend unter dem Titel "Kreationen" auf der Bühne der Volksoper ihre Uraufführung. Wenn so die Zukunft des zeitgenössischen Balletts aussieht, dann kann sie nicht früh genug kommen.

Wir befinden uns im Wind. Drei Körper sind in weißen Nebel getaucht. Tainá Ferreira Luiz stimmt ein Lied der amerikanischen Sängerin Cat Power an. "We are creatures in the wind", singt sie. Sehnsucht liegt darin und verflüchtigte Liebe. Mila Schmidt und Riccardo Franchi beginnen, ihre Körper zu bewegen - geschmeidig. Mal spiegeln sie sich, mal gehen sie ihren eigenen Weg.

Auf das Ungreifbare, Flüchtige spielt auch der Titel des fantastischen Stücks von Alessandra Corti an diesem Abend an: "Aerea". Unterlegt hat die italienische Choreografin das Ganze mit einem Klangteppich von Michael Gordons Neuinterpretation von Beethovens 7. Symphonie. Die Eröffnungsakkorde des ersten Satzes sind wie klagende Streicherglissandi, die zu Sirenen werden. Später wirbelnde Holzbläser. Ein Zitat, das Corti im Gedächtnis geblieben ist, so beschreibt sie das im Programmheft, stammt von dem Beethoven-Forscher Hans Mersmann, der die Sinfonie als "absoluten Gipfel der Gestaltlosigkeit" bezeichnete.

Die Identitäten befinden sich im Fluss. Die 13 Tänzer und Tänzerinnen sehen aus wie Punks (großes Kompliment an Kostümbildnerin Lucia Vonrhein), wie eine Truppe bunt zusammengewürfelter Rockstars in einem 80er Jahre Musikvideo, oder einfach nur Revoluzzer, die um ihre Existenzberechtigung tanzen. Die Outfits sind halbfertig. Viel Glitzer, Gold und schwarzer Kajal um die Augen. Gabriele Aime trägt ein fleischfarbenes Top, einen Rock und Biker-Stiefel. Ketten glitzern um seinen Hals. Er gibt einem anderen einen Kuss auf den Mund. Die offenen Haare und die Körper fliegen.

Abstrakt, clownesk, tragisch geht es weiter

So ungreifbar wie die Luft ist dann vielleicht auch die zweite Performance des Abends. "High" nennt der in München geborene Choreograf Louis Stiens seine Kreation. Er soll dabei an den Blick in den frühmorgendlichen Sommerhimmel nach einer durchfeierten Nacht gedacht haben. Es ist ein starker Bruch, den das Publikum nach der ersten Pause hier erwartet: Abstrakt, clownesk, tragisch, und in den Halbschatten getaucht. Die Brustkörbe der Tänzer heben und senken sich hektisch. Berührend ein ausdrucksstarkes Solo von Yuko Kato (Senior Artist der Compagnie) - fast pantomimisch - und ein Duett zwischen Helen Clare Kinney und Rebecca Horner.

Lisa Streich hat die Partitur geschaffen, die zwischen Revue, Marsch und Karneval alles zu bieten hat und an diesem Abend vom Orchester der Volksoper Wien unter Jean-Michaël Lavoie gespielt wird. Die zehn Tänzer auf der Bühne sind in blasse, schlichte, grauweiße Jumpsuits gehüllt. Hinter ihnen eine Wand, die wie schwarzer Beton anmutet - und eine Leinwand, auf der die Tänzer eine ausgelassene Hochzeit zu feiern scheinen.

Ein Liebesbrief an Schläpfer

Mit dem letzten Stück des Abends schenkt Martin Chaix dem scheidenden Ballettchef dann eine Hommage, die mit viel Spitzentanz und vielen Hebefiguren an das klassische Ballett erinnert, aber eben ganz im Schläpfer'schen Sinne auch weit darüber hinausfliegt mit Frauen, die auf den Händen ihrer Partner alle viere in die Luft strecken.

Hinter dem Titel "M to M" verbirgt sich - so das Programmheft - jene Grußformel, mit der Schläpfer stets seine Korrespondenzen mit Martin Chaix abschloss. Es bedeutet "Martin to Martin". Es könnte aber auch "Martin to Max" bedeuten, den Komponisten seines Balletts meinend, nämlich Max Bruch, so Chaix.

Das Herz des Stücks ist der Pas de deux: Mal schmachtend und erotisch, mal verspielt und schelmisch begegnen sich die Paare (hervorstechend: Ketevan Papava und Rashaen Arts) vor einer nachtblauen Kulisse, hinter der sich Schattenspiele abzeichnen. Es ist vermutlich nicht die letzte Korrespondenz zwischen den beiden Martins, und ein virtuoser Liebesbrief, für den sich das Publikum mit tosendem Applaus bedankte.

(Von Marietta Steinhart/APA)

(S E R V I C E - "Kreationen" in der Volksoper, Währinger Straße 78, 1090 Wien. "Aerea" von Alessandra Corti. Musik: "Wild is the Wind" nach Cat Power und "Rewriting Beethoven's Seventh Symphony" von Michael Gordon, Choreographie: Alessandra Corti, Musikalische Leitung: Jean-Michaël Lavoie, Bühne & Kostüme: Lucia Vonrhein, Licht: Tanja Rühl, Dramaturgie: Nastasja Fischer, Klavier: Béla Fischer.

"High" von Louis Stiens. Musik: "High. Music for Dance Theatre" (Uraufführung / Auftragswerk) von Lisa Streich, Choreographie & Kostüme: Louis Stiens, Musikalische Leitung: Jean-Michaël Lavoie, Bühne/Kostüme & Video: Bettina Katja Lange, Licht: Tanja Rühl, Dramaturgie: Anne do Paço.

"M to M" von Martin Chaix. Musik: Konzert für Violine & Orchester "Nr. 1 g-Moll op. 26" von Max Bruch, Choreographie: Martin Chaix, Musikalische Leitung: Jean-Michaël Lavoie, Bühne: Florian Etti, Kostüme: Aleksandar Noshpal, Licht: Tanja Rühl, Dramaturgie: Anne do Paço, Violine: Benjamin Herzl. Weitere Aufführungen am 20., 22., 24., 27. und 30. Juni. www.volksoper.at)

Zusammenfassung
  • Unter dem Titel "Kreationen" feierten drei Uraufführungen junger Choreografen des Wiener Staatsballetts an der Volksoper ihre Premiere.
  • Im Stück "Aerea" von Alessandra Corti tanzen 13 Künstler:innen zu Michael Gordons Neuinterpretation von Beethovens 7. Symphonie und thematisieren das Flüchtige.
  • Das zweite Werk "High" von Louis Stiens zeigt zehn Tänzer:innen in abstrakter, clownesker und tragischer Atmosphäre zu Musik von Lisa Streich vor einer Betonwand und einer Hochzeitsprojektion.
  • Mit "M to M" widmet Martin Chaix dem scheidenden Ballettdirektor Martin Schläpfer eine Hommage mit klassischem Spitzentanz und modernen Hebefiguren zu Musik von Max Bruch, besonders hervorgehoben durch den Pas de deux von Ketevan Papava und Rashaen Arts.
  • Das Publikum dankte den Künstler:innen für die innovativen Choreografien und die künstlerische Vielfalt mit tosendem Applaus, weitere Aufführungen finden am 20., 22., 24., 27. und 30. Juni statt.