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"Porgy and Bess" im TaW: Ambivalenzen aller Orten

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Es ist eines der bekanntesten Stücke des amerikanischen Musiktheaters und doch eines der in Europa selten gespielten: George Gershwins "Porgy and Bess". Dass sich die Auseinandersetzung mit dem 1935 uraufgeführten Werk jedoch lohnt, hat Mittwochabend das Theater an der Wien (TaW) mit seiner neuen Premiere unter Beweis gestellt - und ebenso, dass dem Stück Ambivalenzen eigen sind, die auch eine gute Inszenierung nicht verleugnen kann.

Im TaW inszeniert der (weiße) Südafrikaner Matthew Wild jenes Werk, das nach Vorgabe der Gershwin-Erben durchgängig mit dunkelhäutigen Darstellern besetzt sein muss. Dass der Komponist bei diesem als erste ureigene amerikanische Oper geltenden Werk Spirituals, Straßenlieder Jazzsongs und klassischen Operngestus miteinander verschmilzt, macht die Auswahl der richtigen Stimmen nicht eben leichter. Und doch entspricht "Porgy and Bess" im Grundaufbau der zum Zeitpunkt ihrer Entstehung schon deutlich weiter entwickelten europäischen Oper im Wechselspiel aus Rezitativen und Arien.

Für ein heutiges Publikum hat "Porgy and Bess" nun dasselbe Problem wie eine gereifte Band, bei der das Publikum neuere Songs meist durchtaucht, während es auf die alten Hits wartet. Zu sehr sind Songs wie "Summertime" oder "I Got Plenty o'Nuttin'" in den verschiedensten Interpretationen ins allgemeine Kulturgedächtnis übergangen. Im TaW führt als Hausdebütant "Porgy"-Routinier Wayne Marshall das um einige Jazzmusiker erweiterte Wiener KammerOrchester mit einer Broadwayattitüde durch den Abend und lässt dabei streckenweise die Wände des altehrwürdigen Baus erzittern.

Da bekommt so mancher und manche auf der Bühne durchaus Probleme, ist doch nicht jede Partie an diesem Abend auf dem sonstigen Hausniveau besetzt. Vollends überzeugend in der Höhe präsentiert sich Jeanine de Bique als Bess mit vollem und klaren Timbre, der ein mächtiger Eric Greene als Porgy zur Seite steht, der den geforderten Balanceakt zwischen Operngesang und Gospel/Jazzanklängen tadellos meistert. Auch Lokalmatador Ryan Speedo Green von der Staatsoper weiß als Jake für sich einzunehmen, was ebenso für den in jeder Hinsicht gewaltigen Bösewicht Crown in Person von Norman Garrett und Tichina Vaughn in der Matronenrolle der Maria gilt, die anders als viele Kollegen ohne schrille Forcierungen durch den Abend kommt.

Die wirkliche Leistung des Abends gelingt allerdings Regisseur Matthew Wild. Er meidet jede Südstaatenromantik aus der "guten alten Zeit" wie sonst oft bei gängigen Inszenierungen. Auch wenn eine dem Werk innewohnende Armutsidylle unvermeidlich ist, verlegt Wild das Geschehen dankenswerterweise aus der Vergangenheit in eine nicht näher bestimmte Jetztzeit. Die Gesellschaft der Catfish Row ist eine in einem Slum lebende Gemeinschaft aus Außenseitern, Flüchtlingen, Randfiguren.

Es sind stimmig gesetzte Eingriffe, die das Geschehen ins Heute heben, wenn etwa Clara als Frau des Fischers Jake Muslima ist oder das Dorf sich aus Schiffscontainern zusammensetzt. Diese Symbole der Globalisierung und ihrer Folgen türmen sich auf drei Stockwerken zu einem Setzkasten der Spielmöglichkeiten. In diesem Ambiente gelingt das Kunststück, an den geforderten Stellen eine Atmosphäre der Entspannung, der Lebensfreude abseits gekünstelter Polterlacher zu erzeugen, was den guten Sänger-Schauspielern und den beteiligten Streetdancern zu verdanken ist. Zugleich bürstet Wild das Geschehen immer wieder gegen den Strich, wenn er etwa das berühmte Wiegenlied "Summertime" bei strömendem Regen intonieren lässt.

So holt die Regie "Porgy and Bess" ohne übertriebene Aktualitäten in Zeiten der "Black Lives Matter"-Bewegung so nahe an ein heutiges Publikum wie dies nur denkbar scheint, was trotz weitgehend ausbleibendem Szenenapplaus von diesem am Ende auch mit freundlichem Applaus quittiert wird. Unauflösbar bleiben aber dennoch die dem Stück inhärenten Ambivalenzen. Letztlich entspringt "Porgy and Bess" dem Blick eines weißen Autorenteams aus George Gershwin und seinem Bruder Ira (Liedtexte) sowie dem Romanautor DuBose Heywards und seiner Frau Dorothy. Man blickt aus dieser Perspektive auf das Leben von Schwarzen, das bei allem sozialkritischen Impetus und revolutionären Gestus im Jahr 1935 von Klischees und Rollenstereotypen gespickt ist.

(S E R V I C E - "Porgy and Bess" von George Gershwin im Theater an der Wien, Linke Wienzeile 6, 1060 Wien. Musikalische Leitung des Wiener KammerOrchesters: Wayne Marshall, Inszenierung: Matthew Wild, Ausstattung: Katrin Lea Tag. Mit Porgy - Eric Greene/Simon Shibambu, Bess - Jeanine de Bique/Pumeza Matshikiza, Clara - Brandie Sutton, Crown - Norman Garrett, Sportin' Life - Zwakele Tshabalala, Serena - Mary Elizabeth Williams/Pumeza Matshikiza, Maria - Tichina Vaughn, Jake - Ryan Speedo Green. Premiere am 14. Oktober. Weitere Aufführungen am 15., 16., 17., 18., 20., 21., 22., 23. und 24. Oktober. www.theater-wien.at/de/programm/production/871/Porgy-and-Bess)

ribbon Zusammenfassung
  • Es ist eines der bekanntesten Stücke des amerikanischen Musiktheaters und doch eines der in Europa selten gespielten: George Gershwins "Porgy and Bess".
  • Im TaW inszeniert der (weiße) Südafrikaner Matthew Wild jenes Werk, das nach Vorgabe der Gershwin-Erben durchgängig mit dunkelhäutigen Darstellern besetzt sein muss.
  • Die wirkliche Leistung des Abends gelingt allerdings Regisseur Matthew Wild.
  • Premiere am 14. Oktober.

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