APA/APA (Ursula Kuchar)

Polit-Thriller: Marc Elsbergs "Der Fall des Präsidenten"

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Man stelle sich vor, ein ehemaliger US-Präsident wird im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs verhaftet - wegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechen. So passiert es in Marc Elsbergs neuem Thriller "Der Fall des Präsidenten" einem gewissen Douglas Turner (man beachte die Initialen!), dessen Festnahme eine Lawine an politischem, juristischem, diplomatischem und naturgemäß auch sozialmedialem Hickhack nach sich zieht. Dieses wird auf rund 600 Seiten wiedergegeben.

Der Festnahme-Showdown erfolgt am Flughafen von Athen, mittendrin im Geschehen eine der Hauptfiguren der durchaus vielfältigen Handlungsstränge: Dana Marin, eine noch ziemlich unerfahrene Vertreterin des International Criminal Court in Den Haag, die das Vorverfahren gegen die ausgefuchste US-Gegenseite durchzuboxen hat. Sie findet sich ungeplant im ersten juristischen Nachspiel der Festnahme wieder, als vor einem Athener Gericht die Rechtmäßigkeit des Vorgangs zu prüfen ist.

So realpolitisch undenkbar die Vorstellung ist, dass ein Ex-US-Präsident als Angeklagter vor einem internationalen Gericht landet, so realistisch erscheint Elsbergs Gedankenexperiment, was sich unmittelbar und mittelbar nach einer solchen Festnahme abspielen dürfte. Der aktuelle US-Präsident etwa, der sich selbst gerade im Wahlkampf befindet, muss rasch handeln, will er seine Wiederwahl nicht gefährden. Und da der Internationale Strafgerichtshof seinen Schritt natürlich nur anhand konkreter Beweislage setzen konnte, wird von US-Seite alsbald nach "Verrätern" vulgo Whistleblowern gesucht, die diese Beweise geliefert haben dürften.

Die Romanfigur Turner, die es anders als der reale "Initialen-Vetter" übrigens zu einer zweiten Amtsperiode geschafft hat, sollte man sich übrigens nicht 1:1 als Donald Trump vorstellen. Douglas Turner ist "jünger, schlanker und fitter als Donald Trump", wie Elsberg im APA-Interview erklärt: "Er ist von den letzten drei US-Präsidenten und deren Handeln inspiriert: George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump." Anhand gewisser Zitate aus dem Buch des Wiener Bestsellerautors lässt sich jedoch ein gewisses Übergewicht an "DT"-Elementen herauslesen: Einerseits ist zu lesen, dass er seine Wahl zum Präsidenten einzig und allein dem für seine Eigenheiten bekannten amerikanischen Wahlsystem zu verdanken hatte. Oder aber Turners Charakterisierung aus dem Munde seines Nachfolgers Arthur Jones aus dem Lager der Demokraten: "Turner ist ein selbstgerechter, grenzdebiler, narzisstischer Mistkerl! Und Republikaner noch dazu!"

Doch auch Mister Bush bekommt sein Fett ab, heißt es doch in einer Nebenbemerkung in Anlehnung an 9/11: "Manche würden sogar dann vor einer Schulklasse sitzen bleiben, wenn man ihnen ins Ohr flüsterte, dass die USA gerade angegriffen würden." Sehr real(politisch) hört sich auch der erste US-Reaktionsgedanke auf die Festnahme an: "Wirtschaftliche Sanktionen. Verbote für europäische Banken, in den USA Geschäfte zu machen, Rückzug aus der NATO und so weiter.", heißt es da zuallererst - und zuallerletzt wird sogar eine militärische Kommandoaktion zur Befreiung des Ex-Präsidenten aus der Haft erwogen.

Elsberg behandelt im "Fall des Präsidenten" jedoch nicht nur den politischen und wirtschaftlichen Druck, den eine mächtige Nation ausüben kann und will, sondern auch massive Manipulation der öffentlichen Meinung als machtpolitisches Mittel. Und er skizziert, was sich in einem solchen Fall im dritten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends auf jeden Fall weltweit abspielen würde: Auf Twitter und Co. geht es rund, und zwar vom Moment des Bekanntwerdens der Festnahme an - letzterer ist in der Romanhandlung übrigens ein recht früher Moment, weil ein Beteiligter mittels Handy mitfilmt und das Video bald im www viral geht.

Wie in modernen Romanen nicht unüblich, gibt es in Elsbergs neuem Werk verschiedene Handlungsstränge und - meist kurze - Kapitel aus der jeweiligen Sicht verschiedener in die Handlung involvierter Personen. Der Whistleblower, auf den der Druck zusehends größer wird, ist genau so eine dieser Personen wie der amtierende US-Präsident oder dessen oberster Wahlkampforganisator, oder eben die Vertreterin des Internationalen Strafgerichtshofs. Die raschen Szenenwechsel und unterschiedlichen Sichtweisen ergeben ein sehr spannendes Gesamtwerk, durch dessen 600 Seiten man sich rasch und gerne durchpflügt. Dass man sich dabei Gedanken über die hier beschriebenen Vorgänge und Zusammenhänge macht, liegt auf der Hand.

Möglicherweise gehört heutzutage zu einem realistisch beschriebenen Szenario auch schon ein Bezug zur Coronakrise dazu. Elsberg, auch Autor der Bestseller "Blackout" und "Gier", löst dies in seinem aktuellen Werk jedenfalls so, indem er diese einige Male en passant und retrospektiv - die Geschichte spielt also in der Zukunft - erwähnt. Etwa wenn einige Personen die Köpfe zusammenstecken, "als hätte es Corona nie gegeben". Aber auch über allgemein-philosophische Betrachtungen können sich Leserinnen und Leser freuen, zum Beispiel bei folgendem Zitat: "Wenn du in die Wirklichkeit schaust, verschwinden Träume. Aber auch Albträume."

(S E R V I C E - Marc Elsberg: "Der Fall des Präsidenten", blanvalet, 608 Seiten, 24,70 Euro)

ribbon Zusammenfassung
  • Man stelle sich vor, ein ehemaliger US-Präsident wird im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs verhaftet - wegen des Vorwurfs von Kriegsverbrechen.
  • So passiert es in Marc Elsbergs neuem Thriller "Der Fall des Präsidenten" einem gewissen Douglas Turner (man beachte die Initialen!
  • Dieses wird auf rund 600 Seiten wiedergegeben.
  • (S E R V I C E - Marc Elsberg: "Der Fall des Präsidenten", blanvalet, 608 Seiten, 24,70 Euro)