APA/APA/SUHRKAMP VERLAG/RAFAELA PRÖLL

Plauderton und Ohrenbetäubendes bei den Kraus Lectures Wien

Karl Kraus ist heuer so etwas wie inoffizieller Schirmherr der Wiener Festwochen. "Kraus Lectures" nennt sich eine Hommage zum 150. Geburtstag des Journalisten und Autors, die in fünf Veranstaltungen diverse Aspekte aus seinem Wirken herausgreift. Heute, Sonntag, sollten im vierten Teil seine vielen gerichtlichen Auseinandersetzungen im Zentrum stehen - passender Weise am Schauplatz der "Wiener Prozesse", nämlich im Gerichtssaalambiente auf der Bühne des Odeon Theaters.

Es wurde eine Mischung aus Plauderei und Konzert mit ohrenbetäubender Musik, die schon nach fünf Minuten erste Besucher im zur vormittäglicher Stunde dicht gefüllten Saal zur Flucht veranlasste. Die vor dem Eingang ausgeteilten Ohropax waren nicht der brausenden Sprachgewalt von Karl Kraus (die bei dieser Matinee nur am Rande gestreift wurde), sondern der Lautstärke der Wiener Grindcore-Band Onkel Gusta geschuldet, die in musikalischen Einlagen jene Wut rausließ, die möglicherweise der Motor für viele Aktivitäten des "Fackel"-Herausgebers war. Vielleicht war es Wut aus Gekränktheit. Denn, so Clemens J. Setz: "Es war seine Lebensphilosophie, beleidigt zu sein."

Setz hatte gemeinsam mit seiner Kollegin Barbara Zeman und Schauspieler Robert Stadlober an einem Tisch Platz genommen, an dem bei eingeschalteten Mikros ungeniert geplaudert wurde - möglicherweise gedacht als Mischung aus "Der großartige Zeman Stadlober Leseklub", der in Pandemiezeiten über YouTube Literatur vermittelte, und dem Podcast "Erster österreichischer Sachbuchpreis", den Zeman gemeinsam mit Setz seit Jahresanfang betreibt.

So erfuhr man Kraus' Telefonnummer und Autokennzeichen, bekam ein Quiz über die Größe von prominenten Autorinnen und Autoren serviert (bei dem Kraus' körperliche Größe im Unklaren blieb), erfuhr, dass Büchner-Preisträger Setz als langhaariger Jugendlicher in einer Metal-Band gespielt hatte, und dass Zeman, deren neuer Roman "Beteigeuze" Mitte August erscheint, einen alten Justizpalast-Schreibtisch im Keller stehen hat, da ihr Urgroßonkel einst dort arbeitete.

"Ehrenbeleidigungen, Körperverletzungen, Urheberrechtsstreitigkeiten, Mediendelikte: In den Prozessakten der Wiener Kanzlei Oskar Samek präsentiert sich der in hunderte Verfahren involvierte Karl Kraus als literarischer Meister der Anklage und (Selbst-)Verteidigung", hieß es in der Ankündigung. Von diesem "Hauptwerk" gab es nur kleine, von Rezitator Robert Stadlober gelesene Schnipsel, deren Hintergründe von Setz und Zeman erläutert wurden.

Dabei ging es etwa um einen Prozess gegen die Zeitschrift "Die Stunde", die antisemitisch zu lesende Manipulationen an einem Kinderfoto von Kraus und seiner Schwester veröffentlicht hatte, oder den Versuch, den für die tödlichen Schüsse auf die Demonstranten vor dem Justizpalast verantwortlichen Polizeipräsidenten Schober eine prozesstechnische Falle zu stellen, um ihn vor Gericht zu bekommen.

Die "Kraus Lectures" werden am 23. Juni um 11 Uhr im als "Haus der Republik" fungierenden Volkskundemuseum Wien von Thea Ehre, Nick Romeo Reimann und Olivia Axel Scheucher abgeschlossen: "Rage is a good Feeling. Die letzten Tage der wilden Kerle" lautet der vielversprechende Titel.

ribbon Zusammenfassung
  • Die 'Kraus Lectures' feiern den 150. Geburtstag von Karl Kraus mit fünf Veranstaltungen, die verschiedene Aspekte seines Lebens beleuchten.
  • Im vierten Teil der Reihe, der im Odeon Theater stattfand, wurden Kraus' gerichtliche Auseinandersetzungen thematisiert, begleitet von ohrenbetäubender Musik der Wiener Grindcore-Band Onkel Gusta.
  • Die Veranstaltungsreihe endet am 23. Juni im Volkskundemuseum Wien mit der letzten Veranstaltung unter dem Titel 'Rage is a good Feeling. Die letzten Tage der wilden Kerle'.