Pianist Víkingur Ólafsson begeisterte im Wiener Konzerthaus
Wer den 41-Jährigen mit der Ausstrahlung eines jugendlichen Nerds vor zwei Jahren beim "Hoch Kultur Festival" von Franui auf der Unterstalleralm im Osttiroler Innervillgraten erlebt hat, wird das Konzert nie vergessen. Auf einem extra auf die Alm geschafften Fazioli Konzertflügel spielte er den inoffiziellen Auftakt einer Welttournee mit Bachs "Goldberg-Variationen" und ließ mit göttlichem Spiel unter freiem Himmel an den Herrn im Himmel glauben. An die 100 Mal hat er seine Interpretation seither auf sechs Kontinenten gespielt, von seiner mit einem Grammy gekrönten Einspielung wird die unfassbare Zahl von einer Milliarde Streaming-Abrufen vermeldet.
Er habe auf der Tournee viel Zeit zum Nachdenken über sein nächstes Programm gehabt, berichtete der Spätstarter, der sich jahrelang vergeblich um einen Plattenvertrag gekümmert und erste Aufnahmen mit einem eigenen Label vertrieben hat, in Interviews. Er habe sich für Beethovens Sonate E-Dur op. 109 entschieden, diese aber nicht entgegen der Usancen mit den beiden rasch aufeinander gefolgten Sonaten op. 110 und op. 111 gekoppelt, erzählte er zwischen Konzert und Zugaben dem Konzerthaus-Publikum, das er auch wissen ließ, wie glücklich er sei, hier spielen zu können.
In Wien sei schließlich zwischen 1814 und 1820 musikalisch Enormes geschaffen worden - nämlich etwa auch die beiden e-moll-Sonaten von Beethoven (op. 90) und Schubert (D 566). Diese hat er in sein ausgetüfteltes Konzeptalbum dazu gepackt - zusammen mit Bachs Partita Nr. 6 e-moll BWV 830 und dessen Präludium 9 E-Dur BWV 854 aus dem wohltemperierten Klavier. Bach ist weiterhin sein Gott, das spürte man auch beim Wiener Konzert: reine Musik, mit mathematischer Präzision geschaffen und doch pure Emotion.
Pausenloses Spiel
Wenn Víkingur Ólafsson nicht darüber plaudert, was ihn als Konzeptkünstler am Klavier so antreibt, in welchen Farben er als Synästhet e-moll wahrnimmt ("grün"), und wie er ausgetretene Pfade verlassen und neue Wege gehen möchte, stellt er sich hoch konzentriert seiner Aufgabe. Ihm ist es wichtig, dass es dabei keinen Spannungsabfall und kein Verschnaufen gibt. Nicht nur einzelne Sätze, auch aufeinanderfolgende Stücke hängt er direkt aneinander und signalisiert dem Publikum mit großen, manieriert wirkenden Gesten der rechten Hand, dass gleich weitergespielt wird. Nur wenn ihm, wie in Wien zwischen Schubert und dem Finalstück op. 109, ein paar Huster dazwischenkommen, pausiert er kurz, sichtbar unwillig. Dann ist der energetische Fluss für Augenblicke unterbrochen.
Hat Víkingur Ólafsson, der 2026 in Luzern ein neues Klavierfestival kuratieren wird, nicht nur am Reißbrett, sondern auch an der Klaviertastatur etwas zu sagen? Eindeutig lässt sich das nicht beurteilen. Klar ist, dass er alles daran setzt, Bögen herauszuarbeiten und Kontraste zu betonen. Locker vom Klavierhocker agiert er erst bei den Zugaben, wenn er es in Rameaus "Ruf der Vögel" zwitschern und trillern lässt. Davor attackiert er etwa im Prestissimo der Beethoven-Sonate die Tasten, als gäb's kein Morgen, um kurz darauf gekrümmt die zarten Töne buchstäblich einzeln aus dem Flügel klauben zu wollen. Der Steinway bekam vom Pianisten am Ende ostentativ ein paar zärtliche Klapse: Herrchen war's zufrieden. Das Publikum war es auch und spendete großen Applaus.
Ein belauschter Dialog eines älteren Zuhörerpaares im Abgehen: "Sehr schön!" - "Was heißt? Vollendet!" - "Ich glaube, ich hör' mit dem Klavierspielen auf ..."
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
Zusammenfassung
- Der isländische Pianist Víkingur Ólafsson begeisterte am Dienstag im Wiener Konzerthaus mit einem knapp 90-minütigen Konzert, bei dem er Werke von Bach, Beethoven und Schubert präsentierte.
- Ólafsson, der 41 Jahre alt ist, spielte ohne Unterbrechung, verband die Stücke nahtlos miteinander und gab nach dem Hauptprogramm vier Zugaben.
- Seine Interpretation der "Goldberg-Variationen" wurde weltweit über 100 Mal aufgeführt und die Aufnahme mehr als eine Milliarde Mal gestreamt.
