APA/S. Fischer Verlag

Marlene Streeruwitz präsentiert neuen Roman in Wien

Heute, 09:39 · Lesedauer 4 min

Auf den Straßen überall Obdachlose, die Häuser desolat, die Aufzüge reparaturanfällig, das Leben teuer - es ist kein schmeichelhaftes Bild von New York, das Marlene Streeruwitz in ihrem Roman "Auflösungen." entwirft. Im Mittelpunkt steht die Wiener Lyrikerin Nina Wagner, die für ein Gastsemester im Big Apple unterrichtet und fast ohne Unterlass durch Manhattan streift. Am Montag präsentiert die Autorin im Gespräch mit Florian Baranyi ihr neues Buch im Literaturhaus Wien.

Sprache spielt bei Marlene Streeruwitz wie immer die Hauptrolle. Ihre kurzen, abgehackten Sätze, die Unzahl der Punkte, die Aussagen oder auch nur einzelne Worte auf dem Papier festtackern und damit eine eigene unverrückbare Wirklichkeit schaffen wollen, sind auch diesmal die Hürde, die man lesend erst einmal bewältigen muss. Stop-and-Go statt Lesefluss, diesmal auch mit etlichen englischen Einsprengseln. Die ständige Stolpergefahr erhöht freilich die Konzentration. Kann aber auch nerven.

Zweiter Protagonist ist die Stadt. Ihr widmet Streeruwitz breiten Raum. Es ist eine Metropole, in der Coronapandemie und Wirtschaftskrise deutliche Spuren hinterlassen haben, die sie gut kennt, und in der auch Nina Wagner viele alte Freunde hat. Doch es hat sich Endzeitstimmung breitgemacht. Die Beziehung eines schwulen Paares ist von Alkohol beeinträchtigt, eine mütterliche Freundin hat sich nach einem Unfall, bei dem ihr auf der verschneiten Straße ein Taxi den Fuß zertrümmert hatte, humpelnd in der zunehmend vermüllten und von Immobilienspekulanten ins Visier genommenen Wohnung verschanzt.

Diese Stadt hatte einmal eine große Zukunft. Die Gegenwart sieht düster aus. Überall wird nur noch der alte Status verteidigt. Es ist ein Rückzugsgefecht. Ex-Präsident Donald Trump huscht mit seiner Entourage durchs Bild. Er muss in einem seiner vielen Übergriffsprozesse aussagen und lässt seine Medien an Verschwörungstheorien stricken. Ein nochmaliger Wahlsieg taucht als Albtraum schon am Horizont auf: "Was würde geschehen, wenn der die Wahl gewann. Was würden die machen mit Personen wie sie? Dann? Alle abtransportieren? Alle demütigen? Darum ging es wohl am meisten."

In Wien braut sich etwas zusammen

Zwei weitere Veränderungen beschäftigen Nina Wagner ebenfalls mehr als ihr Seminar, von dem man kaum etwas erfährt: New York rüstet sich für den heißesten Frühlingstag seit Jahrzehnten, und in Wien braut sich rund um ihren Ex-Mann und ihre Tochter etwas zusammen. Der alkoholsüchtige Ex war ein einflussreicher Politiker und steht nun als hoher Beamter unter Korruptionsverdacht. Die Tochter kümmert sich um ihn - doch nun weiß sie nicht, wo er steckt. Es liest sich, als hätte Streeruwitz Echos der Affäre Pilnacek eingearbeitet.

Etwas nach der Hälfte des rund 400 Seiten starken Buches ändert das Geschehen seinen Charakter. Der zweite Teil heißt "Meditations in an Emergency". Nina kommt, auf einem New Yorker Gehsteig liegend, langsam zu sich und versucht, beim Eintreffen der Rettungskräfte langsam das Geschehen, das ihr eine klaffende Wunde am Hinterkopf beschert hat, zu rekonstruieren. Es gelingt ihr nicht. Während sie in eine Notaufnahme gebracht wird, weiß sie nur: Geblieben ist ihr lediglich das Handy. Ihr Rucksack ist weg. So rasch kann sich eine ganze Existenz auflösen.

Verlorener Kampf

"Auflösungen." liest sich wie ein Abgesang. So ziellos, wie das Sich-Treiben-Lassen durch die Straßenfluchten New Yorks wirkt, so ungeordnet ist der Gedankenfluss, der Nina ohne Unterlass beschäftigt. Was ist aus den einstigen Hoffnungen auf politische, private und sexuelle Selbstbestimmung geworden? Der Kampf scheint hoffnungslos verloren. Dabei hat Trump in "Auflösungen." noch gar nicht zum zweiten Mal gewonnen. Und schreibt fast täglich ein neues, düsteres Kapitel in einem dystopischen Fortsetzungsroman, den man lieber auf den Literatur- als auf den Politikseiten besprochen sehen würde.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Marlene Streeruwitz: "Auflösungen.", S. Fischer Verlag, 416 Seiten, 28,70 Euro, erscheint am 28. Mai. Buchpräsentation am 26. Mai, 19 Uhr, im Literaturhaus Wien)

Zusammenfassung
  • Auf den Straßen überall Obdachlose, die Häuser desolat, die Aufzüge reparaturanfällig, das Leben teuer - es ist kein schmeichelhaftes Bild von New York, das Marlene Streeruwitz in ihrem Roman "Auflösungen." entwirft. Im Mittelpunkt steht die Wiener Lyrikerin Nina Wagner, die für ein Gastsemester im Big Apple unterrichtet und fast ohne Unterlass durch Manhattan streift. Am Montag präsentiert die Autorin im Gespräch mit Florian Baranyi ihr neues Buch im Literaturhaus Wien.