APA/APA/Wiener Festwochen/Gianmarco Bresadola

"L'Aventure invisible" stellt Identität auf den Prüfstand

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Ein Mann mit drei Gesichtern, eine Frau, die ihre Identität verliert und eine genderneutrale Person, die eine Surrealistin zum Leben erweckt: Der Schwede Marcus Lindeen nimmt für seine erste Theaterarbeit in Österreich drei Biografien her, um die Vorstellung einer stabilen Identität zu hinterfragen. Dabei setzte er im Rahmen der Wiener Festwochen im brut nordwest am Sonntag bei der Premiere von "L'Aventure invisible" ("Das unsichtbare Abenteuer") auf Reduktion und Intimität.

In einer kreisrunden mit hölzernen Sitzbänken ausgestatteten kleinen Arena nehmen die Besucherinnen und Besucher unmittelbar neben den drei Performern des Abends Platz. Diese befragen einander im Laufe der rund 75-minütigen Aufführung meist sitzend zu ihren Erlebnissen, wobei das Gesagte auf realen Interviews mit der Künstlerin Sarah Pucill (gespielt von Franky Gogo), dem mit aufgrund einer Erbkrankheit deformiertem Gesicht geborenen Jérôme Hamon (Tom Menanteau) und Neurowissenschafterin Jill Bolte Taylor (Isabelle Girard) basiert. Sie kamen allesamt im Laufe ihres Lebens mit dem Thema Identität auf unterschiedliche Weise intensiv in Kontakt.

Hamon bekam etwa als erster Mensch bereits zweimal erfolgreich das ganze Gesicht einer anderen Person transplantiert. Sein nunmehr drittes Antlitz spendete ein erst 20-Jähriger nach dessen Tod, was nicht nur Scherze zur ewigen Jugend nach sich zog, sondern ihn auch mit Fragen und Ängsten konfrontierte: Wer war die Person, die er nun gewissermaßen auf sich trägt und ist es denkbar, dass die Identität des Spenders in ihn einsickert? Taylor verlor dagegen ihre Identität von einem Tag auf den anderen. Die Hirnforscherin erlitt einen Schlaganfall und erkannte sich daraufhin im Spiegel nicht mehr wieder. Auch ihre Erinnerungen waren ausgelöscht. Mühsam trainierte sie sich auf Basis von Videos und Erzählungen ihr altes Verhalten an, ohne genau zu wissen, wen sie nun imitiert.

Pucill war wiederum damit konfrontiert, von vielen Personen - auch ihrer Mutter - nicht verstanden oder anerkannt zu werden. Eines Tages entdeckte sie das Werk der verstorbenen französischen Surrealistin Claude Cahun, die bereits in den 1930er-Jahren mit Selbstporträts Geschlechtergrenzen aufzubrechen wusste. Fasziniert begann sie für ihren Film "Magic Mirror", die Fotos nachzustellen und ihnen Bewegung einzuhauchen. Als alles perfekt war, hätten sich die Gedanken und Emotionen Cahuns mit ihren vermischt, so Pucill.

Wären nicht kurze, erhellende Ausschnitte aus Pucills Filmarbeit in den Theaterabend eingestreut, könnte es sich bei "L'Aventure invisible" auch um ein Hörspiel handeln. Denn zumeist ist man ohne gute Französischkenntnisse auf sein Smartphone fixiert, auf dem per App die Übersetzung läuft und so den Blick auf das ohnehin reduzierte Schauspiel erschwert. Zuhören und Mitlesen ist dafür ein Genuss, sind die Erzählungen doch nicht nur außergewöhnlich, sondern auch spannend aufgebaut. Schade nur, dass die Erfahrungsberichte beinahe den gesamten Abend in Anspruch nehmen und die Diskussion der drei Personen über die Frage nach der (In-)Stabilität von Identität nur beiläufig gestreift wird. Mit nach Hause bekommt man somit Denkanstöße, keine Antworten. Das Publikum dankte den textsicheren Spielerinnen und Spielern mit freundlichem Applaus.

(S E R V I C E - "L'Aventure invisible" von Marcus Lindeen im brut nordwest. Französisch mit englischen und deutschen Übertiteln, Übersetzung Marianne Ségol-Samoy. Mit Isabelle Girard, Tom Menanteau, Franky Gogo. Weitere Aufführungen am 30. und 31. Mai jeweils 19 und 21 Uhr. Infos und Tickets unter www.festwochen.at)

ribbon Zusammenfassung
  • Dabei setzte er im Rahmen der Wiener Festwochen im brut nordwest am Sonntag bei der Premiere von "L'Aventure invisible" auf Reduktion und Intimität.

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