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Kultregisseur Herzog: "Zur Ironie habe ich wenig Verhältnis"

Die Viennale feiert heuer Werner-Herzog-Festspiele. Und das mit mehr als einem Grund. Schließlich hatte der Kultregisseur vor kurzem 80. Geburtstag und präsentiert beim Festival zwei neue Dokumentarfilme. Das Vulkanologen-Requiem "The Fire Within" stellt Herzog am Dienstag vor, während "Theater of Thought" über das Gehirn ebenso tags darauf zu sehen ist wie Thomas von Steinaeckers "Radical Dreamer" über den Meister. Am 28. Oktober ist Herzog dann im Volkstheater zu Gast.

Aus diesem Anlass sprach der deutsche Filmemacher mit der APA über das Staunen als der Beginn des Kinos, warum er glaubt, seine Schriften werden seine filmischen Arbeiten überdauern und die Frage, warum er zur Altersironie kein Verhältnis hat.

APA: Sie haben aktuell zwei neue Filme und zwei neue Bücher im Talon. Sehen Sie in Ihrem überbordenden Œuvre einen Roten Faden?

Werner Herzog: Natürlich sehen Sie in allen Filmen, dass dahinter eine gemeinschaftliche Weltsicht steht. Die Themen sind unterschiedlich, aber die Weltsicht ist sofort erkennbar.

APA: Können Sie diese Weltsicht definieren?

Herzog: Nein. Aber auch bei Buñuel sehen Sie nach 30 Sekunden, dass es ein Buñuel-Film ist. Und nach 10 Sekunden wissen Sie, dass Sie in einem Bergman-Film sitzen.

APA: Ein verbindendes Band in meinen Augen wäre die Neugier...

Herzog: Und das Staunen! Das Staunen ist der Anfang von Kino - bei mir zumindest.

APA: Es gibt in praktisch all Ihren Dokumentarfilmen einen Moment, in dem Sie Ihr Gegenüber in Staunen versetzen, weil Sie es mit einer ungewöhnlichen Frage aus dem Konzept bringen. Ist das Strategie oder entspringt einfach Ihrer Weltwahrnehmung?

Herzog: Das ist nicht vorbereitet. Ich komme ohne Fragenkatalog zu meinen Gesprächen. Ich mache keine Interviews. Ich führe Gespräche, in denen ich meiner Neugier folge. Ich weiß im Prinzip, worüber gesprochen wird. Aber es gibt einfach Fragen, die mich interessieren. Zum Beispiel "Träumt das Internet von sich selbst?". Ich möchte aber niemand damit aus der Fassung bringen, es interessiert mich einfach.

APA: Das wäre dann ja ein Ausdruck Ihrer Weltsicht...

Herzog: Und der Ausdruck einer bestimmten Empathie und Neugier. Das muss aber nicht unbedingt bedeuten, dass ich mein Gegenüber mögen müssen. Zum Beispiel in "On Death Row" ("Im Todestrakt", Anm.) sitzt mir ein junger Mann gegenüber, und Sie wissen, dass der in acht Tagen tot ist. Und er weiß es eigentlich auch - obwohl noch ein Gnadengesuch läuft. Dadurch ergibt sich ein ganz anderes Gespräch. Es ist das letzte Gespräch, das er mit einem "normalen" Menschen führt.

APA: Ein ähnliches Prinzip haben Sie auch in "Into the Abyss" ("Tod in Texas", Anm.) verfolgt, bei dem Sie mit dem verurteilten Mörder Michael Perry sprechen. Welche Erkenntnis haben Sie hier gesucht?

Herzog: Das Verbrechen war unfassbar nihilistisch. Das hat mich interessiert. In einen Abgrund zu schauen, in dem nur Nihilismus ist. Und ich sage dem junge Mann, Michael Perry: Ich weiß, dass Ihre Kindheit schrecklich war und dass Sie in der Lotterie des Lebens eine schlechte Kartenhand bekommen. Das heißt ja aber nicht notwendigerweise, dass ich Sie gerne haben muss. Und das hatte ihm noch niemand gesagt. Und er stutzt kurz und sagt: Okay. Das ist jemand, mit dem kann ich reden.

APA: Zugleich wirkt der Mehrfachmörder ausnehmend sympathisch...

Herzog: Michael Perry schaut aus wie ein wahnsinnig netter Mensch. Und ich bin im Leben schon mit vielen sehr gefährlichen Männern zusammengekommen. Aber als ich ihn das erste Mal sah, dachte ich mir: Um Gottes willen. So einen gefährlichen Mann habe ich in meinem Leben noch nie gesehen. Es war der Gefährlichste von allen.

APA: Denken Sie in diesen Momenten den Film mit?

Herzog: Es gibt da keinen Gedanken an einen Film. Es gibt nur den Mann Ihnen gegenüber, der einen Meter entfernt sitzt. Dann geht es zur Sache. Dass daraus ein Film wird, ist in diesem Moment bedeutungslos.

APA: Ganz anders ist eines Ihrer neuen Werke strukturiert: "The Fire Within" hat keine Interviews, sondern arbeitet mit dem von zwei Vulkanologen gedrehten Material. Nimmt die Arbeit eine Sonderstellung in ihrem Œuvre ein?

Herzog: Es ist ein ungewöhnlicher Film in meiner Arbeit, aber ein sehr wichtiger. Der Sekundärtitel ist ja "Requiem für Katia und Maurice Krafft", da die beiden bei ihrer Arbeit umgekommen sind. Es traten Archivverwalter an mich heran, ob ich nicht eine Biografie über beide machen wolle. Mir war aber bald klar, dass das eine Vergeudung des Materials gewesen wäre. Ich wollte eine Art "Musical" daraus machen. Es sollte ein Requiem werden, in der die Großartigkeit ihres Materials gefeiert wird. Im Grunde ist es eine Feier des Kinos an sich. Der Film ist mir richtig gut gelungen. Er kommt auch unerhört gut beim Publikum an.

APA: Eine Parallele zwischen Ihnen und den Kraffts ist die Suche nach dem ungesehenen Bild...

Herzog: Das natürlich auch, klar. Das hat mich fasziniert. Die beiden waren wie Stuntleute für das Publikum. Sie waren immer zu nahe dran - das musste irgendwann schiefgehen.

APA: Dabei sind Sie selbst ja jemand, der große Risiken für seine Arbeit eingeht...

Herzog: Das sehen Sie etwa auf dem Titelbild meiner Memoiren "Jeder für sich und Gott gegen alle", auf dem ich in einem Hitzeschutzanzug mit Ruß im Gesicht am Kraterrand sitze. Davor war ich mit einem Vulkanologen in den Krater gestiegen, weil es da eine sichere Kante geben sollte. Auf einmal kamen dann aber riesige glühende Fladen angeflogen, manche so groß wie Lastwagen. Da war klar: Schnell raus und weg. Vulkane sind unberechenbar.

APA: Sie haben nicht die Faszination für ein so spektakuläres Ende als Filmemacher wie es die Kraffts erleben mussten?

Herzog: Ich bin ja ein professioneller Mensch. Ich will einen Film machen. Aber immerhin war ich mit der Kamera so nahe dran wie keiner sonst - mit Ausnahme von Katja und Maurice.

APA: Wenn man auf die Wahrnehmung Ihrer Person blickt, scheint es zwei Herzöge zu geben, insofern, dass ...

Herzog: Es gibt nur einen!

APA: Dennoch sehen die Amerikaner Sie eher als Kultfigur und Dokumentarfilmer, während man in Europa immer noch als erstes "Kinski" hört, wenn Ihr Name fällt. Stört Sie das?

Herzog: Es gibt in den USA eine andere Wahrnehmung. Ich bin in den "Simpsons" und im "Mandalorian", drehe "Grizzly Man". Und in Europa gibt es eher die Sicht, als hätte ich nach "Fitzcarraldo" keinen Film mehr gemacht. Aber es wird immer mehr auch hier bekannt, dass ich ja eigentlich weiterhin arbeite! (lacht)

APA: Und dazu gehört nicht zuletzt Ihr Schreiben...

Herzog: Ich habe vor 40 Jahren schon zu tauben Ohren gesagt: Passt auf! Ich glaube, das, was ich schreibe, wird meine Filme überdauern. Ich kann mich auch täuschen, aber da ist so viel direkte Substanz da. Und ich schreibe so wie keiner.

APA: Sie haben ja immer auch neben dem Film geschrieben.

Herzog: Ich habe nie NEBEN dem Film geschrieben. Ich habe eine einfache Formel: Filme sind meine Reise, das Schreiben ist Zuhause. Und ich habe immer geschrieben.

APA: Einer Ihrer größten Erfolge ist "Vom Gehen im Eis", das Tagebuch ihrer Wanderung 1974 von München zu Ihrer Mentorin Lotte Eisner nach Paris, die im Sterben lag...

Herzog: Ich wollte wie in einer Beschwörung dagegen angehen, dass sie stirbt. Und das hat funktioniert. Acht Jahre später rief sie mich dann an und meinte, ich solle wieder kommen - aber diesesmal mit Bahn oder Flugzeug. Als ich dort war, sagte sie ganz biblisch: "Ich bin lebenssatt. Aber auf mir liegt noch der Fluch, dass ich nicht sterben darf..." Und ich meinte im Ton ganz nebenbei: "Lotte, es ist völlig in Ordnung, wenn Sie jetzt sterben." Beide wussten wir, dass wir so beiläufig sprechen, weil es eine entscheidende Frage war. Manchmal ist es gut, so etwas ins Beiläufige zu verlegen, damit es nicht pathetisch klingt. Acht Tage später ist sie dann gestorben.

APA: Wim Wenders sagt über Sie, dass Sie früher von einem beinahe heiligen Ernst getrieben waren, nun aber eine gewisse Altersironie entwickelt haben. Finden Sie sich da wieder?

Herzog: Nein. Zur Ironie habe ich wenig Verhältnis. Aber Humor hat es in all meinen Filmen gegeben. Aber erst jetzt fangen die Leute an, das zu bemerken. Auch schon in der frühen Zeit hat man viel mit mir lachen können. Aber wie die Wahrnehmung ist, kann man nicht beeinflussen.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

(ZUR PERSON: Werner Herzog, geboren am 5. September 1942 in München, hat knapp 60 Spiel- und Langdokumentarfilme inszeniert und geschrieben, ist in knapp 20 Filmen als Schauspieler aufgetreten, hat mehr als ein Dutzend Bücher veröffentlicht und ebenso viele Opern inszeniert. Im Alter von 20 Jahren gründete er seine eigene Produktionsfirma und war bereits mit seinem ersten Spielfilm, "Lebenszeichen" (1968), erfolgreich. In den 70er- und 80er-Jahren erlangte er vor allem mit den Filmen "Aguirre, der Zorn Gottes" oder "Fitzcarraldo" mit Klaus Kinski Bekanntheit. Geschichten von gegenseitigen Morddrohungen und schwierigen Produktionsbedingungen im Amazonas sind legendär. 1991 wurde Herzog kurzzeitig Co-Direktor der Viennale. Seit Mitte der 90er lebt er in Kalifornien und dreht vorrangig Dokumentarfilme in exponierten Landschaften; für seine Antarktisdoku "Begegnungen am Ende der Welt" wurde er für einen Oscar nominiert. Seine beiden neuen Arbeiten "Theater of Thought" über das Gehirn und "The Fire Within" über zwei Vulkanologen sind bei der Viennale 2022 zu sehen.)

ribbon Zusammenfassung
  • Schließlich hatte der Kultregisseur vor kurzem 80. Geburtstag und präsentiert beim Festival zwei neue Dokumentarfilme.
  • Das Vulkanologen-Requiem "The Fire Within" stellt Herzog am Dienstag vor, während "Theater of Thought" über das Gehirn ebenso tags darauf zu sehen ist wie Thomas von Steinaeckers "Radical Dreamer" über den Meister.
  • Am 28. Oktober ist Herzog dann im Volkstheater zu Gast.