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Kosmos Theater: Mit "Nestbeschmutzung" gegen Branchen-Alltag

Am Anfang wird in einer hohepriesterlichen Szene die "Unsterblichkeit des Theaters" beschworen und ihr zu opfern gelobt, gegen Ende sieht man eine entlarvende Direktionssitzung, in der sich die Intendanz mit Vorwürfen konfrontiert sieht und die Devise ausgibt: "Das Haus darf nicht beschädigt werden!" Dazwischen liegen Erfahrungen von Machtmissbrauch, die in der Szene scheinbar alltäglich sind. Das Darüber-Sprechen ist es nicht. Deswegen heißt der Abend "Nestbeschmutzung".

"Nestbeschmutzung" ist die neue Produktion des Instituts für Medien, Politik und Theater, eines interdisziplinären Kollektivs, das an der Schnittstelle von Theater und Journalismus arbeitet und vor drei Jahren erstmals mit "Die Fellner Lesung" auf sich aufmerksam machte. Seither hat man sich u. a. mit dem Tiroler Wintertourismus und dem "Fall Julia K." befasst und am Schauspielhaus Graz die fünfteilige Serie "I am from Austria - Eine innenpolitische Abrechnung" gestaltet. Im Wiener Kosmos Theater hat man nun am Donnerstag die #metoo-Debatte ebenso auf die Bühne gebracht wie die ständigen Demütigungen in einer Branche, die lieber mit dem Finger auf andere zeigt, als sich selbst in den Spiegel zu schauen.

Die szenische Umsetzung hat Felix Hafner übernommen. Er bringt die Rechercheergebnisse des Teams in einem festlichen Ambiente zur Sprache: Beim "alljährlichen Klassentreffen" der Theaterszene werden "goldene Statuetten" vergeben (ein ähnlicher Abend im Volkstheater spielte bei der "Destroy"-Theaterpreisgala). Das gibt genug Gelegenheit, die verlogene Rhetorik von Moderationen anzuprangern, die noch die ärgsten Berserker und Ungustln als "Enfant terrible" und "Bühnen-Berserker" schönreden, und beim Party-Smalltalk in berauschender Atmosphäre ernüchternde Erfahrungen auszutauschen.

Tamara Semzov, Birgit Stöger und Mervan Ürkme sind in grellfarbene Hosenanzüge gewandet und geben einem das Gefühl, vieles von dem, was beim Quellenstudium und in Gesprächen mit Expertinnen und Betroffenen zusammengetragen wurde, mit eigenen Erfahrungen anreichern zu können. Nur manchmal, etwa beim aufreibenden Kampf gegen eine vielköpfige Hydra, wird das Thema stilisiert und theatralisiert. Meist folgen jedoch die Szenen realistischen Abläufen - bis hin zum Trinkspiel "Never have I ever" im Publikum: Machtmissbrauch und Übergriffigkeit beginnen im Kleinen und haben nicht nur Täter und Opfer, sondern auch ein Umfeld, das lieber wegschaut als eingreift, lautet die Botschaft.

Jede(r) der drei Darsteller hat eine besonders starke Szene. Tamara Semzov hält eine Dankesrede, die sukzessive zur Anklage gegen die herrschenden Arbeitsbedingungen wird: "Nie wieder will ich so arbeiten müssen!" Mervan Ürkmez spielt den Spießrutenlauf eines Ensemblemitglieds durch, das sich entschließt, einen Griff der "regieführenden Intendanz" zwischen die eigenen Beine auch tatsächlich als Übergriff anzuprangern und anzuzeigen. Und Birgit Stöger verdirbt den Kollegen eindrucksvoll die Partylaune, indem sie sich an ein paar Erfahrungen aus ihrer Karriere erinnert.

Viel Applaus vom Premierenpublikum und so mancher Lacher, der befreiend wie selbstkritisch verstanden werden kann. Etwa bei einem Satz über einen neuen Intendanten mit schlechtem Ruf in Sachen Umgang mit Mitarbeiterinnen: "Ich schäme mich ein bisschen, aber ich habe mich trotzdem beworben."

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - "Nestbeschmutzung", Konzept, Text, Recherche: Institut für Medien, Politik und Theater. Bühne & Kostüm: Camilla Hägebarth. Mit Tamara Semzov, Birgit Stöger, Mervan Ürkmez. Uraufführung im Kosmos Theater, Wien 7, Siebensterngasse 42. Weitere Aufführungen: 5., 6., 10.-13., 17.-20. April. www.kosmostheater.at; www.institut-theater.at )

ribbon Zusammenfassung
  • 'Nestbeschmutzung', eine kritische Theaterproduktion des Instituts für Medien, Politik und Theater, beleuchtet Machtmissbrauch in der Theaterszene und feierte Premiere im Wiener Kosmos Theater.
  • Regisseur Felix Hafner inszeniert das Stück als gesellschaftskritisches 'Klassentreffen', bei dem durch die Vergabe goldener Statuetten die Doppelmoral der Branche aufgezeigt wird.
  • Mit starken persönlichen Darbietungen von Tamara Semzov, Birgit Stöger und Mervan Ürkmez wird das Publikum zum Nachdenken über die eigenen Branchenstrukturen angeregt.