"Killing Carmen": Femizid für Einsteiger
Angesiedelt ist "Killing Carmen" 13 Jahre, nachdem der enttäuschte Liebhaber Don José Carmen erstochen hat. Der Mörder sitzt im Gefängnis und wartet nun endlich auf die Hinrichtung. Offenbar arbeitet auch die Justiz im Carmen-Land an der Belastungsgrenze. Und vermutlich hat irgendein schmieriger Winkeladvokat über die Jahre hinweg auch noch die letzte Chance zur Berufung genutzt und den Fall immer wieder verzögert.
Aber wie dem auch sei. Eigentlich spielt der Täter von damals keine Rolle, die Überlebenden stehen im Fokus. Carmens Zigarettenfabrik ist geschlossen, das Regiment von Don José aufgelöst. Was aber immer noch steht, ist die altbekannte Bar von Lillas Pastia. Lokalsterben ist im Carmen-Land offenbar kein Thema. In der reduziert möblierten Spelunke ertränkt der einstige Toreador Escamillo jeden Abend seinen Kummer, während nun auch die übrigen Proponenten am Tag der Hinrichtung eintreffen.
Der Blick nach vorne lediglich Staffage
Diese an sich reizvolle Ausgangslage entpuppt sich allerdings bald als lediglich überleitender Rahmen und Staffage, ist die "Killing Carmen" am Ende doch ein weit weniger eigenständiges Werk, als man hätte erwarten können. Die Rückblenden übernehmen letztlich, und so entfaltet sich eine leicht verkürzte "Carmen" in Bandversion. Die auch in der "Carmen"-Vollversion engagierte Katia Ledoux interpretiert ihren Part auch in dieser aufgepeppten Variante, für die der französische Musiker Gabriel Cazes eine sechsköpfige Band arrangiert, in der sich unter anderen Indie-Tausendsassa Hans Wagner (Neuschnee) findet.
Ein wenig zwischen Tiger Lillies und Christoph Marthaler im Beschleunigungsmodus changierend, interpretiert man die Bizet'schen Gassenhauer neu, mixt hie und da Jazz oder auch schiere Musicalklänge mit ein, hat man mit Genrestar Anton Zetterholm als Don José doch einen Experten bei der Hand. Erzkomödiantin Julia Edtmeier kann als mittlerweile freche-selbstbewusste Micaëla und Schmuggler-Hauptmann Dancaïro brillieren, Stefan Cerny als trunkener Toreador.
Nicht jeder Schuss ein Treffer
Am Ende steht ein Abend, bei dem nicht jeder Schuss ein Treffer ist, der aber das Potenzial hat, Menschen zur "Carmen" zu bringen, die alleine das Wort "Oper" abschrecken würde. Und damit hat die "Killing Carmen" zweifelsohne ihre Berechtigung, was sich nicht zuletzt an der Stimmung des volksopernuntypischen Premierenpublikums zeigte.
(Von Martin Fichter-Wöß/APA)
(S E R V I C E - "Killing Carmen" an der Volksoper, Währinger Straße 78, 1090 Wien. Musikalische Leitung: Gabriel Cazes, Regie: Nils Strunk/Lukas Schrenk, Ausstattung: Anne Buffetrille/Lara Regula, Licht: Paul Grilj. Mit Carmen - Katia Ledoux, Don José - Anton Zetterholm, Escamillo - Stefan Cerny, Micaëla/Dancaïro - Julia Edtmeier, Moralès - Florian Carove. Weitere Aufführungen am 14., 21. und 27. Oktober, am 26. November sowie am 10. und 17. Dezember. www.volksoper.at/produktion/killing-carmen-at-2025.de.html)
Zusammenfassung
- Die Volksoper Wien zeigt mit "Killing Carmen" eine moderne Adaption der Oper "Carmen" von Bizet, die 13 Jahre nach dem Mord an Carmen durch Don José einsetzt und musikalisch von einer sechsköpfigen Band begleitet wird.
- Die Inszenierung legt den Fokus auf die Überlebenden und mischt musikalisch Jazz- und Musicalelemente, wobei bekannte Darsteller wie Katia Ledoux, Anton Zetterholm und Julia Edtmeier mitwirken.
- Mit weiteren Aufführungen am 14., 21. und 27. Oktober, 26. November sowie 10. und 17. Dezember spricht die Produktion besonders ein neues, opernfernes Publikum an.