Jelineks "Burgtheater" zwischen Metaebene und Making-of
Den Anfang des 130-minütigen Abends macht ein berührender Prolog in einer Gemäldegalerie: Hier hängen die Porträts jener, mit denen sich Jelinek einst befasste und damit einen veritablen Skandal auslöste: Paula Wessely, Attila Hörbiger und dessen Bruder Paul sind als Käthe, Istvan und Schorsch die Protagonisten ihres 1985 in Bonn uraufgeführten Stücks, das die NS-Verstrickung der berühmten Wiener Schauspielerdynastie thematisiert. Nachdenklich gibt Itay Tiran die Parole des Abends vor: "Nie wieder! Ich habe es in Israel gesagt. Ich habe es in Deutschland gesagt. Ich sage es in Österreich. Wie oft werde ich es noch sagen?", so der israelische Schauspieler, bevor er mit Annamária Láng am Klavier Paul Hörbigers "Stell dir vor, es geht das Licht aus ..." anstimmt, das zum wiederkehrenden Motiv der Inszenierung wird. Es ist - ganz Milo Rau - ein Abend mit und über Haltung, der die Frage nach der politischen Verantwortung von Schauspielern verhandelt.
Bevor Szenen aus Jelineks Stück gezeigt werden, entern Safira Robens und Tilman Tuppy mit einem Live-Videoteam die Bühne: Sie begleiten die Vorbereitung für die Inszenierung mit ihrem Podcast "Theater Theater", um "den verstaubten österreichischen Theaterbetrieb zu dekonstruieren und dekolonialisieren". Hinter den Kulissen treffen sie auf Birgit Minichmayr, Mavie Hörbiger und Caroline Peters, die sich auf ihren Auftritt vorbereiten. Letztere ist noch dringend auf der Suche "nach ein paar Mitläufern und Nazi-Schergen, sonst muss ich die nämlich alle alleine spielen, bloß weil ich Deutsche bin". Schon diese ersten Szenen machen deutlich: Hier trifft Humor auf Ernst, Literatur auf Leben und Verdrängung auf einen schonungslosen Blick auf Vergangenheit und Gegenwart.
Das Podcast-Team stellt die Schauspieler zunächst als sie selbst vor: Etwa wenn Peters davon berichtet, als Elfjährige die Bonner Premiere gesehen zu haben oder ihrem jüngeren Ich (Dora Staudinger) erklärt, worum es in "Burgtheater" geht und dass Claus Peymann "sich nicht getraut" hat, das Stück am Haus aufzuführen. Annamária Láng erzählt von ihren Gefühlen, als ungarische Schauspielerin in einem ach so diversen Ensemble "immer nur die ungarische Bedienstete" spielen zu dürfen und gemeinsam mit Tiran das "Team Ausländer" an der Burg bilde. Hörbiger wiederum sinniert darüber, dass sie seit jeher auf ihre Familie angesprochen wird und nun in die Rolle ihres Großvaters Paul (in Jelineks Stück Schorsch) schlüpft: "Warum tu' ich mir das an? Warum tu' ich das unserer Familie an? Als würde man sich ein Grab schaufeln und selber hineinspringen", so Hörbiger.
Minichmayr überzeugt als exaltierte Diva
Dann ist es endlich soweit: Die Drehbühne von Anton Lukas gibt das Esszimmer der Schauspielerfamilie frei: Minichmayr sitzt im hellblauen Kostüm mit ihren beiden Töchtern Mausi und Mitzi (Maja Karolina Franke und Alla Kipermann) am Esstisch, schüttet ihnen die Schinkenfleckerln auf das Tischtuch und lässt sie "schnabulieren". Ihre Töchter wirken dabei im übertragenen Sinne wie Zirkuspferde, was Rau auch mehr als andeutet: Die beiden Akrobatinnen essen nicht nur im Kopfstand, in weiterer Folge kommt auch ein Trapez und eine Poledance-Stange ins Spiel. Minichmayr hat Jelineks Regieanweisung, die dialektale Kunstsprache wie eine Fremdsprache einzustudieren, bitter ernst genommen, ihre Darstellung der exaltierten, hinterfotzigen Diva Käthe ist sehens- wie hörenswert.
Peters gibt den Ehemann Istvan, der in seiner aktuellen Rolle festzuhängen scheint, mit übersteigertem Selbstbewusstsein und gibt den großen Mimen der Lächerlichkeit preis. Gemeinsam demütigen sie das Dienstmädchen, Istvans Schwester (Láng, natürlich wieder in der Dienstmädchenrolle). Als von allen geliebter Onkel gibt Hörbiger Schorsch, der später zum Widerstandskämpfer wird. Itay Tiran wird mit Superman-Logo im Judenstern zum Burgtheaterzwerg, Safira Robens muss sich in einer brutalen Szene als heutige Aktivistin von rechten Wiedergängern foltern und dann als Alpenkönig, der darauf hofft, die Familie zur Läuterung zu bringen, brutal zerfleischen lassen.
"Heimkehr"-Monolog, Grillparzer-Dekonstruktion, Festwochen-Eröffnung
Unterbrochen werden die Jelinek-Szenen von weiteren Backstage-Szenen, etwa wenn Minichmayr einem Nazi-Schergen (Peters) ihren judenfeindlichen Monolog aus "Heimkehr" vorspielt und der in das gemeinsame Absingen des antisemitischen Burschenschafter-Lieds aus der Liederbuchaffäre mündet und somit Kontinuitäten überdeutlich macht. Zwischendurch schlüpft Tiran in die Rolle eines Regisseurs, der Grillparzers "König Ottokars Glück und Ende", mit dem das nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaute Burgtheater 1955 wiedereröffnet wurde, mit Mavie Hörbiger (in Ritterrüstung) probt und die Dekonstruktion dabei auf die Spitze treibt. Am Ende verwandelt sich die Bühne schließlich in die Eröffnung der Wiener Festwochen und kehrt - etwas pathosgetränkt - zurück an den Anfang: "Nie wieder!"
Milo Rau ist es gelungen, "Burgtheater" auf eine komplexe, aber dennoch zugängliche Metaebene zu heben, in der Jelineks Text zwar verhältnismäßig wenig Raum gegeben wird, dadurch aber umso eindringlicher wirkt. Dass er dabei ordentlich klotzt, mag manche Zuschauer verstören. Die Ernsthaftigkeit und Genauigkeit, mit der das gesamte Ensemble leichtfüßig zwischen Zeiten, Schauplätzen und Diktionen wechselt, beeindruckt.
Das Ende gehörte schließlich ganz der am Samstag verstorbenen Elisabeth Orth: Der Tochter von Paula Wessely und Attila Hörbiger wurde nach der Vorstellung in einer Trauerminute gedacht. Sie selbst wünschte sich einst anlässlich der Debatte um "Burgtheater" eine grundsätzliche Diskussion von Österreichs ungeliebtem Erbe. Nun beendete die Trauer um sie den lauten Jubel um die Inszenierung mit einer Minute Stille. Und unwillkürlich denkt man: Typisch Österreich!
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Burgtheater" nach Elfriede Jelinek in einer Bearbeitung von Milo Rau und Ensemble, Regie: Milo Rau, Bühne: Anton Lukas, Kostüme: Cedric Mpaka, Musik: Elia Rediger, Video: Moritz von Dungern, Mit Maja Karolina Franke, Mavie Hörbiger, Alla Kiperman, Annamária Láng, Birgit Minichmayr, Caroline Peters, Safira Robens, Itay Tiran, Tillman Tuppy, Willfried Kovárnik. Koproduktion von Burgtheater und Wiener Festwochen im Burgtheater. Weitere Aufführungen. 20., 23.5., 1., 9., 14., 20.6.; www.burgtheater.at. Digitales Programmheft: https://www.burgtheater.at/mehr-burgtheater )
Zusammenfassung
- Nach 40 Jahren wurde Elfriede Jelineks Stück 'Burgtheater' erstmals am Originalschauplatz unter der Regie von Milo Rau im Rahmen der Wiener Festwochen aufgeführt.
- Die 130-minütige Inszenierung verbindet multimediales Making-of, Schlüsselszenen aus Jelineks Text und Live-Podcast-Elemente zu einer Reflexion über politische Verantwortung im Theater.
- Im Mittelpunkt stehen die NS-Verstrickungen der Schauspielerdynastie Wessely/Hörbiger, dargestellt durch ein Ensemble um Birgit Minichmayr, Caroline Peters und Mavie Hörbiger.
- Zirkusartistik, Musik und Backstage-Szenen sorgen für eine Metaebene, die Humor und Ernsthaftigkeit miteinander verknüpft und den historischen Skandal ins Heute holt.
- Die Aufführung endete mit einer Schweigeminute für die verstorbene Elisabeth Orth und ist eine Koproduktion von Burgtheater und Wiener Festwochen mit weiteren Terminen im Mai und Juni.